Ansage in der Not„Wir brauchen das Geld jetzt und monatlich!“
Große Nöte, starke Forderungen. Drei namhafte Studierendenverbände appellieren an die Regierenden in Bund und Ländern, die knapp 2,9 Millionen Hochschüler in Deutschland in der aktuellen Krise über den bisher beschlossenen Rahmen hinaus zu unterstützen. Unter anderem verlangen sie monatliche Zuschüsse zur Überbrückung der kalten Jahreszeit, ein kostengünstiges Nachfolgemodell zum Neun-Euro-Ticket sowie endlich wirksame Maßnahmen gegen den grassierenden Wohnraummangel.
Ihren Forderungskatalog unter dem Motto „Weg mit der Bildungsbremse!“ haben am Montag der „freie zusammenschluss von student*innenschaften“ (fzs), die SPD-nahen Juso- Hochschulgruppen und der Bundesverband grün-alternativer Hochschulgruppen Campusgrün vorgelegt. Angesichts der anhaltend steigenden Kosten für Energie, Lebensmittel und Mieten müsse die Politik in den nächsten Wochen die „entscheidenden Weichen für studierendenfreundliche Lösungen stellen und so schnell wie möglich unbürokratisch umsetzen“, heißt es in der begleitenden Pressemitteilung.
Drei Pakete, wenig Inhalt
Bislang hat die Bundesregierung drei sogenannte Entlastungspakete zur Abfederung der Folgen durch die Rekordinflation aufgelegt. Bei den ersten beiden kamen lediglich Leistungsberechtigte nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) sowie Studierende mit steuerpflichtigem Job zum Zug. Allerdings wurde der erste Heizkostenzuschuss von 230 Euro noch nicht überall überwiesen, was sicher für Bremen gilt. Aus Bayern ist bekannt, dass die Bezieher von Auslands-BAföG für Österreich ebenfalls auf die Auszahlung warten.
Mit ihrem dritten Paket will die Ampelregierung erstmals sämtliche Studierenden mit einer Zuwendung von einmalig 200 Euro bedenken. Wobei bis zur Umsetzung auch in diesem Fall noch Monate ins Land gehen könnten. Zuletzt überraschte das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) mit der Ankündigung, BAföG-Empfängern darüber hinaus einen Heizkostenzuschuss II in Höhe von weiteren 345 Euro zu gewähren.
Da allerdings lediglich elf Prozent aller Hochschüler BAföG beanspruchen, hat der große Rest nichts von dem Bonus. Vielmehr sollen über 2,5 Millionen Studierende nach aktuellem Stand mit einem Zuschlag von 200 Euro durch die kalte Jahreszeit kommen. Ob, wie und wann sie zusätzlich von den am Montag vorgestellten Empfehlungen der „Gaskommission“ profitieren werden, ist noch offen. Die Rede ist von einer staatlichen Übernahme der Abschlagszahlung für Gas und Fernwärme für Dezember sowie einer Energiepreisbremse, die spätestens Ende April 2023 greifen soll.
Nachhaltige Maßnahmen statt Einmalzahlungen
Beim Bündnis aus fzs, Juso-Hochschulgruppen und Campusgrün wünscht man sich statt kurzatmiger Hilfen mit Verfallsdatum solche mit Nachhaltig- und Verlässlichkeit. „Es braucht verstetigte finanzielle Entlastungen für alle Studierenden.“ Aufbauend auf dem 200-Euro-Zuschuss müssten die Zahlungen „schnell, unbürokratisch und monatlich“ erfolgen. „Zusätzlich sind die Anhebungen von Grundbedarf, Wohnpauschlae und ein Inflationsausgleich im BAföG längst überfällig.“
Zuspruch gibt es von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). „Mit einmaligen und kleinteiligen Heizkostenzuschlägen und Energiepauschalen irgendwann im neuen Jahr ist es nicht getan“, äußerte sich am Dienstag der stellvertretende Vorsitzende Andreas Keller gegenüber Studis Online. „Die Energiekrise und die Inflation setzen Studierende jetzt massiv unter Druck und sie brauchen daher jetzt schnelle Hilfe, die sie durch den Winter bringt.“
Die geplante 29. BAföG-Novelle müsse vorgezogen und der jüngst beschlossene Notfallmechanismus im BAföG für alle aktuell in Not befindlichen Studierenden geöffnet werden, führte der Gewerkschafter aus. Tatsächlich greift das Gesetz lediglich im Fall „erheblicher Nachfrageeinbrüche auf dem Arbeitsmarkt für ausbildungsbegleitende Erwerbstätigkeiten“. Damit ist es in der aktuellen Inflationskrise – zumindest bisher – praktisch nutzlos.
Mietpauschale „reicht hinten und vorne nicht“
Bereits in der Vorwoche hatte der fzs gemeinsam mit den Landesstudierendenvertretungen aus Bayern, Thüringen, Brandenburg, Sachsen-Anhalt, Sachsen, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen die Unzulänglichkeiten der bisherigen Krisenpolitik beanstandet und bekräftigt: „Wir brauchen das Geld jetzt und monatlich!“ So würden die Ausgaben auch mit der avisierten Gaspreisbremse nicht mehr auf das Niveau vom Jahresanfang 2022 zurückfallen, stellten die Beteiligten klar. Ergänzen ließe sich, dass die horrende Teuerung bei den Lebensmitteln damit gar nicht abgefedert würde. Und dass auch bei den Mieten keine Erleichterungen geplant sind.
Vor fünf Tagen schlug das Deutsche Studentenwerk (DSW) Alarm. Demnach standen Mitte September 35.000 Studierende auf den Wartelisten um einen staatlichen Wohnheimplatz. Der Mangel an bezahlbarem Wohnraum sei ein „Riesen-Problem“, bemerkte DSW-Generalsekretär Matthias Anbuhl. Die „BAföG-Wohnkostenpauschale von 360 Euro im Monat reicht in den allermeisten Hochschulstädten vorne und hinten nicht.“
Passend dazu mahnt das Bündnis aus Studierendenvertretern eine radikale wohnungspolitische Wende an mit der Zielrichtung, die seit Beginn der 2000er-Jahre auf Länderebene erfolgte Privatisierung riesiger Wohnungsbestände rückgängig zu machen. „Wenn diese Krise eines zeigt: Dann, dass zentrale Infrastruktur in staatliche Hand gehört. Denn nur so kann Wohnraum langfristig günstig und somit eine freie Hochschulwahl garantiert werden.“
Nebenkostendeckel?
Ebenfalls an die Bundesländer richtet sich der Vorwurf, Investitionen in die Hochschulinfrastruktur vernachlässigt zu haben. Studierenden könne „unmittelbar über die Studierendenwerke geholfen werden“, heißt es in besagtem Forderungskatalog. „Dafür müssen ihnen für Angebote wie Härtefallfonds, Psychosozial- und Finanzberatung sowie Wohnheime ausreichend Ressourcen zur Verfügung stehen.“ Dann könnten diese die „Mensapreise einfrieren und weitere Kostensteigerungen durch Miete und vieles mehr abfedern“.
Tatsächlich sollen die Preise für Essen und Wohnen vielerorts und zum Teil deutlich angehoben werden. Dasselbe Bild zeichnet sich bei den Nebenkostenabrechnungen auf dem freien Wohnungsmarkt ab. Das Branchenportal Mineko prognostiziert einen Anstieg von 2.93 Euro pro Quadratmeter auf 6,40 Euro.
Vor diesem Hintergrund hat Lena Härtl, Sprecherin der Bayerischen Landesstudierendenvertretung, für mehr Kreativität beim Krisenmanagement plädiert. „Mit einem Sonderfond für die Nebenkosten können wir den Studierenden das Leben wieder bezahlbarer machen. Allein schon die Möglichkeit einer zinsfreien Kreditaufnahme oder auch Zuschüssen für diesen Zweck könnte unzähligen Studierenden helfen.“ Denkbar wäre auch ein „Nebenkostendeckel“.
Schluss mit Schuldenbremse
Großes Geschütz fährt das Bündnis mit seiner Forderung nach Aussetzung der sogenannten Schuldenbremse auf, die wie eine „Bildungsbremse“ wirke. Denn nur ohne diese könnten „Bund und Länder wirksam und ernsthaft unterstützen und agieren“. Derzeit gibt es innerhalb der Ampelkoalition Unstimmigkeiten, ob und wie mit dem Instrument weiter verfahren wird. Während die FDP auf die Einhaltung pocht, wollen SPD und Grüne zumindest vorübergehend davon Abstand nehmen.
Die im Grundgesetz und den Landesverfassungen verankerte Regel soll zu Haushaltsdisziplin verpflichten, um so die nachfolgenden Generationen vor zu hohen Schuldenbergen zu bewahren. So jedenfalls lautet die offizielle Begründung. Tatsächlich vollzieht sich unter diesem Vorwand seit Jahren ein verhängnisvoller Trend zu noch weniger öffentlichen Investitionen in Bereichen der gesellschaftlichen Daseinsvorsorge – Gesundheit, Bildung, Verwaltung – sowie eine forcierte Privatisierung ehemals staatlicher Aufgaben.
Die Forderung nach Überwindung der Schuldenbremse ist deshalb durchaus zu begrüßen, zumal dann, wenn Bund, Länder und Gemeinden zugleich höhere Einnahmen generierten, indem man etwa Best- und Superverdiener sowie Konzerngewinne höher und große Vermögen überhaupt besteuert. Schulden- und „Steuerbremse“ sind deshalb zwei Seiten einer Medaille. Wer sich mehr Handlungs- und Gestaltungsspielräume des Staates wünscht und nicht länger mitansehen will, wie Schulgebäude zerfallen und Krankenhäuser schließen oder an Klinikketten verkauft werden, sollte für die Abschaffung beider das Wort ergreifen.
„49-Euro-Ticket ist zu wenig“
Das gilt auch für den Bereich Mobilität, der für viele Studierende einen starken Kostenfaktor darstellt. Kaum war das bundesweite Neun-Euro-Ticket Ende August ausgelaufen, haben sich die Fahrpreise im Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) vielerorts erhöht. In München etwa werden für das Semesterticket sieben Prozent mehr fällig, in Erfurt gar 12 Prozent, was das zumeist schmale Budget der Betroffenen noch weiter strapaziert.
Entsprechend fordert das Bündnis eine rasche Anschlusslösung zum Neun-Euro-Ticket, das „ein voller Erfolg – besonders für uns Studierende“ gewesen sei. „Neben klimafreundlichen Entlastungen garantiert ein kostenfreier oder stark kostenreduzierter ÖPNV nach dem Solidarprinzip allen Studierenden umfassende Mobilität unabhängig vom Geldbeutel.“ Das Angebot müsse für alle Hochschüler entlastend sein und dürfe aktuelle Semesterticketpreise nicht übersteigen. „Ein 49-Euro-Ticket ist da zu wenig.“
Hochschulen offen halten
Mit Blick auf den Winter und die leidigen Erfahrungen während der Pandemie dringt das Bündnis außerdem darauf, die Hochschulen offen zu halten. Deswegen müssten nicht nur Räume für Veranstaltungen, sondern auch Bibliotheken zum Arbeiten und Sozialräume zum Austausch zu den regulären Öffnungszeiten zur Verfügung stehen. Dadurch könnten zentrale „Wärmestuben“ geschaffen werden.
Auch Keller von der GEW fordert eine Priorisierung der Hochschulen und Studierendenwerke bei der Gasversorgung sowie ein Bund-Länder-Programm, das diesen finanziell unter die Arme greift. Die Politik müsse jetzt tätig werden – „Schuldenbremse hin und her“. Stehe diese den notwendigen Hilfen im Wege, „ist die Aussetzung der richtige Weg“. Ohnehin habe die GEW das Instrument „schon immer für eine Bildungsbremse gehalten, die aus Grundgesetz und Länderverfassungen gestrichen gehört“. (rw)