Viel heiße Luft für wenig EnergieLänderkammer gibt grünes Licht für 200-Euro-Zuschuss
Es sollte „schnell“ gehen und „unbürokratisch“. Weil die rund 2,9 Millionen Studierenden und 600.000 Fachschüler in Deutschland gerade wenig zu lachen und dafür um so mehr zu leiden haben – unter horrenden Energiepreisen, überteuerten Lebensmitteln, obszön hohen Mieten –, versprach die Ampelkoalition rasche Hilfe. Überliefert ist dazu diese Äußerung aus dem Munde von Bettina Stark-Watzinger (FDP): „Als Bundesbildungsministerin ist es mir natürlich wichtiger, dass die jungen Menschen sich nicht über die Heizkostenrechnung den Kopf zerbrechen, sondern über die Hausarbeit. Dass sie sich auf ihr Studium konzentrieren können und deshalb ist für die Bundesregierung klar: Wir lassen die jungen Menschen nicht alleine.“
Alles nur Gerede. Vor über drei Monaten erfolgte der Grundsatzbeschluss von Bund und Ländern, Hoch-und Fachschülern mit einer Einmalzahlung von 200 Euro in den harten Zeiten beizustehen. Das Geld ist noch nicht da, womit jetzt schon feststeht: Es ging weder „schnell“ noch „unbürokratisch“. Aber genauso geht es weiter. Beim aktuellen Stand der „Umsetzung“ – faktisch ist noch überhaupt gar nichts umgesetzt – könnten bis zur Auszahlung des Zuschusses noch Monate ins Land gehen. Thüringens Wissenschaftsminister Wolfgang Tiefensee tippte dieser Tage auf „frühestens im März“, was angesichts der Ausgangslage sogar kühn erscheint. Treffsicher war immerhin der Kommentar des SPD-Politikers: „eine absolute Katastrophe und ein Armutszeugnis“.
Zehn mal Einkaufen
Der ganze Vorgang wirkt wie ein schlechter Film. Was steht auf dem Spiel? Zehn- vielleicht Hundertausende junger Menschen wandeln am finanziellen Abgrund, kratzen sich bei Eltern, Verwandten, Freunden und Banken Geld zusammen, um ihre Rechnungen begleichen und sich ernähren zu können. Und der Einsatz der Politik? 200 Euro, die für vielleicht zehn Einkäufe beim Discounter reichen und womöglich zum Sankt-Nimmerleins-Tag fällig werden.
In der Schule setzt es für solche Leistungen die Note sechs, im Politbetrieb firmiert derlei Versagen unter „Lösungsfindungsprozess“. Manchmal muss eine Lösung eben reifen, bis sie reif ist, Realität zu werden. Wenn in der Zwischenzeit eine unbekannte Zahl junger Menschen buchstäblich hungern und frieren und vielleicht das Studium hinschmeißen muss, dann sind das eben Opfer, die der politische Interessenausgleich bisweilen mit sich bringt. Schwamm drüber, zumal das dann ja irgendwie auch ein Beitrag zum Energiesparen ist. Leergefegte Hörsäle braucht man nicht zu heizen.
Vorbildhaft sind hier ohnedies die Damen und Herren Politiker. Die erwärmen sich einfach an der heißen Luft, die sie produzieren. Vor zwei Wochen bescheinigte sich Stark-Watzinger, „mit Hochdruck“ bei der Sache zu sein und weiter: „Dazu sind wir in intensiven Beratungen mit den Ländern.“ Aha!? Sieben Tage später erfuhr die Öffentlichkeit, dass seit Anfang September praktisch nichts geregelt wurde und die Länder mit einem „gut gemeinten, aber nicht hinreichend vorbereiteten“ Gesetzentwurf konfrontiert seien, der für sie schlicht nicht umsetzbar sei.
Totalblamage verhindert
Am heutigen Freitag wurde das nächste Kapitel des Trauerspiels geschrieben. Zwar stimmte der Bundesrat mehrheitlich für das Anfang Dezember vom Bundestag verabschiedete „Studierenden-Energiepreispauschalengesetz“ (EPPSG) und wendete damit den ganz großen Offenbarungseid ab. Tatsächlich hatte nämlich der Kulturausschuss der Länderkammer im Vorfeld empfohlen, den Vermittlungsausschuss anzurufen. Damit wäre aus der drohenden eine unvermeidliche Hängepartie geworden. Selbst ein Scheitern des Projekts wäre dann nicht mehr auszuschließen gewesen.
Dennoch ist die Kuh nicht vom Eis, weil die vielen Baustellen keineswegs über Nacht verschwunden sind. Vor allem ist mit dem Beschluss das Hauptproblem nicht vom Tisch: Es existiert bisher keine zentrale Datenbank, in der die Namen, Adressen und Bankverbindungen aller Studierenden und Fachschüler erfasst wären. Deren Aufbau kostet Geld und den Einsatz von Personal, das in der auf „schlank“ gekürzten öffentlichen Verwaltung fehlt. Also jubelte der Bund die Zuständigkeit kurzerhand den Bundesländern unter, die in ihrer föderalen Kleinstaaterei erst recht nicht fähig sind, zügig ein Gesamtkonzept herbeizuführen und eine entsprechende digitale Antragsplattform aufzubauen.
Ziel „klar verfehlt“
Die besagte Beschlussempfehlung des Kulturausschusses liest sich dann auch wie ein böser Verriss des Bundesgesetzgebers. Die Zielsetzung, die Hilfeleistung im Rahmen eines schlanken, unkomplizierten und unbürokratischen Verwaltungsverfahrens zu organisieren, werde „klar verfehlt“ heißt es da. Nicht beantwortet werde „eine Reihe inhaltlicher Fragen“ wie zum Beispiel zur „Verpflichtung der staatlichen und privaten Ausbildungsstätten zur verschlüsselten Übermittlung der personenbezogenen Daten“, zur „Verpflichtung zur elektronischen Antragstellung“ oder zum „länderübergreifenden Datenabgleich zum Ausschluss von Doppelförderungen“. Moniert wird außerdem die geplante Vorleistungspflicht der Länder, die „im Hinblick auf die darauf nicht eingestellten Länderhaushalte hochproblematisch“ sei.
„Besonders schwerwiegend“ sei aber die „fehlende Festlegung einer zentral zuständigen Bundesbehörde als Bewilligungs- und Auszahlungsstelle“, wodurch sich weitere Verzögerungen ergeben würden durch: „die nötige Aushandlung und Ratifizierung einer Bund-Länder-Vereinbarung zu Plattformnutzung und -betrieb“ sowie die auf Landesebene „durchzuführenden Gesetzgebungs- oder Verordnungsprozesse“. Von „allergrößter Bedeutung“ wäre es deshalb, „ein zentrales Bewilligungs- und Auszahlungsverfahren über Bundesbehörden zu implementieren“, womit „die meisten, wenn nicht sämtliche Hindernisse für einen reibungslosen und sehr raschen Vollzug zu Beginn des Jahres 2023 ausgeräumt werden (könnten)“.
Bund zahlt zentral aus
In diesem Punkt ist Stark-Watzinger den Länderchefs offenbar entgegengekommen. Wie der Wissenschaftsjournalist Jan-Martin Wiarda nach der Entscheidung auf seinem Blog berichtete, hat die Bundesregierung zugesichert, „dass das Geld doch zentral ausgezahlt werden soll, womit die Hauptforderung der Länder erfüllt wurde“. Damit sei ein „Windhundrennen auf Seiten der Länder“ verhindert worden, erklärte Sachsen-Anhalts Wissenschaftsminister Armin Willingmann (SPD) in seiner Rede vor dem Votum.
Die Studierenden bisher bewilligten Hilfen – zwei Heizkostenzuschüsse für Empfänger von Bundesausbildungsförderung (BAföG), die nicht bei den Eltern wohnen – waren bzw. werden noch, weil in Länderhoheit vergeben, zu völlig unterschiedlichen Zeitpunkten auf den Konten der Betroffenen landen. Mancherorts musste schon für den ersten Zuschuss bis in den November 2022 hinein gewartet werden. Der zweite Heizkostenzuschuss wird unseren Informationen nach erst ab Ende Januar 2023 zur Auszahlung kommen.
Und jetzt also die 200 Euro für alle Studierenden. Zur Erinnerung: Eigentlich sollten die Überweisungen ab dem 1. Januar 2023 vonstattengehen. Bei all den erforderlichen „Nachbesserungen“ – die ehrliche Bezeichnung wäre „Neustart“ – ist dieser Termin vollends illusorisch. Zumal Weihnachten vor der Tür steht. Bestimmt gönnt sich auch Stark-Watzinger mal eine Auszeit vom frostigen Politzirkus und verbringt die frohen Stunden kuscheligwarm bei Punsch und Gebäck im heimischen Nest, statt sich mit den Nöten und Sorgen anderer (nicht) zu befassen. Dafür ist später noch genug Zeit, der Winter ist schließlich noch lang und bitterkalt. (rw)