Keine Nullrunde mehr!Bündnis drängt auf zeitnahe BAföG-Novelle
Mit dem mehr oder weniger gut geglückten Antragsstart zur 200-Euro-Einmalzahlung für Studierende und Fachschüler könnte, sobald das Geld tatsächlich bei Betroffenen angekommen ist, demnächst eine Kuh vom Eis sein. Aber auf der kalten Schlitterfläche schwankt ein noch viel dickeres Vieh: Die dringend nötige nächste BAföG-Reform.
Wie lautete noch die Ansage von Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger? Die im Wintersemester 2022/23 in Kraft getretene 27. Novelle des Bundesausbildungsförderungsgesetzes solle nicht die einzige ihrer Art in der laufenden Legistalturperiode bleiben. Weitere Verbesserungen, insbesondere ein „zweiter Schritt“, um die Förderung „elternunabhängiger“ zu machen, würden absehbar folgen, hatte die FDP-Politikerin versprochen.
Zehn Prozent Inflation
Das war vor rund einem Jahr und seither ist allerhand passiert. Mit Beginn des Ukraine-Kriegs ist eine beispiellose Teuerungswelle über das Land geschwappt. Die bis dahin schon vielfach in Armut lebenden Studierenden wurden davon heftigst gebeutelt, woran auch die ab August spärlich erhöhten BAföG-Leistungen nichts änderten. Faktisch hat die Zugabe das inflationsbedingte Minus lediglich verkleinert. Im Schnitt haben die rund 2,9 Millionen Hochschüler in Deutschland noch einmal deutlich weniger Mittel zum Leben als vor der Krise.
Das betrifft vor allem BAföG-Empfänger, die überproportional häufig ein Dasein unterhalb des Existenzminimums fristen. Weitet die Politik die staatlichen Zuwendungen nicht substanziell aus, könnten viele dem finanziellen Druck bald nicht mehr gewachsen sein und ihr Studium abbrechen müssen. Zumal sich aktuell auch keine Entspannung andeutet. Der Preisauftrieb im Februar belief sich auf immer noch immense 8,7 Prozent verglichen mit dem Vorjahresmonat. Für Einkommenschwächere, wozu auch Studierende zählen, beträgt die Rate gar zehn Prozent, weil ein Großteil ihrer Konsumausgaben für Energie und Nahrungsmittel draufgeht.
Ampel muss in diesem Jahr liefern
Angesichts der verbreiteten Nöte haben am Freitag mehrere Studierendenverbände zusammen mit dem Deutschen Studierendenwerk (DSW) die Bundesregierung zu raschem Handeln aufgefordert. In einer gemeinsamen Erklärung plädieren sie für eine „deutliche Anhebung des BAföG-Grundbedarfs, der Wohnkostenpauschale und der Elternfreibeträge“ sowie für eine „echte BAföG-Strukturreform“. Ihr Appell: Den Studierenden könne im laufenden Jahr „keine Nullrunde zugemutet werden“ und deshalb: „2023 muss das Jahr der BAföG-Reform werden.“
Beteiligte sind neben dem DSW der „freie zusammenschluss von student*innenschaften“ (fzs), die Juso-Hochschulgruppen, die Liberalen Hochschulgruppen (LHG), Campusgrün sowie der Ring Christlich-Demokratischer Studenten (RCDS). „Die Breite unseres Bündnisses zeigt, dass studentische Armut von der Politik endlich ernst genommen werden muss“, äußerte sich fzs-Vorstandsmitglied Carlotta Eklöh. „Wir sind uns einig: Die BAföG-Strukturreform ist längst überfällig und gerade durch die derzeitige Inflation brauchen wir dringend noch in diesem Jahr eine deutliche Anpassung der Bedarfssätze!“
„Budget auf Kante genäht“
Mit der jüngsten Reform waren diese um 5,75 Prozent angehoben worden, womit der Grundbedarf auf 452 Euro und der BAföG-Höchstsatz (samt Miet-, Kranken- und Pflegeversicherungszuschlag) auf 934 Euro anstieg. Die Wohnpauschale erhöhte sich um rund zehn Prozent auf 360 Euro, was wegen der grassierenden Wuchermieten an vielen Hochschulstandorten die realen Kosten trotzdem nicht deckt. Außerdem legten die Elternfreibeträge um 20,75 Prozent auf eine Einkommenshöhe von 2.415 Euro monatlich zu, während die Vermögensfreibeträge auf 45.000 Euro ab dem 30. Lebensjahr und 15.000 für die unter 30-Jährigen aufgestockt wurden.
Insgesamt genügten die Aufwüchse nicht einmal unter normalen Vorzeichen, die wiederholten Null- und Knauserrunden der Vergangenheit zu kompensieren. Umso mehr gilt das für die anhaltende Krise, mit der sich das kleine Plus in einem viel größeren inflationsbedingten Minus verflüchtigte. Nach der „21. Sozialerhebung“ des DSW verfügten schon vor Corona rund 28 Prozent der Studierenden über weniger als 700 Euro im Monat. „Ihr Budget ist auf Kante genäht – diese Naht droht jetzt zu reißen“, warnen die Bündnispartner.
Richtgröße Bürgergeld
Als Richtgröße ziehen sie den zu Jahresanfang beim neu eingeführten Bürgergeld festgesetzten Grundbedarf von 502 Euro heran. „Studierende essen, trinken und heizen aber nicht weniger als andere Menschen“ und sie wären auch keine Bürgerinnen und Bürger „zweiter Klasse.“ Deshalb bedürfe es einer „schnellen Angleichung“, auch in puncto Wohnkosten. Mit 360 Euro könne man sich in nahezu sämtlichen Hochschulstädten kaum ein WG-Zimmer leisten, weshalb auch hier „deutlich“ draufgesattelt werden müsse. Dasselbe gelte für die Elternfreibeträge, „damit mehr als elf Prozent aller Studierenden das BAföG bekommen können“.
„Den Studierenden steht in der Krise das Wasser bis zum Hals“, bekräftigte DSW-Generalsekretär Matthias Anbuhl. „Die Studenten werden schon zu lange hingehalten und fallen zunehmend in finanzielle Notlagen, was keinesfalls dem Bildungs- und Aufstiegsversprechen unserer Gesellschaft gerecht wird“, ergänzte Niklas Nottebom vom RCDS. „Eine verspätete Einmalzahlung löst das tief sitzende Problem der Armut unter Studierenden keineswegs“, bemerkte Lea-Marie Neufeld vom Bundesvorstand der Juso-Hochschulgruppen. „Wir brauchen noch dieses Jahr eine echte BAföG-Reform, die im Rahmen eines vielschichtigen Notfallmechanismus Krisenstabilität garantiert.“
Nutzloser Rettungsschirm
Tatsächlich hatte die Bundesregierung im Spätsommer 2022 im Rahmen der 28. BAföG-Novelle eine Art Rettungsschirm für den Fall außergewöhnlicher Krisenlagen institutionalisiert, der im Bedarfsfall BAföG-Leistungen selbst für nicht Anspruchsberechtigte vorsieht. Allerdings wurde das Gesetz unter dem Eindruck der Corona-Krise so eng gefasst, dass es einzig bei „erheblichen Nachfrageeinbrüchen auf dem Arbeitsmarkt für ausbildungsbegleitende Erwerbstätigkeiten“ greift. In der aktuellen Energie- und Inflationskrise ist das Regelwerk schlicht nutzlos.
Stichwort Strukturreform: Fast 40 Prozent aller Studierenden haben laut BAföG-Bericht der Bundesregierung per se keine Chance, staatliche Unterstützung zu erhalten, ganz egal, ob und wie bedürftig sie sind. Gründe dafür sind die starren Altersgrenzen sowie der Verlust der Förderfähigkeit, sobald man über die Regelstudienzeit hinaus studiert. Sowohl in diesem Punkt als auch hinsichtlich der Forderung, die BAföG-Leistungen regelmäßig entlang der Lohn- und Preisentwicklung anzupassen (Dynamisierung), hatte Stark-Watzinger Gesprächsbereitschaft signalisiert.
FDP bremst Kindergrundsicherung aus
Allerdings will sie die möglichen Veränderungen ausdrücklich im Zusammenspiel mit der von den Ampel-Parteien im Koalitionsvertrag angekündigten sogenannten Kindergrundsicherung ins Werk setzen. Mit dem Instrument sollen Dutzende Leistungen für Heranwachsende vom Kinderfeld über den Kinderzuschlag bis hin zur finanziellen Unterstützung für Klassenfahrten und Freizeit zusammenfasst werden, was etliche ministerielle Zuständigkeiten berührt.
Die federführende Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) hat zu Jahresbeginn Eckpunkte zum Vorhaben vorgelegt. Einen Gesetzentwurf soll es aber erst im Sommer geben. Hintergrund sind offene Finanzierungsfragen, wobei sich Bundesfinanzminister Christian Lindner als Paus` stärkster Widersacher hervortut. Inzwischen besteht Sorge, der FDP-Chef wolle die Reform ausbremsen oder sogar ganz scheitern lassen. Was wird dann aus der „zweiten Stufe“ beim BAföG, die seine Parteikollegin Stark-Watzinger angekündigt hat?
Ministerin ohne Plan
In diesem Jahr ziemlich sicher nichts – muss man befürchten. Dazu passt, worüber vor einem halben Jahr Studis Online berichtet hatte: dass nämlich zum damaligen Zeitpunkt weder ein Konzept und noch ein Zeitplan für eine überfällige 29. BAföG-Novelle existierten. Wohin die drohende Hängepartie führen könnte, hat das Bundesbildungsministerium durch das Fraunhofer-Institut für angewandte ermitteln lassen: Ohne eine zügige und umfassende Reform könnte demnach die Zahl der BAföG-Begünstigten (Studierende und Schüler) bis 2025 um weitere über 150.000 abschmieren. (rw)