Sparschwein rette Dich!Steigende Pflegebeiträge zum 1. Juli 2023
Das hat gerade noch gefehlt. Mitten hinein in finanziell extrem herausfordernde Zeiten platzen nun auch noch höhere Sozialversicherungskosten. Am vergangenen Freitag gab der Bundesrat grünes Licht für die Pflegereform von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD), wodurch zum 1. Juli 2023 die Beiträge zur Pflegeversicherung steigen.
Für Personen mit Kindern wird der Satz von bislang 3,05 Prozent auf 3,4 Prozent des Bruttoeinkommens angehoben. Der geltende Beitragzuschlag für Kinderlose legt von 0,35 Prozent auf 0,6 Prozent zu, woraus sich eine Gesamtbelastung von vier Prozent ergibt.
Die Änderungen schlagen voll auf die Studierenden durch, sofern sie als bis 25-Jährige nicht bei ihren Eltern familienversichert sind oder schon mehrere Kinder haben. Jene, die bis 29 Jahre alt sind und keine Kinder haben, müssen demnächst 32,48 Euro statt heute 27,61 Euro monatlich zahlen. Mit Kind werden 27,61 Euro fällig, während es bisher 24,77 Euro waren. Studierende ab 30 Jahren werden knapp sieben Euro mehr und damit 45,27 Euro pro Monat hinlegen müssen.
Günstiger als bisher wird es lediglich dann, wenn jemand bereits drei oder mehr Kinder hat. Ab dem zweiten Kind sinkt der Betragssatz für alle mit Kind noch um jeweils 0,25% – höchstens bis zum fünften Kind. Bei zwei Kinder liegt der künftige Beitragssatz bei 3,15% – noch über dem bisherigen Satz von 3,05%. Bei drei Kinder liegt man mit 2,9% Beitragssatz unter dem bisherigen mit Kind, mit vier bei 2,65% und mit fünf bei 2,4%.
Vorteile haben allerdings weniger als 13% der Familien, Lebensgemeinschaften oder Alleinerziehende mit Kind (11,8 Mio. solcher mit Kind gibt es in Deutschland insgesamt, nur 1,5 Mio. haben drei Kinder oder mehr; vgl. Familien nach Lebensform und Kinderzahl in Deutschland, Statistisches Bundesamt). Bei Studierenden dürften es noch deutlich weniger sein, die von der Neuregelung Vorteile haben.
Prekäres Budget
Als einheitliche Bemessungsgrundlage für die bis 30-Jährigen wird der aktuelle Höchstsatz bei der Bundesausbildungsförderung (BAföG) für Hochschüler, die nicht im Haushalt ihrer Eltern leben, unter 25 Jahre alt und familienversichert sind, herangezogen. Dieser beläuft sich seit der im August 2022 in Kraft getretenen 27. BAföG-Novelle auf 812 Euro. Die Beitragshöhe für die über 30-Jährigen wird auf Basis eines Durchschnittssatzes für freiwillig Versicherte bestimmt (siehe Infoartikel zur studentischen Kranken- und Pflegeversicherung).
Kritik an der Neuerung übt das Deutsche Studierendenwerk (DSW). Die zusätzlichen Ausgaben mögen „nach nicht sehr viel Geld aussehen“, aber gerade für die 37 Prozent der Studierenden, die mit weniger als 800 Euro im Monat auskommen müssen, könne die Erhöhung „das ohnehin prekäre Budget weiter strapazieren“, äußerte sich der Vorstandsvorsitzende Matthias Anbuhl in einer Medienmitteilung.
Dabei bezog er sich auf die „neuesten“ Ergebnisse der Ende Mai vorgelegten 22. DSW- Sozialerhebung, die indes bereits überholt sind. Die Daten wurden im Sommer 2021 ermittelt, also weit im Vorfeld des Ukraine-Kriegs, in dessen Gefolge eine beispiellose Teuerung bei Energie und Lebensmitteln die Studierenden finanziell massiv bedrückt.
Ein Drittel lebt in Armut
Gleichwohl waren die Studienbefunde auch so schon höchst alarmierend. Mehr als 25 Prozent der Studierenden verfügten damals über weniger als 700 Euro im Monat, über ein Fünftel besaß unter 600 Euro, 16 Prozent hatten unter 500 Euro und 10,6 Prozent gar unter 400 Euro zum Leben. Die Zahlen knüpfen an die des Paritätischen Wohlfahrtsverbands an, wonach mindestens ein Drittel der hierzulande 2,9 Millionen Studierenden von akuter Armut betroffen ist. Wobei die fragliche Analyse noch veralteter ist und auf das Einkommensjahr 2019 zurückgeht.
Studierende sind als Gruppe mit überwiegend geringer Finanzkraft im besonderen Opfer der anhaltenden Rekordinflation. Dies liegt daran, dass Nahrungsmittel und Haushaltsenergie in den Warenkörben ärmerer Haushalte ein sehr hohes Gewicht haben, worauf am Freitag erneut die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung aufmerksam machte.
„Gleichmacherei“ macht ungleich
Demnach sei die Inflationsrate im Mai zwar spürbar gesunken, auf immer noch satte 6,1 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat. Alleinlebende mit niedrigen Einkommen hätten jedoch eine Teuerungsrate von 6,9 Prozent zu tragen.
Dazu kommt die soziale Spreizung innerhalb der Studierendenschaft, befördert noch durch die „Gleichmacherei“ bei der Festsetzung der Sozialversicherungsbeiträge. Die Praxis bringt es mit sich, dass diejenigen mit mickrigem Etat genauso hohe Lasten schultern müssen wie jene 25 Prozent, denen monatlich gemäß Sozialerhebung 1.300 Euro und mehr zur Verfügung stehen.
Die soziale Schieflage verschärft sich zusätzlich durch den Zeitpunkt der Beitragserhöhung bei der Pflege wie DSW-Chef Anbuhl monierte. Weil die Mehrkosten im Rahmen der jüngsten BAföG-Reform – da damals noch unbekannt – nicht berücksichtigt wurden, müssten Leistungsempfänger diese „aus dem ohnehin zu knapp bemessenen BAföG-Grundbedarf von 452 Euro im Monat bestreiten“. Für Kinderlose verharrt der Zuschuss bis auf weiteres bei 28 Euro beziehungsweise 38 Euro für ab 30-Jährige.
BAföG-Automatismus gefordert
„Einmal mehr zeigt sich, wie dringend nötig eine automatische Anpassung der BAföG-Bedarfssätze auch an solche Beitragserhöhungen wäre“, befand Anbuhl. Als Verband fordere man das seit langem „und das ist auch seit einem Jahr ausdrücklicher Auftrag des Deutschen Bundestags an die Bundesregierung. Sie darf beim BAföG auf keinen Fall die Hände in den Schoß legen.“
Dieser Eindruck drängt sich allerdings auf. Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) hatte anlässlich ihrer halbherzigen 2022er-Reform wiederholt erklärt, noch in der laufenden Legislaturperiode mit einer großen BAföG-Strukturreform nachzulegen. Dabei wolle sie die Weichen auch in Richtung einer verstetigten Leistungsanpassung stellen, O-Ton: „Es wird einen regelmäßigen Prozess geben, einen sinnvollen Rhythmus.“
Reform auf der langen Bank
Seit Monaten hüllt sich die Ministerin zum Thema in Schweigen. Ohnedies macht sie ihr Vorhaben von der Einführung der geplanten Kindergrundsicherung abhängig, mit der die Ampelregierung Dutzende Leistungen für Heranwachsende bündeln will. Wegen anhaltender Streitigkeiten ist das Gelingen der Reform längst nicht gesichert und könnte sich der vorgesehene Start zum 1. Januar 2025 weiter verzögern.
Eine zeitnahe BAföG-Reform, die kurzfristig die Härten der Inflation kompensieren müsste und von Gewerkschaften, Hochschul- und Studierendenverbänden seit Monaten angemahnt wird, erscheint momentan jedenfalls noch weit entfernt. Nicht auszuschließen, dass es mit dieser Regierung gar nichts mehr wird. Deren Amtszeit endet im Herbst 2025. (rw)