Welcome back to „The Länd“Baden-Württemberg schafft Studiengebühren ab
Willkommen zurück! Oder doch eher: Seht zu, dass Ihr Euch wieder herschafft! Baden-Württemberg (BaWü) setzt der Campusmaut für Nicht-EU-Ausländer ein Ende. So zumindest lautet das überraschende Bekenntnis von Vertretern der Regierungsparteien am vergangenen Donnerstag im Stuttgarter Landtag.
„Die derzeitigen Studiengebühren für internationale Studierende an unseren Hochschulen sind ein echter Standortnachteil“, äußerte sich da der CDU-Abgeordnete Winfried Mack. Es sei wichtig, ausländische Fachkräfte zu gewinnen und auch im Land zu halten, sekundierte der Grünen-Fraktionsvorsitzende Andreas Schwarz und weiter: „Wir wollen das gemeinsam umsetzen.“
Keine Herzensentscheidung
Die Einlassungen machen deutlich: Der Sinneswandel zeugt nicht von einem plötzlich wiedergekehrten Gerechtigkeitssinn, von Herz für oder Rücksicht auf die Betroffenen. Der Schritt folgt einzig einem ökonomischen Kalkül, nämlich der Sorge, der Wirtschaftsstandort Baden-Württemberg könnte bei Beibehaltung der Regelung dauerhaft Schaden nehmen.
Das hat auch damit zu tun, dass ein anderes Kalkül der grün-schwarzen Regenten nicht aufgegangen ist. Als sie das fragliche Gesetz mit Wirkung zum Wintersemester 2017/18 in Kraft setzten, verbanden sie das insgeheim mit der Hoffnung, die anderen Bundesländer könnten alsbald nachziehen.
Dann wäre man nicht nur ein unrühmliches Alleinstellungsmerkmal los gewesen. Zugleich hätte dies den Leidtragenden über kurz oder lang auch die Fluchtwege in die Gebührenfreiheit verbaut. Denn wenn ein Studium überall in Deutschland Geld kostet, kann man auch gleich im Ländle bleiben.
NRW zieht nicht mit
CDU und FDP in Nordrhein-Westfalen spielten lange mit dem Gedanken, es der Regierung unter Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) gleich zu tun. Hätten sie es getan, hätte das schlechte Beispiel wohl weitere Nachahmer gefunden. Nach zweijähriger Prüfung ließen sie die Pläne 2019 aber wieder fallen, auch wegen der schlechten Erfahrungen in BaWü.
Dort müssen Studierende aus nicht EU-Staaten pro Semester 1.500 Euro für das Versprechen einer besseren Betreuung hinlegen. Ex-Wissenschaftsministerin Theresia Bauer (Grüne) hatte seinerzeit veranlasst, dass 300 Euro der Einnahmen direkt bei den Hochschulen verbleiben. Das Geld sollte Angeboten zur Unterstützung der internationalen Studierenden zugutekommen, damit die ihr Studium „erfolgreich abschließen“.
Frühere Artikel-Kommentare lassen daran zweifeln. „Das habe ich nie erlebt. Nichts hat sich verändert“, schrieb ein Betroffener über ein Jahr nach Einführung der Gebühren. „Die Regierung will einfach das Geld und weniger ausländische Studenten.“ Das sei einmal dahin gestellt, schließlich beteuerte Bauer damals: „Wir wollen mehr Internationalisierung, nicht weniger.“
Betroffene nehmen Reißaus
Und was erreichte Bauer? Weniger Internationalisierung. Gleich zum Auftakt der „Reform“, also im Oktober 2017, zählten die Landeshochschulen im Vergleich zum Vorjahreszeitraum über 19 Prozent weniger Neueinschreibungen von Personen aus dem Nicht-EU-Ausland.
Der Trend verfestigte sich in den Folgejahren, wie Daten des Statistischen Bundesamtes belegen. Während zwischen 2017 zu 2019 in den anderen 15 Bundesländern die Zahl der Internationalen gestiegen war, mithin um 50 Prozent und mehr, verzeichnete BaWü ein Minus von fast 13 Prozent.
Noch heftigere Einbrüche brachte die Pandemie mit sich. Das galt im bundesweiten Maßstab, aber mehr noch für „The Länd“, wie sich Baden-Württemberg seit einer 2021 aufgelegten Imagekampagne nennt. Bei Menschen aus der Fremde zieht der Slogan offensichtlich nicht. Während das Bundesland im Südwesten 2017 nach Bayern noch die zweitmeisten internationalen Hochschüler beheimatete, ist es mittlerweile auf Rang drei hinter Berlin zurückgefallen.
Alles außer Hochdeutsch?
Und während vor zwei Jahren in der Hauptstadt fast jeder fünfte Hochschüler eine ausländische Herkunft hatte, waren es in Baden-Württemberg nicht einmal zehn Prozent. Dahinter rangierten nur noch Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein. „Wir können alles. Außer Hochdeutsch“, plakatierte BaWü bis vor zwei Jahren. Und was ist mit internationalem Flair? „Könne mir au ned!“
Aber man lernt ja nie aus. Nun also will die Regierung die Reißleine ziehen, wobei das letzte Wort noch nicht gesprochen ist. Wissenschaftsministerin Petra Olschowski (Grüne) begrüßte zwar den Vorstoß der Regierungsfraktionen. Zitat: „Wir arbeiten mit aller Kraft daran, Baden-Württemberg als attraktiven Studienstandort weiterzuentwickeln.“ Deshalb prüfe man die Notwendigkeit der Gebühren derzeit „intensiv“.
Andererseits stellen sich die Verantwortlichen die Frage, wie die Einnahmeausfälle zu kompensieren wären. „Die Reform gibt es nicht zum Nulltarif“, bemerkte Grünen-Fraktionschef Schwarz. Nach Ministeriumsangaben spielte die Campusmaut im Vorjahr rund 30 Millionen Euro ein. Der Kreis der Betroffenen wird mit 10.000 Studierenden beziffert.
Tolle Nachricht
Studierendenverbände und Gewerkschaften sehen die grün-schwarze Kehrwende mit Genugtuung. „Wir begrüßen die Abschaffung dieser rassistischen Studiengebühren nachdrücklich“, erklärte Sergej Haar, Vorstandsmitglied des Bundesverbands ausländischer Studierender (BAS) am Dienstag gegenüber Studis Online.
Wichtig sei es, den Schritt sofort zu vollziehen und sicherzustellen, dies mit „festen Ressourcen“ zu unterlegen. Keinesfalls dürfe künftig im Bereich der Betreuung und Integration ausländischer Studierender gespart werden, bekräftigte Haar. Die Koalition müsse eine „Internationalisierungsstrategie unter Beteiligung der Betroffenen“ erarbeiten.
Erfreut zeigte sich auch Carlotta Eklöh vom „freien zusammenschluss von student*innenschaften“ (fzs). „Die Gebühren stellen eine massive Hürde und faktisch einen sozialen Ausschluss für internationale Studierende dar“, sagte sie Studis Online. „Dass sie endlich wegfallen, ist eine tolle Nachricht für die Leidtragenden und hätte schon sehr viel eher passieren müssen.“
Wirtschaft als treibende Kraft
Eklöh erinnerte daran, dass die Einführung der „diskriminierenden Gebühren“ gegen starken Widerstand innerhalb der Zivilgesellschaft durchgesetzt wurde und die Proteste in der Folgezeit anhielten. Daher sei es „frustrierend“, wenn die Regierung erst einlenke, sobald es Einspruch aus der Wirtschaft gebe. „Hier zeigt sich erneut die zunehmende und besorgniserregende Ausrichtung hochschulpolitischer Entscheidungen an ökonomischen Interessen.“
Zuspruch kam zum Beispiel vom Präsidenten des Baden-Württembergischen Industrie- und Handelskammertags (BWIHK), Christian Erbe. Die Erhebung von Studiengebühren sei ein „aus der Zeit gefallenes Instrument“. Bei der Fachkräftesicherung gelte es jeden Stein umzudrehen, „jede Maßnahme zählt“.
Auch für Andreas Keller von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) ist das Vorhaben „mehr als überfällig“. Das Land habe sich mit den Gebühren bundesweit isoliert, diese „passen nicht zum Leitbild einer weltoffenen Hochschule, treffen nicht selten die Ärmsten der Armen und unterminieren die Attraktivität des Studienstandorts Baden-Württemberg“, befand er im Gespräch mit Studis Online.
SPD gegen Zweitstudiengebühren
Die bevorstehende Entscheidung markiere einen „weiteren Meilenstein im Kampf für die Gebührenfreiheit des Hochschulstudiums seit der Abschaffung allgemeiner Studiengebühren vor zehn Jahren“, betonte der GEW-Vizevorsitzende. Die nächste Maßnahme müsse die Abschaffung der Studiengebühren für das Zweitstudium und für „Langzeitstudierende“ sein, die weiterhin in mehreren Bundesländern erhoben werden.
Das gilt einmal mehr für das Ländle selbst. Ein Zweitstudium schlägt hier mit 650 Euro pro Semester zu Buche, wovon im zurückliegenden Jahr rund 3.000 Studierende betroffen waren. Die Opposition im Landtag nahm den Koalitionsvorstoß zum Anlass, auch die Abwicklung dieser Gebühren zu fordern.
Diese seien eine Hürde für die Weiterbildung und „völlig aus der Zeit gefallen“, ließ sich SPD-Fraktionschef Andreas Stoch zitieren. So würden etwa Lehramtsstudierende auf dem zweiten Bildungsweg durch die Unkosten bestraft, obwohl das Land händeringend nach Lehrkräften suche, so Stoch. „Das muss aufhören.“
Umsetzung zum Wintersemester?
Dafür setzte es allerdings eine Abfuhr durch den CDU-Politiker Albrecht Schütte. „Bei einem Zweitstudium erachten wir einen gewissen finanziellen Beitrag auch an staatlichen Universitäten und Hochschulen, wie dies im Übrigen auch an vielen privaten Einrichtungen oder bei einigen staatlichen Master-Programmen der Fall ist, für angemessen.“
Es bleibt abzuwarten, ob die Regierung an diesem Kurs wird festhalten können. Aufschluss darüber wird spätestens der kommende Gesetzentwurf aus dem Hause Olschowski liefern. Zu rechnen ist damit noch vor der Sommerpause. Andernfalls könnte die Abschaffung der Gebühren für Internationale zum Wintersemester 2023/24 kaum in Kraft treten. Das will sich „Das Länd“ bestimmt nicht leisten – oder doch? (rw)