Stillstand für studentische MobilitätKein Bildungsticket, kein Upgrade auf 49 €-Ticket

Seit klar ist, dass es demnächst ein sogenanntes Deutschlandticket in der Nachfolge des im Sommer in Massen genutzten Neun-Euro-Tarifs geben wird, steht das Thema auch an den Hochschulen hoch im Kurs. Wenn es bald in der ganzen Republik ein einheitliches und vergünstigtes Angebot im öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) für Otto Normalverbraucher gibt – müsste das für Studierende dann nicht genauso drin sein?
Anfang November suchte der „freie zusammenschluss von student*innenschaften“ (fzs) sein Heil in der Offensive. Mit der Devise „Nicht den Anschluss verpassen“ stellte die studentische Dachorganisation die Forderung nach einem „bundesweiten Bildungsticket“ zum Preis von monatlich 29 Euro auf.
49 Euro sind zu viel!
„49 Euro sind zu viel“, heißt es in dem von über 40 örtlichen Studierendenvertretungen und vielen Landes-Asten-Konferenzen unterstützten Aufruf und weiter: „Das Ticket stellt somit für die meisten Studierenden keine finanzielle Entlastung dar. Dabei würde ein erschwingliches, bundesweit gültiges Ticket für viele eine klare Erleichterung des Alltags bedeuten.“ Statt dessen zeichne sich trotz ihrer vielfach prekären ökonomischen Lage einmal mehr die Tendenz ab, „dass sie in zentralen politischen Fragen ignoriert werden“.
Am vorvergangenen Donnerstag legte das Landes-ASten-Treffen Nordrhein-Westfalen (LAT NRW) mit einer Pressemitteilung nach: Sollte das NRW-Semesterticket in Preisstruktur und Leistungsangebot künftig neben dem 49-Euro-Ticket erhalten bleiben, sei „mit studentischen Klagen gegen die Rechtmäßigkeit des Tickets zu rechnen“.
Dabei stünden die Erfolgsaussichten nicht einmal schlecht. In früheren Streitfällen hat das Bundesverwaltungsgericht die Zulässigkeit der Kosten an ein angemessenes Verhältnis zwischen den Belastungen der Betroffenen zu den ihnen und der Allgemeinheit entstehenden Vorteilen gebunden.
Kostenabstandsgebot
Aktuelle Semesterticket-Preise
In München zahlen alle Studis 72 € Sockelbetrag und nochmals 209,30 € für das Vollticket – insgesamt 281,30 €/Semester. Gesamter MVV, aber nicht mehr.
In Nordrhein-Westfalen ist der Preis zwar nicht einheitlich, aber fast überall um die 200 €/Semester – für den Nahverkehr in ganz NRW!
Ähnlich ist der Preis in Berlin: ca. 200 €/Semester für Berlin ABC (also Berlin, Potsdam und einige Orte rund herum, aber leider nicht ganz Brandenburg).
Günstigere Semestertickets gibt es – sofern es dort überhaupt ein Semesterticket gibt – oft in kleineren Städten. So beispielsweise in Bamberg: Für lediglich 43,80 €/Semester kann das ganze Semester in Bamberg (Stadt+Landkreis) der Nahverkehr – Busse und Nahverkehrszüge – genutzt werden.
Die Frage der Verhältnismäßigkeit stellt sich nicht allein aufgrund der massiven finanziellen Zumutungen durch die aktuelle Inflationskrise. Hinzu kommt das, was bisher stets als ein Art von Kostenabstandsgebot selbstverständlich war: Mit einem für die Allgemeinheit verbilligten ÖPNV müsste eigentlich im selben Umfang der Preis für die studentische Mobilität gesenkt werden. Schließlich kann es nicht angehen, dass alle entlastet werden – nur Studierende nicht.
Das LAT-NRW hält daher eine Anpassung an die bald neue Tariflandschaft für „unerlässlich“ und plädiert für einen Einheitspreis von 129 Euro fürs halbe Jahr. An Rhein und Ruhr liegen die Aufwendungen für das Semesterticket, das in der Regel im jeweiligen Verkehrsverbund und darüber hinaus im ganzen NRW-Nahverkehr gültig ist, bei 30 bis 40 Euro pro Monat und damit zwischen 180 und 240 Euro pro Semester. Die bei Umsetzung fällige Vergünstigung würde sich damit in der Größenordnung zwischen 50 und 110 Euro bewegen.
Das LAT bestreitet nicht, dass das Deutschlandticket potenziell für Studierende attraktiv sein könnte, etwa für jene, die viel auf Achse sind, fernab vom Elternhaus studieren oder als Auswärtige für ihr Studium täglich nach NRW einreisen müssen. Für sie wäre das 49-Euro-Ticket mithin eine große Erleichterung und das noch viel mehr, sollten sie zugleich von der zwangsweisen Zahlung des Semestertickets befreit werden.
Semestertickets in Gefahr?
Hier sieht das LAT dann auch eine Gefahr aufziehen dahingehend, dass das Deutschlandticket gegen das Solidarprinzip bei der Finanzierung des Semestertickets in Stellung gebracht werden könnte und künftig jeder Studierende auf dieses für die allermeisten von ihnen teurere Angebot zugreifen müsste. Zweck des Semestertickets sei jedoch die „jederzeit verfügbare nachhaltige und günstige Mobilität für alle Studierenden“, womit es „ein wichtiger Bestandteil für Bildungsgerechtigkeit, insbesondere für finanziell schlechter gestellte Studierende“ sei, erklärte das LAT.
Die Studierendenvertreter warnen vor zwei gleichermaßen schlechten Alternativen: „Ein Wegfall des Semestertickets würde für die meisten Studierenden eine erhebliche Mehrbelastung darstellen, die nicht tragbar ist.“ Gleichzeitig sei es nicht zumutbar, „dass Studierende, die im Grenzgebiet wohnen oder für ein Praktikum oder ähnliches außerhalb des Bundeslands unterwegs sind, für ein NRW-Semesterticket sowie ein Deutschlandticket zahlen müssen.“
Um allen Interessen gerecht zu werden, bleibt unter den mit dem Deutschlandticket veränderten Rahmenbedingungen und aus Gründen der Fairness eigentlich nur ein bundesweites Bildungsticket zu einem Preis unterhalb von 49 Euro – seien es 129 Euro in sechs Monaten gemäß LAT-Vorschlag oder 174 Euro, wie fzs und andere empfehlen.
Sonst gibt es am Ende vielleicht manche Semestertickets gar nicht mehr – gerade in München ist die Differenz zwischen 49-Euro-Ticket (=294 Euro/Semester) und Vollticket so gering, dass sich die Studierenden wohl nicht auf Dauer auf einen Sockelbetrag von 72 Euro einlassen werden, der kaum mehr Vorteile bringt, da das Vollticket (inkl. Sockelbetrag) 281,30 Euro kostet.
Bundesregierung drückt sich
Aber gibt in dieser Richtung Überlegungen oder gar konkrete Pläne im Bund, in den Ländern oder bei den zuständigen Verkehrsverbünden? Studis Online hat nachgefragt und Ernüchterndes in Erfahrung gebracht. Das geht damit los, dass man sich beim Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV) nicht zuständig fühlt, was man so deuten muss, dass eine große bundesweite Lösung offenbar nicht einmal angedacht ist.
Die Verantwortung liegt nach Ministeriumsangaben vielmehr bei den Bundesländern. „49 Euro heißt nicht, dass jeder zwingend so viel bezahlen muss“, äußerte sich ein Sprecher. Den Ländern sei es „unbenommen, weitere Vergünstigungen etwa für Azubis-, Schüler- oder Sozialtickets vorzunehmen“. Derzeit liefen „noch Überprüfungen, welche technischen Möglichkeiten am schnellsten umzusetzen sind“.
Zum Hintergrund: Vor ihrer Einigung zum Deutschlandticket haben Bund und Länder schwer miteinander gerungen. Die prognostizierten Gesamtausgaben von drei Milliarden Euro wollen sich beide Seiten je zur Hälfte teilen. Ihre Zustimmung haben die Länder nur gegen die Zusage des Bundes gegeben, die sogenannten Regionalisierungsmittel zur Finanzierung des Schienenpersonennahverkehrs substanziell zu erhöhen.
Finanzierungspoker
Bereits jetzt werden Stimmen laut, die in Aussicht gestellten Mittel wären nicht ausreichend. Der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) warnt gar vor einem Scheitern des Vorhabens, sollten Bund und Länder die Einnahmeverluste und Zusatzkosten der Nahverkehrsunternehmen nicht vollständig und dauerhaft ausgleichen.
Unter diesen Bedingungen eines ohnehin knapp kalkulierten Projekts erscheinen zusätzliche Forderungen nach einem bundesweiten Bildungsticket ziemlich illusorisch. Nach Aussage einer Sprecherin des Münchner Verkehrs- und Tarifverbunds (MVV) ist der ÖPNV „eine stark defizitäre Branche“. Würde man das Deutschlandticket „um noch günstigere Sonderangebote zum Beispiel für Studierende erweitern, müsste die zusätzlich entstehende Lücke den Verkehrsunternehmen ausgeglichen werden – was derzeit nicht vorgesehen ist“.
Ein Sprecher des Verkehrsverbunds Rhein-Neckar verwies auf das Anfang November zwischen Bund und Ländern verabschiedete Eckpunktepapier. Darüberhinausgehende Konzepte einer „besonderen preislichen Reduzierung bei bestimmten Personengruppen“ seien ihm weder seitens der Politik noch seitens des VDVs bekannt und auch nirgends schriftlich fixiert. Gleichlautende Absagen setzte es durch mehrere Verbünde. „Ein deutschlandweit gültiges vergünstigtes Angebot ist nicht geplant“, verlautetet zum Beispiel vom Verkehrsverbund Bremen/Niedersachsen (VBN). Denn in diesem Fall „müssten weitere Ausgleichsgelder durch die Politik beschlossen werden“.
Upgrade-Modell? Bisher nicht in Sicht …
Wenigstens eine Resthoffnung auf eine Insellösung im reichen München machte besagte MVV-Sprecherin: „Es gibt immer wieder Gespräche zwischen Studierendenvertretungen und dem Freistaat, in die auch der MVV involviert ist. Diese werden sicherlich weiterhin fortgeführt, handfeste Planungen gebe es derzeit aber nicht.
Ähnlich äußerte sich Matthias Anbuhl, Generalsektretär des Deutschen Studentenwerks (DSW): „Es gibt viele Diskussionen, aber noch liegen keine konkreten Pläne vor“, befand er am Freitag im Gespräch mit Studis Online. „Dabei müssten Studierende auf jeden Fall im Gesetzgebungsverfahren mitgedacht werden.“ Wenigstens und „unbedingt“ brauche es wie zuvor beim Neun-Euro-Tarif „Anrechnungsmöglichkeiten“ zwischen den Semestertickets und dem 49-Euro-Ticket.
Für ein solches Upgrade-Modell macht sich in Berlin die dort im Senat sitzende Partei Die Linke stark. „Vorstellbar ist, dass Studierende den Differenzbetrag zum 49-Euro-Ticket zahlen und damit von dessen bundesweitem Gültigkeitsbereich profitieren können“, äußerte sich dieser Tage Christian Ronneberg, mobilitätspolitischer Sprecher seiner Fraktion im Abgeordnetenhaus.
Peinlich für die Hauptstadtregierung: Etliche Berliner Studierende haben bis heute keine Rückerstattung der von Juni bis August fürs Semesterticket zu viel entrichteten Kosten erhalten. Andererseits hat die Spreemetropole seit Oktober ein allgemein nutzbares 29-Euro-Ticket für Busse, S-, U- und Straßenbahnen im städtischen AB-Tarifbereich als Überbrückung zum kommenden Deutschlandticket im Angebot, das der Senat gerade erst bis Ende März verlängert hat.
Mehr Druck von der Straße
Schnelle und kreative Lösungen, wenn auch bisher nur auf regionaler Ebene, sind also durchaus umsetzbar, wie sich auch andernorts zeigt, etwa beim TIM-Ticket („Täglich, Immer, Mobil“) in Niedersachsen und Bremen. Den 30-Euro-Tarif gibt es allerdings nur für Schüler, Azubis und Freiwilligendienstleistende. Wieso nicht für Studierende?
Den in der Regel geringen Einnahmen der Betroffenen stünden „extrem gestiegene Kosten für Miete, Energie, Essen, Lernmittel und Krankenversicherung gegenüber und auch mit der Energiepreispauschale von 200 Euro ist in diesem Jahr nicht mehr zu rechnen“, bemerkte DSW-Vorstand Anbuhl. Daher sei eine kurzfristige Entlastung bei der Mobilität und den ÖPNV-Tickets für Studierende „dringend notwendig.“
Stand jetzt haben die Verantwortlichen jedoch nicht einmal die besagte Upgrade-Variante auf dem Schirm. „Nein, aktuell gibt es keine diesbezüglichen Pläne“, beschied die Sprecherin des Münchner Verkehrsverbunds. Was bleibt da noch? Der Druck der Straße muss erhöht werden! (rw)