Wieder nur ein ReförmchenKritik an Stark-Watzingers BAföG-Gesetzentwurf
Trotz einiger guter Ansätze: Die geplante BAföG-Reform reicht nicht aus.
Ja, es wird sie wohl wirklich geben und ja, sie kommt wohl noch in diesem Jahr: Die von der Bundesregierung angekündigte BAföG-Reform. Nachdem Studis Online noch zu Jahresanfang geunkt hatte, die fällige 27. Novelle des Bundesausbildungsförderungsgesetzes drohe zur nächsten Hängepartie zu werden, zeichnet sich der mögliche Vollzug nun doch schon im laufenden Jahr ab.
Man wolle „erste wichtige Schritte“ schon zum Wintersemester 2022/23 umsetzten, hatte die neue Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) schon zum Jahresausklang verkündet. Es sieht ganz danach aus, als könne man sie beim Wort nehmen. Inzwischen hat ihr Haus zwei Referentenentwürfe auf den Weg gebracht, wovon der frischste auf den 3. März datiert.
Neustart nach dem Niedergang
Im Text unter Punkt „C“ wird nach „Alternativen“ gefragt. Antwort: „Keine.“ Denn „ohne die vorgeschlagenen Änderungen und Anpassungen würden mit Förderungsleistungen nach dem BAföG immer weniger an einer förderungsfähigen Ausbildung Interessierte erreicht. Dadurch stiege die Gefahr, dass sie sich finanziell nicht in der Lage sähen, ihr Ausbildungsvorhaben in die Tat umzusetzen.“ Und weiter: Die Sicherung von Chancengerechtigkeit und Ausschöpfung aller Qualifizierungsreserven „würde entgegen der gesetzlichen Zielsetzung an Durchschlagskraft und Nachhaltigkeit unaufhaltsam einbüßen“.
Das klingt nach guten Vorsätzen. Aber ganz ähnlich hatten dies stets auch ihre Amtsvorgängerinnen formuliert. Und jedes Mal wurde es mit der verheißenen „Trendumkehr“ verlässlich nichts. Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) hat den Niedergang der Sozialleistung in einer aktuellen Stellungnahme zu Stark-Watzingers Gesetzesinitiative nachgezeichnet: Durch „jahrelange Nullrunden“ habe das BAföG „erheblich an Substanz verloren“. 2020 hätten nur mehr elf Prozent aller Studierenden eine Förderung erhalten, einen „neuen Tiefpunkt“ habe ebenso das Schüler-BAföG erreicht. Das Instrument erreiche „längst nur noch Geringverdiener, aber kaum noch die untere Mittelschicht“. Notwendig sei „nicht weniger als ein Neustart für das Herzstück der staatlichen Studienfinanzierung“.
Kleckern und Klotzen
Wie berichtet hat sich die Regierung manches vorgenommen. Die Bedarfssätze und Kinderbetreuungszuschläge sollen um fünf Prozent steigen, die Wohnpauschale soll um rund zehn Prozent auf 360 Euro erhöht und die Altersgrenze, bis zu der man künftig anspruchsberechtigt wäre, von 30 auf 45 Jahre angehoben werden. Dazu kommen eine kräftige Aufstockung des Vermögensfreibetrags auf 45.000 Euro, Verbesserungen beim Auslands-BAföG und ein Erlass von Restschulden nach 20 Jahren auch für Altschuldner. Der dickste Brocken ist aber fraglos der avisierte Aufschlag bei den Elternfreibeträgen um satte 20 Prozent.
In der Gesamtsicht macht das durchaus Eindruck und wirkt nach mehr, als man von einer Ressortchefin mit FDP-Parteibuch erwartet hätte. Aber reichen die Maßnahmen, um in Jahrzehnten aufgetürmte Versäumnisse wettzumachen und dem BAföG nachhaltig zu alter Stärke zu verhelfen? Und sind diese im Speziellen dazu angetan, den Kreis der Geförderten maßgeblich und dauerhaft auszuweiten, so dass vor allem jene Bevölkerungsschichten erreicht werden, die aufgrund ihrer sozialen Herkunft einen unterprivilegierten Zugang zu Bildung haben?
Mickrige Erhöhung bei Bedarfssätzen
Der DGB, das Deutsche Studentenwerk (DSW) als Dachverband der 58 örtlichen Studenten- und Studierendenwerke sowie Studierendenvertreter melden hier erhebliche Zweifel an. Die Verbände begrüßen zwar vom Grundsatz her die Ausrichtung der Vorhaben, halten diese aber in weiten Teilen für nicht weitreichend genug. Insbesondere betrifft dies die geplante Erhöhung der Regelsätze um lediglich fünf Prozent, worin etwa DSW-Generalsekretär Matthias Anbuhl die „auffälligste Schwachstelle“ des Gesetzentwurfes ausmacht. „Diese recht mickrige Erhöhung dürfte durch die aktuelle Inflation gleich wieder aufgefressen werden, zumal die Verbraucherpreise insbesondere für Energie und Lebensmittel weiter steigen dürften“, äußerte sich Anbuhl am Mittwoch und weiter: „Diese Minimalkorrektur reicht bei weitem nicht aus.“
„Da muss die Ministerin noch deutlich nachlegen“, befand die stellvertretende DGB-Bundesvorsitzende Elke Hannack in einer Medienmitteilung vom Dienstag. Angemessen wären demnach eine „pauschale Erhöhung der Bedarfssätze um 150 Euro und ein Mietkostenzuschuss analog des Wohngeldgesetzes“. Dabei solle der Satz gemäß den Bedingungen der jeweiligen Wohnungsmärkte „regional gestaffelt“ werden. Dass die Förderung weiterhin zur Hälfte auf Darlehensbasis erfolgen solle, sei insbesondere für Menschen aus besonders einkommensschwachen Elternhäusern „eine Hiobsbotschaft“. Gerade diese Zielgruppe „werde von der Aussicht auf einen Schuldenberg zum Start des Berufsleben abgeschreckt, überhaupt ein Studium aufzunehmen“.
Dicker Zuschlag bei Freibeträgen auf das Elterneinkommen
Angetan zeigen sich der DGB und das DSW allerdings von der Ankündigung, den Elternfreibetrag um einen Fünftel auf 2.400 Euro anzuheben. Wessen Eltern ein solches beziehungsweise niedrigeres Monatseinkommen beziehen, hätten künftig Anrecht auf den BAföG-Höchstsatz von 809 Euro, sofern sie alleine wohnen. Das sei eine „echte Hausnummer“ und mache Hoffnung auf eine Trendwende bei den Gefördertenzahlen, erklärte Anbuhl. DGB-Vorstand Hannack nannte den Schritt „stark“ und einen „wichtigen Schritt in die richtige Richtung“. Dasselbe gelte für die Anhebung der Altersgrenze auf 45 Jahre. Das DSW mahnte jedoch, „auch in der ‚zweiten Stufe‘ der BAföG-Reform später in dieser Legislaturperiode“ bei den Elternfreibeträgen noch einmal draufzusatteln. Anbuhl: „Das darf kein Einmaleffekt sein.“
Woher er die Gewissheit nimmt, die geplante Novelle könnte nur der Auftakt zu einem noch umfassenderen Reformwerk durch die Ampel sein, sei dahin gestellt. Anbuhl jedenfalls hält es für „richtig“, in zwei Schritten vorzugehen: erst eine schnelle Novelle „mit quantitativen Anhebungen, damit den Studierenden nicht weitere BAföG-Nullrunden zugemutet werden müssen, dann in einem zweiten Schritt eine grundlegende Strukturreform, um das BAföG an die Studien- und Lebenswirklichkeit der Studierenden anzupassen und es elternunabhängiger, einfacher und digitaler zu machen“. So habe dies auch Stark-Watzinger vor, bemerkte Anbuhl.
Warten auf Reform Nr. 2
Hoffentlich täuscht er sich dabei nicht. Zum Beispiel sei daran erinnert, dass die Pandemie nicht überwunden ist und die entsprechende Rechnung für den Steuerzahler noch aussteht. Auch ist nicht absehbar, welche Kosten der Ukraine-Krieg noch verursachen und wie die angekündigte milliardenschwere Aufrüstung der Bundeswehr zu bezahlen sein wird. Bei den bevorstehenden Herausforderungen dürften gleich zwei BAföG-Nachschläge binnen vier Jahren jedenfalls nicht ganz oben auf der Prioritätenliste der Regierung stehen. Aber warten wir es ab.
Längst nicht ausgemacht ist ferner, dass allein mit der Anhebung der Elternfreibeträge die Zahl der Leistungsbezieher in die Höhe schießt. Förderberechtigte gab es auch bisher schon reichlich. Allerdings machten zuletzt immer weniger von ihrem Anrecht Gebrauch, was sich wohl in erster Linie mit den zu geringen Fördersummen erklärt, also damit, dass sich der Aufwand nicht lohnt und die Aussicht auf jahrelange Verschuldung abschreckt. Auch die immer wieder jahrelang versäumten Anpassungen erklären die Skepsis der potentiellen Antragsteller.
Wieder kein Automatismus
An diesen Punkten setzt Stark-Watzinger aber gerade nicht an: Fünf Prozent höhere Bezüge werden voraussichtlich nicht einmal die Teuerung im Bereich Energie und Lebensmitteln kompensieren und eine Umstellung auf eine Vollförderung steht auch nicht auf der Regierungsagenda. Außerdem hat die Ministerin einmal mehr die zentrale Forderung von Kritikern nach einer regelmäßigen Anpassung der Bedarfssätze und Freibeträge in den Wind geschlagen. Hierin sieht dann auch das DSW eine von drei entscheidenden Lücken bei dem Gesetzesvorhaben. Die zwei weiteren sind: „Die Bedingungen des BAföG müssen dringend den veränderten Studien- und Lebensbedingungen angepasst werden und das BAföG muss einfacher und digitaler werden.“
In Reihen der organisierten Studierendenschaft ist man auf ganzer Linie enttäuscht. Im Grunde würde damit lediglich eine Anpassung nachgeholt, „die schon seit Jahren nötig wäre“, äußerte sich am Donnerstag Lone Grotheer vom „freien zusammschluss von student*innenschaften“ (fzs) in einer gemeinsamen Pressemitteilung mehrerer Studierendenverbände. Damit werde nicht einmal die Inflation ausgeglichen und notwendige Ausgaben für digitale Lernmittel seien „nur unzureichend“ berücksichtigt. Desgleichen bleibe die Anhebung des Wohnkostenzuschusses „weit hinter“ den Erfordernissen zurück. Fehlen würden überdies Maßnahmen, die Studierende „von der Angst vor der Schuldenfalle erlösen oder den immensen Leistungsdruck reduzieren“.
Keine Spur von Notfallmechanismus
Um dem „Reförmchen“ auf die Sprünge zu helfen, müssten dringend weitere Rezepte folgen, ergänzte Maret Speemann vom Bundesvorstand von Campusgrün. „Wir fordern daher eine verbindliche Zusage und haushalterische Vorbereitung für einen weiteren wirklichen Reformschritt, sollten die vorliegenden Pläne nicht noch deutlich verbessert werden.“ Dabei müsste es nicht nur eine erneute Erhöhung der Bedarfssätze geben, auch die strukturellen Probleme sollten aktiv angegangen werden. „Denn genau das fehlt in den aktuellen Plänen fast gänzlich.“
Was fehlt noch? Der von vielen Seiten geforderte sogenannte Notfallmechanismus im BAföG ist in Stark-Watzingers Entwurf praktisch nicht existent. Festgehalten ist darin lediglich, dass die Förderungshöchstdauer in „außergewöhnlichen Krisensituationen mit überregionalen schwerwiegenden Beeinträchtigungen des Lehrbetriebs“ per Verordnung verlängert werden kann. Das geschah in der Corona-Krise wiederholt, nur soll dies künftig der Bundesregierung per Ermächtigung obliegen.
Erwartet wurde dagegen eine Art BAföG für alle, auch für nicht Anspruchsberechtigte, in Fällen wie dem erlebten, dass plötzlich über Nacht massenhaft Studierende in Existenznöte geraten. Im Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP ist das Vorhaben festgeschrieben, allerdings ohne jede Präzisierung. Wie für vieles andere gilt hier: Kann ja noch werden – oder auch nicht. (rw)