Haushaltsentwurf für 2024Kürzen beim BAföG und keine Strukturreform!
Wer wie die Bundesregierung horrende Summen fürs deutsche Militär, die Aufrüstung der Ukraine, den Bau von Flüssiggasterminals oder die Ansiedlung eines US-Mikrochipfabrikanten ausgibt, muss zwangsläufig an anderer Stelle sparen, die Steuern erhöhen oder mehr Schulden machen. Da die beiden letzten Punkte politisch nicht gewollt sind, kommt wohl der Rotstift zum Einsatz. Und dass der insbesondere im Sozialen Spuren, sprich Lücken und Löcher, hinterlässt, war für Kritiker absehbar.
Aber bei Bildung und Forschung? Von beiden Bereichen heißt es ja immer wieder, sie wären der wichtigste Rohstoff, über den Deutschland verfüge, so etwas wie der Garantieschein für die Zukunft. Von wegen: Mit dem Haushaltsentwurf des Bundesfinanzministeriums (BMF) für das kommende Jahr hat die schöne Erzählung ausgedient.
Die Vorlage soll erst am Mittwoch ins Kabinett gehen. Der Wissenschaftsjournalist Jan-Martin Wiarda konnte das Papier schon davor einsehen. Sein zentraler Befund: „Vor allem beim BAföG wird gekürzt.“ Verglichen mit dem laufenden Jahr schrumpft der Etatposten für Studierende um satte 440 Millionen Euro auf 1,37 Milliarden Euro. Beim Schüler-BAföG ergeben sich Einbußen in Höhe von 212 Millionen Euro, womit nur noch 551 Millionen Euro übrig bleiben.
2022er-Novelle schon verpufft
Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) sieht die Sache ganz nüchtern. Demnach entsprechen die eingeplanten Ausgaben den aktuellen wissenschaftlichen Prognosen dazu, wie viele Fördermittel im nächsten Jahr bei unveränderter Rechtslage erfolgreich beantragt werden.
Daraus lassen sich zwei Schlüsse ziehen: Erstens gehe man laut Wiarda im BMBF offenbar davon aus, dass die jüngste Novelle des Bundesausbildungsförderungsgesetzes „verpufft“. Dagegen war es das erklärte Ziel, eine „Trendumkehr“ bei den Gefördertenzahlen einzuleiten. Mehr als eine Stagnation auf niedrigem Niveau stellte sich im Nachgang der seit Herbst 2022 wirksamen Reform aber nicht ein – zuletzt bezogen lediglich elf Prozent aller Hochschüler BAföG-Leistungen.
Nun rechnet man offenbar sogar mit einem neuerlichen Einbruch bei den Förderungen. Warum sonst sollte man den Mittelansatz um fast ein Viertel kappen? Ein Teil der Erklärung ist der massive Preisauftrieb seit Beginn des Ukraine-Kriegs. In der Folge wurden in vielen Branchen sehr beachtliche Lohn- und Gehaltserhöhungen durchgesetzt.
Das allerdings führt dazu, dass der mit der 27. BAföG-Novelle gewährte 20,75-Prozent-Zuschlag bei den Elternfreibeträgen zum großen Teil wieder entwertet ist. Viele Eltern verdienen bereits oder demnächst zu viel Geld, um überhaupt einen BAföG-Anspruch für ihr Kind geltend machen zu können.
Keine Strukturreform in Sicht
Komplett aufgefressen wurde die Zugabe bei den Bedarfssätzen um 5,75 Prozent. Aufgrund der anhaltenden Rekordinflation haben BAföG-Empfänger faktisch weniger Geld als 2021 zur Verfügung.
Aus der Finanzplanung des BMBF lässt sich zweitens ableiten: Zumindest fürs Jahr 2024 wird keinerlei Vorsorge für eine weitere, eigentlich längst überfällige Anhebung der BAföG-Sätze getroffen. Wäre dem so, bräuchte es dafür einen Puffer. Statt dessen schmilzt man die Mittel massiv ab.
Damit wird auch die Zeit für die von Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) angekündigte große BAföG-Strukturreform immer knapper. Diese wollte sie eigentlich noch in der laufenden Legislaturperiode nachlegen, die jedoch schon im Herbst 2025 zu Ende geht. Stand jetzt wird es die Reform allenfalls noch als „Abschiedsgeschenk“ der Ampel geben.
Viel wahrscheinlicher ist derweil, dass das Projekt noch einmal vertagt wird – auf den Sankt-Nimmerleins-Tag. Dafür spricht auch das beredte Schweigen der Ministerin. Seit Monaten hat sie sich nicht mehr zum Thema geäußert, während zugleich das Bundesverfassungsgericht seit über einem Jahr prüft, ob das BAföG in puncto Bemessung und Höhe gegen das Grundgesetz verstößt.
Kindergrundsicherung „zerkleinert“
Dazu kommt: Eigentlich will Stark-Watzinger ihr Vorhaben an die geplante Einführung einer Kindergrundsicherung koppeln, die künftig sämtliche Familienleistungen bündeln soll. Auch dieses Projekt hat Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) ausgebremst. Statt der von Familienministerin Lisa Paus (Grüne) ins Spiel gebrachten zwölf Milliarden Euro jährlich soll sie sich ab 2025 mit nur zwei Milliarden Euro begnügen.
Die fehlenden zehn Milliarden entsprechen ziemlich genau der Summe, die die Regierung dem US-Konzern Intel für den Bau einer Produktionsanlage bei Magdeburg sponsert. Dafür droht das zentrale sozialpolitische Projekt der Regierung zum Rohrkrepierer zu werden. Zur Einordnung: Nach einer aktuellen Untersuchung lebten im Vorjahr „drei Millionen Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren und damit mehr als jeder fünfte junge Mensch in Armut“.
Für Entsetzen sorgt Lindners Haushaltsentwurf beim „freien zusammenschluss von student*innenschaften“ (fzs). Einmal mehr zeige sich, „Chancengerechtigkeit hat in Deutschland keinen hohen Stellenwert“, äußerte sich am Dienstag Vorstandsmitglied Rahel Schüssler. Eine Kürzung des BAföG zu veranlassen, obwohl die Bedarfsätze in Karlsruhe verhandelt werden, sei „grotesk“. Wenn das Geld knapp sei, „dann braucht es eben eine höhere Spitzenbesteuerung“.
Aufwachen, Frau Ministerin!
Andreas Keller, stellvertretender Vorsitzender der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), kommentierte gegenüber Studis Online: „Die Ampelkoalition hungert das BAföG systematisch aus, weil sie die Bedarfssätze nicht an die galoppierende Inflation und die Preisexplosion auf dem Wohnungsmarkt anpasst. Dabei liegen die schon heute deutlich unter dem Existenzminimum.“ An die BMBF-Chefin appellierte er: „Wachen Sie aus dem Dornröschenschlaf auf, verteidigen Sie gegenüber dem Bundesfinanzminister die Gelder und legen Sie schleunigst einen Entwurf für eine BAföG-Reform vor.“
Wie der Journalist Wiarda schrieb, habe sich Stark-Watzinger beim Etatpoker mit Lindner sogar „erstaunlich gut geschlagen“. Insgesamt muss sie ihr 2024er-Budget um rund 1,16 Milliarden gegenüber dem Vorjahr zusammenstreichen. Das Minus relativiert sich indes durch die 700 Millionen Euro, die Energiepreispauschale von 200 Euro pro Studierendem gekostet hat, die im Vorjahr einmalig verausgabt wurde.
Gegenüber der mittelfristigen Finanzplanung vom August 2022 ergibt sich gleichwohl ein Minderbetrag von 507 Millionen Euro. Neben dem BAföG müssen daher absehbar weitere sogenannte Zukunftsinvestitionen kürzer treten. Zum Beispiel wehrt sich Stark-Watzinger gegen Begehrlichkeiten der Bundesländer, die „Qualitätsoffensive Lehrerbildung“ zu verlängern. Dabei fehlen an Deutschlands Schulen Zehntausende Nachwuchspädagogen.
„Ampel schießt den Vogel ab“
Vor einem Jahr noch hatte sie außerdem mit viel Medienrummel ein „Startchancen-Programm“ avisiert, mit dem sozial benachteiligte Kinder in sogenannten Brennpunktschulen speziell gefördert werden sollen. Jedoch fühlen sich die Länder in den laufenden Verhandlungen vom Bund hingehalten, ebenso mit Blick auf den „Digitalpakt“ für die Schulen.
Nicole Gohlke von der Bundestagsfraktion Die Linke sieht jedenfalls schwarz, was die bildungs- und hochschpolitischen Ambitionen der Koalition betrifft. „Es steht zu befürchten, dass die versprochene BAföG-Strukturreform vom Tisch ist“, beschied sie heute im Gespräch mit Studis Online. „Nachdem die Regierung die Studierenden in der Energiekrise schon so lange im Regen hat stehen lassen, schießt sie jetzt mit ihren Haushaltsplänen den Vogel ab.“
Damit forciere sie die soziale Spaltung des Bildungssystems, ergänzte die hochschulpolitische Sprecherin ihrer Fraktion. Ein Beleg dafür sei, dass auf die einzige Alternative zum BAföG – den Studienkredit der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) – gerade fast acht Prozent Zinsen anfielen. „So treibt Rot-Grün-Gelb viele Studierende in die Armutsfalle.“
Kein Anschluss beim BMBF
Aus Sicht von Matthias Anbuhl, Vorstandsvorsitzender des Deutschen Studierendenwerks (DSW), werden die groß angekündigte Strukturreform sowie BAföG-Sätze, die zum Leben reichen „womöglich Lindners Rotstift geopfert“. Es brauche eine Ministerin, „die auch im Gegenwind für ‚ihre‘ Studierenden kämpft“, erklärte er am Dienstagmorgen „Und wir brauchen ein Parlament, das seine Kompetenzen nutzt und den Finanzminister beherzt korrigiert.“
Ins selbe Horn stieß Schüssler vom fzs: „Wir erwarten einen Aufschrei aus dem Parlament, der Regierung und dem Ministerium gegen diese Finanzentscheidung.“ Davon ist bislang nichts zu spüren. Eine Anfrage von Studis Online beim BMBF blieb innerhalb der eingeräumten Frist unbeantwortet.
Die am Nachmittag nachgelieferte Antwort des BMBF war allerdings auch nicht besser: Auf die konkrete Frage, was aus der „großen BAföG-Strukturreform“ werde, wurde gar nicht eingegangen. Stattdessen wurde lediglich darauf verwiesen, dass der Mittelansatz der Prognose des Fraunhofer-Institut für Angewandte Informationstechnik (FIT) auf Basis der geltenden Rechtslage entspreche. Und betont, dass die BAföG-Leistungen keineswegs gekürzt würden.
Nominell stimmt das zwar – doch bei der aktuellen Inflation führt das eben real zu einer Kürzung. Dazu kommt, dass so für irgendwelche Reformen definitiv kein Geld da sein wird. Dabei sind noch viele im Koalitionsvertrag aufgeführte Verbesserungen beim BAföG noch nicht umgesetzt. (rw)
Trotz allem: Antrag stellen!
Auch wenn das BAföG offenbar nicht erhöht wird: Wer relevant Anspruch darauf hat, sollte sich das Geld nicht entgehen lassen! Ob sich ein BAföG-Antrag lohnt, kann mit unserem BAföG-Rechner schnell abgeschätzt werden: