Unerfreuliche ErgebnisseUmfrage unter studentischen Hilfskräften an Hochschulen
Sie sind jung, sie sind viele und sie sind unentbehrlich. An deutschen Hochschulen und Forschungseinrichtungen sind schätzungsweise 136.000 sogenannte studentische Beschäftigte im Einsatz. So genau weiß das keiner, weil die Leitungen sie häufig nur unter Sachmitteln (im Ernst) führen, sie kaum organisiert sind und keine Lobby haben. Und genau das macht sie bei Rektoren und Institutsvorstehern so begehrt: Ihrer Dienste bedienen sie sich gerne, aber ihre Interessen interessieren sie nicht.
Dabei ginge im Wissenschaftsbetrieb ohne sie gar nichts. Sie arbeiten als Tutoren, als Laboranten, als Bibliotheksaufsicht, sie bereiten Seminare vor, betreuen Datenbanken, organisieren Exkursionen, redigieren Texte, korrigieren Klausuren, beschaffen Bücher, pflegen Webseiten, warten die Technik, sie archivieren, recherchieren und programmieren. Eigentlich machen sie alles, was gemacht werden muss, und täten sie es nicht, müsste die Uni morgen dicht machen.
In der Nahrungskette ganz unten
Aber obwohl sie den Motor am Laufen halten, werden sie behandelt wie das fünfte Rad am Wagen. Inzwischen hört man immer mehr von den miserablen Arbeitsbedingungen des sogenannten wissenschaftlichen Mittelbaus, von Kurzeit- und Kettenverträgen, geringer Vergütung, unbezahlter Mehrarbeit und Hire-and-Fire-Machenschaften. Das alles ist schon skandalös genug und kennt doch noch eine Steigerung im Schlechten: Wenn Nachwuchswissenschaftler das akademische Prekariat an den Hochschulen bilden, haben studentische Hilfskräfte den Status des Fußabtreters.
Über ihre klägliche Lage legt eine am Freitag veröffentlichte Studie Zeugnis ab. Im Auftrag der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) und der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) haben Forscher des Instituts für Arbeit und Wirtschaft (IAW) an der Universität Bremen 11.000 Betroffene zu ihren Erfahrungen, Sorgen und Perspektiven als studentische Beschäftigte befragt. Womit es sich um die bisher größte Untersuchung der Arbeitsbedingungen dieser Berufsgruppe handelt.
Die Erhebung ist betitelt mit „Jung, akademisch, prekär“ und weckt böse Erinnerungen an frühkapitalistische Zeiten. Studentische Beschäftigte werden überwiegend lausig bezahlt, hangeln sich oft von einem Arbeitsvertrag zum nächsten, viele nehmen ihren Urlaubsanspruch nicht wahr, leisten Überstunden oder arbeiten Krankheitstage nach. Und dies alles lassen sie in einem Umfeld mit sich machen, das sie von Mitbestimmungsmöglichkeiten weitgehend ausschließt und „in dem grundlegende Arbeitsrechtsverstöße die Regel sind statt die Ausnahme“.
Arm und ausgebeutet
Für ver.di-Bundesvorstandsmitglied Sylvia Bühler „grenzen die Zustände an Ausbeutung“, wie sie heute Vormittag bei einer Online-Pressekonferenz erklärte. Ein paar Schlaglichter: Die Löhne bewegen sich in Schnitt nur knapp oberhalb des Mindestlohns, der seit Oktober 2022 zwölf Euro beträgt. Hilfskräfte ohne Abschluss verdienen im laufenden Wintersemester mithin auch weniger, erst zum Sommersemester stehen ihnen nach den Vorgaben der Tarifgemeinschaft der Länder (TdL) dann 12,06 Euro pro Stunde zu.
90 Prozent der Teilnehmer finanzieren mit dem Hochschuljob ihr Studium, wobei die Beschäftigungsverhältnisse mehrheitlich unterhalb der bis Oktober 2022 geltenden 450-Euro-Grenze eines sogenannten Minijobs liegen. Dabei bringen es die Betroffenen auf ein geringeres Monatseinkommen als der Durchschnitt aller Studierenden. Wie im November das Statistische Bundesamt bekanntgab, galten 2021 von den allein lebenden Hochschülern 76,1 Prozent als armutsgefährdet, auf studentische Beschäftigte traf dies zu 77,8 Prozent zu.
Kurzzeitkontrakte von im Schnitt 6,1 Monaten sind laut Studie der „Normalzustand“, wenngleich die Engagements in der Mehrzahl der Fälle sehr viel länger gehen, nämlich 20,2 Monate – Stichwort Kettenverträge. Im Mittel haben die Befragten bereits 4,6 Arbeitspapiere unterschrieben, dreimal in Folge auf derselben Stelle zu landen, ist die Regel. Bei Anschlussbeschäftigungen kommt es nicht selten vor (17,6 Prozent), dass wochenlang ohne Arbeitsvertrag Dienst geschoben wird. 16,7 Prozent gaben an, dass sie unbezahlt, also auch ohne spätere Nachzahlung, tätig waren und dies durchschnittlich für knapp fünf Wochen.
Alltäglicher Rechtsbruch
Gängig ist ebenso unbezahlte Mehrarbeit, was 39 Prozent der Befragten für sich bestätigen. Wird die Arbeitszeit gar nicht erst erfasst – das passiert in einem Drittel der Fälle –, dann berichten über die Hälfte der Teilnehmer von unzureichender Vergütung. Offiziell werden im Mittel 33,6 Stunden im Monat angerechnet, während der tatsächliche Aufwand auf 41,3 Stunden geschätzt wird.
Zudem kommt es regelmäßig vor, dass die zu erfüllenden Aufgaben rechtlich in den Verantwortungsbereich des technischen oder administrativen Personals fallen und eigentlich nach den Regularien des Tarifvertrags für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L) vergolten werden müssten. Nach geltender Rechtsprechung ist Lohndrückerei eine Straftat – in Forschung und Lehre gehört der Rechtsbruch zum Alltag.
Das Forschungsprojekt mache deutlich, „dass im Tätigkeitsbereich studentischer Beschäftigter durch Nichteinhaltung der für die Arbeitswelt vorgesehenen Standards zur Regulierung von Arbeitsbeziehungen (unter anderem gesetzliche Mitbestimmung und Tarifverträge) systematisch Arbeitnehmer*innenrechte unterlaufen werden und die Arbeitgeber*innen ihren gesetzlichen Fürsorgepflichten nicht ausreichend nachkommen“, konstatieren die Studienautoren.
Professor als „Arbeitgeber“
Ursächlich dafür ist auch das ungleiche Verhältnis zwischen Lernenden und Lehrenden (zumeist Professoren), von denen letztere zugleich die Rolle des „Arbeitgebers“ einnehmen. Die Forscher sprechen hier von einer „in dieser Form einmaligen Hierarchie (...), da die studentischen Beschäftigten als Studierende unter anderem mit Blick auf ihre Noten und als Beschäftigte unter anderem mit Blick auf eine eventuelle Karriere im Wissenschaftsbetrieb in besonderer Form persönlich von ihren Vorgesetzten abhängig sind“.
Das alles hat schwerwiegende Folgen für den gesamten Wissenschaftsbetrieb, wie der stellvertretende GEW-Vorsitzende Andreas Keller bemerkte. So würden junge Menschen „mit Kettenarbeitsverträgen und Dumpinglöhnen auf die steinigen Karrierewege in der Wissenschaft nach dem Studium eingestimmt“ und Absolventen „von einer Laufbahn in Forschung und Lehre abgeschreckt“. Für stabile Beschäftigung in der Wissenschaft zu sorgen, heiße daher, „die Arbeitsbedingungen von studentischen Beschäftigten tarifvertraglich und gesetzlich abzusichern“.
Hier ist tatsächlich noch vieles zu tun. Studentische Beschäftigte bilden bundesweit den größten nichttariflichen Sektor im öffentlichen Dienst. In zahlreichen Bundesländern werden sie zudem nur teilweise oder gar nicht vom Personalvertretungsgesetz erfasst und haben daher keinen Anspruch auf Wahrnehmung gesetzlich garantierter Mitbestimmungsrechte.
Berlin macht den Unterschied
Die bislang einzige Ausnahme bildet das Land Berlin, wo schon seit 1980 ein gesonderter Tarifvertrag für die studentischen Beschäftigten namens TVStud existiert, der 1986 und 2018 jeweils nachgebessert wurde. Die Folge: In der Hauptstadt stehen studentische Beschäftigte im Bundesvergleich um vieles besser da. Sie verdienen mehr Geld, haben die meisten vertraglich vereinbarten Arbeitsstunden, müssen sich seltener in einem weiteren Job verdingen und profitieren von den mit großem Abstand längsten Vertragslaufzeiten (14,1 Monate).
Außerdem sind in der Spreemetropole – auch das einmalig in der Republik – studentische Personalräte im Personalvertretungsgesetz und Mindestvertragslaufzeiten von zwei Jahren im Berliner Hochschulgesetz verankert.
Das alles hat sich herumgesprochen und könnte bald anderorts Schule machen. Inzwischen haben sich in mehreren Bundesländern Ableger der bundesweiten TVStud-Kampagne formiert und dies mit ersten greifbaren Erfolgen. Die Schaffung eines Tarifvertrags für studentische Beschäftigte ist mittlerweile in sieben weiteren Ländern im Koalitionsvertrag der Regierungsparteien festgeschrieben – in Hamburg, Bremen, Nordrhein-Westfalen, Mecklenburg-Vorpommern, Schleswig-Holstein, Niedersachsen und im Saarland. Ferner haben Thüringen sowie Hessen, das nicht TdL-Mitglied ist, eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen der Betroffenen angekündigt.
Durchbruch in Sicht
Einen Durchbruch verspricht das Jahr 2023 insbesondere auf Bundesebene. Der TV-L läuft am 30. September aus und in der Tarifrunde von 2021 ließ sich die Arbeitgeberseite immerhin eine „Bestandsaufnahme über die Beschäftigungsbedingungen der studentischen Hilfskräfte“ abringen. Weil die Verantwortlichen bis heute untätig geblieben sind, haben TVStud, GEW und ver.di das Heft des Handelns an sich gerissen und mit der Vorlage der Forschungsarbeit Vollzug gemeldet.
Überdies haben die Länder inzwischen angeboten, in Gespräche mit den Gewerkschaften einzusteigen. Dabei gelte es, „zügig zum eigentlichen Thema zu kommen“, bekräftigte Bühler von ver.di. „Damit die prekären Arbeitsbedingungen abgestellt werden, brauchen die studentischen Beschäftigten endlich den Schutz eines Tarifvertrages. Unter anderem müssen darin Mindestlaufzeiten für die Arbeitsverträge und faire Entgelte geregelt werden.“
„Diese Ergebnisse sind wirklich erschreckend. Sie machen wütend und schreien förmlich nach schnellem und umfassendem Handeln“, äußerte sich am Freitag Nicole Gohlke von der Bundestagsfraktion Die Linke. „Es ist beschämend, wie viele Hochschulen und Forschungseinrichtungen als Arbeitgeber so agieren und mit ihren studentischen Beschäftigten umgehen“, beklagte sie und ergänzte: „Prekäre Arbeitsverhältnisse und arbeiten für lau – ausgerechnet im öffentlichen Dienst.“ (rw)