Kalte Dusche und heißer Herbst?Warten auf drittes Entlastungspaket
Noch mitten im wärmsten Spätsommer lässt die Aussicht auf den Herbst und Winter viele Studierende in Deutschland frösteln. Angesichts historisch hoher Kosten für Energie und Lebensmittel sorgen sich nicht wenige um ihre nackte Existenz. Was, wenn die Preisrallye an den Strom- und Gasmärkten nicht bald ein Ende hat? Wie sich selbst über Wasser halten, während alles ständig teurer wird und schon mögliche Nachzahlungen für Heizung oder Warmwasser das knappe Budget sprengen könnten?
Zuletzt förderte eine Umfrage unter den großen Studentenwerken in Bayern Unzumutbares zu Tage: Demnach rechnen diese mit steigenden Nebenkosten im Abrechnungsjahr 2021/22 in der Größenordnung zwischen 20 bis 40 Prozent. Im darauffolgenden Jahr drohten sich die Ausgaben weiter zu erhöhen. Für die Standorte in München, dem ohnehin schon teuersten Pflaster in Deutschland, wird gar ein Plus von bis zu 50 Prozent erwartet.
Ampel will liefern
Bei weiter ausbleibendem Beistand durch die Politik werden die Mehrkosten wohl voll auf die Wohnheimpreise durchschlagen. Die Studentenwerke pfiffen schon lange vor der Pandemie und dem Ukraine-Krieg auf dem letzten Loch. Mit den neuen Krisen geht es jetzt so richtig ans Eingemachte, wovon der Normalstudent allerdings nichts im Keller stehen hat. Bei manch einem könnte es deshalb bald nicht mal mehr für die tägliche Ration Dosenravioli reichen.
Und so sind die Blicke gebannt nach Berlin gerichtet, wo die Ampelkoalitionäre zeitnah weitere Erleichterungen für die Bürgerinnen und Bürger auftischen wollen. Dabei sollen diesmal sogar die Studierenden etwas abbekommen, also alle und nicht nur ein paar wenige. Bei den ersten beiden Entlastungspaketen haben lediglich Empfänger von Bundesausbildungsförderung (BAföG), und dabei nur die nicht bei ihren Eltern wohnhaften, eine Schnitte gemacht. Dazu noch diejenigen, die neben dem Studium steuerpflichtig arbeiten. Ihnen stehen der Heizkostenzuschuss von 230 Euro und/oder eine Energiepreispauschale von 300 Euro zu.
Allerdings ist das Geld noch längst nicht bei jedem Anspruchsberechtigten angekommen. Für die Auszahlung sind die Bundesländer zuständig und im Föderalismus mahlen die Mühlen manchmal ziemlich langsam. Während sich etwa in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen anspruchsberechtigte BAföG-Empfänger schon freuen konnten, soll es in Hessen erst im September los gehen. Berlin, Bremen und Thüringen haben offenbar noch nicht ausgezahlt, wann sich das ändert, ist unbekannt.
Warten auf den Heizkostenzuschuss
Baden-Württemberg will die Betroffenen offenbar bis Ende Oktober vertrösten. Bis dahin wären satte neun Monate seit Beschlussfassung durch das Bundeskabinett vergangen, viel Zeit, in der man sich an der langen Vorfreude hat erwärmen können. Zumal zum Zahltag dann ja auch schon wieder die kalte Jahreszeit angebrochen ist. So kommt im Ländle dann auch keiner in Versuchung, die edle Spende vorab zweckzuentfremden – zum Beispiel um sich damit etwas zum Essen zu kaufen.
Endlich substanzielle Hilfen für sämtliche Hochschüler in Deutschland hat zu seinem Amtsantritt der neue Bundesvorstand des „freien zusammenschlusses von student*innenschaften“ (fzs) gefordert. „Horrende Strom- und Gasnachzahlungen werden Studierende in finanzielle Notlagen stürzen und die bestehenden prekären Lebensumstände noch verstärken“, erklärte Carlotta Eklöh am Donnerstag per Pressemitteilung.
Ihr Verband mahnt „strukturelle Weitsicht“ bei der finanziellen Unterstützung an, statt auf kurzatmige Maßnahmen zu setzen. „Entlastungspakete stellen kaum eine Entlastung dar, vor allem dann nicht, wenn sie Monate auf sich warten lassen.“ Schon während der Corona-Krise hatte die Politik die Studierenden weitgehend sich selbst überlassen und mit den viel zu spät aufgelegten „Überbrückungshilfen“ nur unzureichende Linderung verschafft.
Pesto-Nudeln unerschwinglich
Mit der Rekordinflation sind die pandemiegebeutelten Studierenden nahtlos in die nächste Misere geschlittert, die einmal mehr und vielleicht noch heftiger ans Existenzielle geht. In Eklöhs Worten: „Wenn du dir nicht mal mehr Nudeln mit Pesto leisten kannst, hast du keine Zeit, auf die nächste Einmalzahlung zu warten.“
Das Landes-ASten-Treffen (LAT) Nordrhein-Westfalen pocht angesichts der verbreiteten Nöte auf eine „Soforthilfe von 1.000 Euro“ durch den Bund. Die so gewonnene Zeit müsse dazu genutzt werden, „das BAföG grundlegend zu reformieren“, sprich in einen Vollzuschuss umzuwandeln, teilte der Verband am Mittwoch mit.
Zudem müsse es eine Entlastung bei den Semesterbeiträgen geben sowie eine Neuauflage des Neun-Euro-Tickets zur Nutzung des Öffentlichen Personennahverkehrs. Ferner sei das Land NRW gefragt, „die Studierendenwerke in dieser schwierigen Zeit zu unterstützen, damit sie ihre sozialen Leistungen im Bereich des Wohnens und der Gastronomie aufrechterhalten können“.
Österreich macht`s vor
Für ein „Entlastungspaket für alle“ plädierte am Montag auch das Deutsche Studentenwerk (DSW) als Dachorganisation der 57 Studenten- und Studierendenwerke. Weil bei den galoppierenden Preisen viele in eine „soziale Notlage“ zu geraten drohten, wären Direktzahlungen, ein regelmäßiger Inflationsausgleich beim BAföG sowie ein kurzfristiges Plus bei den BAföG-Bedarfssätzen erforderlich. Außerdem müssten die Länder bei den Zuwendungen für die Studentenwerke nachlegen, „damit die Mieten in den Wohnheimen und die Preise in den Mensen nicht noch weiter steigen müssen“.
Als vorbildlich würdigte Generalsekretär Matthias Anbuhl das Vorgehen Österreichs. Dort habe die Regierung neben „schnellen Direkthilfen (...) eine automatische Anpassung der Studienbeihilfe an die Inflation und eine kurzfristige Anhebung der Sätze um bis zu zwölf Prozent“ beschlossen. „Diesen Weg muss Deutschland auch beschreiten“, bekräftigte der Verbandsfunktionär. Spätestens seit 2010 hielten die BAföG-Sätze nicht mehr mit der Entwicklung von Preisen und Einkommen Schritt.
Das gilt dieser Tage mehr denn je und weil es die (wahrscheinlich) kommenden Staatshilfen ziemlich sicher wieder zu spät und in der Höhe wohl auch unzureichend geben wird, ist guter Rat teuer – oder noch besser: billig. Am Donnerstag startete das DSW deshalb die Kampagne „Flip the Switch“ („Leg den Schalter um“), die speziell die rund 200.000 in staatlichen Wohnheimen lebenden Studierenden zum Energiesparen ermuntern soll.
Schalter umlegen – am Herd und im Kopf
„Wir hoffen auf eine Bewusstseins- und Verhaltensänderung, also den Schalter im Kopf umlegen zu können, um gemeinsam gut durch die Krise zu kommen“, äußerte DSW-Vorstand Anbuhl gestern in einer Medienmitteilung. Bestandteile der Aktion sind nützliche Spartipps auf der begleitenden Webseite myenergychallenge.de, Plakate, Flyer, Sticker sowie eine sogenannte Social-Media-Challenge auf Instagram.
Dabei sollen sich Studierende unter dem Hashtag #myenergchallenge gegenseitig zu Maßnahmen herausfordern, mit denen sich die Kosten für Gas, Strom und Heizung drücken lassen. „Das kann zum Beispiel eine Aufforderung zum kalten Duschen sein, zum dauerhaften Herunterdrehen der Raumtemperatur oder zum Verzicht aufs Haareföhnen“, erläuterte Anbuhl.
Aber Vorsicht! Nicht dass man beim Wetteifern übers Ziel hinausschießt. Ein kaltes Bad mag schon mal prickelnd sein und eine Nacht bei zehn Grad ein Muntermacher. Auf Dauer kann das jedoch ermüden und der Gesundheit zusetzen, was das Elend nur noch größer macht.
Zumal es vielleicht noch andere Wege gibt, in der frostigen Zeit zu bestehen. Für nächsten Montag ruft ein Bündnis aus linken Organisationen unter Regie der NaturFreunde Berlin zu einer Kundgebung vor der Bundeszentrale der Grünen-Partei in Berlin-Mitte auf. Motto: „Genug ist genug – Protestieren, statt frieren! Heizung, Brot und Frieden!“
Konzerne mit Rekordprofiten
Hintergrund ist der, dass einige Energie- und Rohstoffkonzerne im Windschatten von Corona und Ukraine-Krieg nie dagewesene Milliardenprofite anhäufen, während laut Demoaufruf die „Arbeiterinnen und Arbeiter, Handwerkerinnen und Handwerker, Angestellten, Arbeitslosen, kleinen Selbstständigen, Kleingewerbetreibenden, Geflüchteten und Armen“ dafür die „Zeche zahlen“.
Unter anderem ist das auf die vom grünen Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck initiierte „unsoziale Gasumlage“ gemünzt, an deren Ausgestaltung Branchenvertreter direkt beteiligt gewesen sein sollen. In einer Reihe anderer Länder Europas werden die Krisengewinnler dagegen mit einer Übergewinnsteuer zur Kasse gebeten. Nicht so in Deutschland – jedenfalls bisher.
Es bleibt abzuwarten, was aus dem Protest wird und ob daraus womöglich eine größere Bewegung erwächst. Wäre dem so, könnten der Herbst und Winter doch noch richtig heiß werden – selbst bei Schnee und Eis. (rw)