„Klammheimlich beerdigt“BAföG-Strukturreform nur ein leeres Versprechen?
Hat die Ampel ihre Pläne für eine große BAföG-Reform still und leise abgeräumt? Oder waren diese immer nur ein leeres Versprechen? Nimmt man den in der Vorwoche vom Bundeskabinett verabschiedeten Bundeshaushaltsentwurfs für 2024, dann erscheint eine Runderneuerung bei der Bundesausbildungsförderung samt Nachbesserungen bei den geldwerten Leistungen zumindest für das kommende Jahr ausgeschlossen.
Wie berichtet soll der Ausgabenposten fürs BAföG nicht aufgestockt, sondern massiv zurückgefahren werden, von mehr als 2,5 Milliarden Euro auf knapp über 1,9 Milliarden Euro – was einem Minus von 25 Prozent entspricht. Allein für die Studierenden werden 440 Millionen Euro weniger veranschlagt, während die Einbußen bei Schülern 212 Millionen Euro betragen.
„Im Prinzip abgesagt“
Trotz allem: BAföG-Antrag stellen!
Auch wenn das BAföG wohl nicht so schnell erhöht wird: Wer relevant Anspruch darauf hat (und das Anrecht besteht unabhängig davon, was im Haushalt dafür vorgesehen ist), sollte sich das Geld nicht entgehen lassen! Ob sich ein BAföG-Antrag lohnt, kann mit unserem BAföG-Rechner schnell abgeschätzt werden:
Für Matthias Anbuhl, den Vorstandsvorsitzenden des Deutschen Studierendenwerks (DSW), rückt damit die nächste BAföG-Novelle in weite Ferne. „Diese Kürzungen (...) heißen in der Konsequenz, dass die versprochene Anpassung der Bedarfssätze und Freibeträge an die Inflation nicht mehr möglich, nicht finanzierbar ist und dass auch die versprochene BAföG-Strukturreform im Prinzip abgesagt wurde“.
Tatsächlich wird das Zeitfenster für eine Gesetzesinitiative immer enger. Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) hatte im Vorfeld der im Herbst 2022 in Kraft getretenen 27. BAföG-Novelle beteuert, noch innerhalb der laufenden Legislaturperiode einen Nachschlag aufzutischen. Neben weiteren Erhöhungen stellte sie vor allem strukturelle Weichenstellungen in Aussicht mit dem Ziel, die Förderung elternunabhängiger zu machen. Außerdem solle es einen regelmäßigen Anpassungsprozess „nicht nach Kassenlage“ geben, sondern mit einem „sinnvollen Rhythmus“.
Meinte sie es wirklich ernst damit, müsste der Gesetzgebungsprozess spätestens im nächsten Jahr angestoßen werden. Als Liefertermin käme dann frühestens der Start des Sommersemesters 2025 oder das Wintersemester 2025/26 in Frage. Danach stünde umgehend die nächste Bundestagswahl an.
Zeit wird knapp
Allerdings gibt es manches, was gegen diese Perspektive spricht. Eine BAföG-Novelle zum Sommersemester wäre absolutes Neuland und praktisch nicht umsetzbar, weil die zum Wintersemester wirksam werdenden und ein Jahr gültigen BAföG-Bescheide alle neu aufgesetzt werden müssten. Das wäre angesichts der ohnehin unter Überlast ächzenden BAföG-Ämter ein bürokratisches Himmelfahrtskommando.
Bliebe einzig das Wintersemester. Das bedeutete allerdings, dass eine scheidende Bundesregierung den Studierenden kurz vor Toreschluss ein teures Abschiedsgeschenk beschert und absehbar ein parteipolitisches Gezänk dazu einsetzt, auf wessen Konto die milde Gabe geht. Eher noch dürfte der dann angelaufene Wahlkampf eine Verständigung auf eine BAföG-Reform gänzlich verunmöglichen.
Dazu kommt ein gewaltiges Hindernis mehr: Schon der 2024er-Haushalt ist auf Kante genäht. Die finanziellen Spielräume für die darauffolgenden Jahre werden absehbar noch kleiner werden. Die Schulden aus den Corona-Jahren müssen abgestottert werden. Bis 2027 will die Regierung Sondervermögen für die deutsche Armee in Höhe von 100 Milliarden Euro ausgegeben haben. Danach soll der Wehretat um jährlich 20 Milliarden Euro aufwachsen, um die NATO-Vorgabe zu erfüllen, zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts in die „Verteidigung“ zu investieren.
Kein Geld für Soziales
Unsummen wird auch der von den USA losgetretene Subventionswettlauf um die besten Standortbedingungen verschlingen. Zum Beispiel will der Bund die Ansiedlung einer Intel-Chipfabrik bei Magdeburg mal eben mit zehn Milliarden Euro sponsern. Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) plant die Einführung eines billigen Industriestrompreises und erst am Mittwoch hat Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) ein Steuersenkungsprogramm für Unternehmen im Umfang von sechs Milliarden Euro angekündigt.
Zugleich predigt er eiserne Haushaltsdisziplin und will der Schuldenbremse wieder zur vollen Bremskraft verhelfen. Passend dazu sagte er zu seinem Etatentwurf für 2024, dieser markiere lediglich den Einstieg in einen jahrelangen Konsolidierungsprozess, was absehbar weitere Kürzungen speziell im Sozialbereich zur Folge haben wird.
Bei all dem werden die Bedürfnisse von Studierenden und Schülern, die über keine schlagkräftige Lobby verfügen, absehbar noch weniger Stellenwert haben. Womöglich gar mit dem Ergebnis, „dass eine selbsternannte Fortschrittskoalition ausgerechnet ein zentrales Element der Bildungsgerechtigkeit – und das ist die anstehende BAföG-Reform – klammheimlich beerdigen will“, wie DSW-Chef Anbuhl dem Spiegel sagte und weiter: „Das ist eine politische 180-Grad-Wende.“
Rektoren fordern rasches Handeln
Es wäre nicht die erste ihrer Art, aber eine zur Unzeit. Nie standen Studierende in Deutschland mehr unter Druck als heute. Die Lebensmittel- und Energiepreise sind seit weit über einem Jahr auf Rekordniveau und eine Entspannung ist nicht in Sicht. Bereits vor der Krise lebte über ein Drittel der rund 2,9 Millionen Hochschüler in Deutschland in Armut und fast 45 Prozent derer, die BAföG-Leistungen beziehen. Inzwischen dürften noch viele mehr mit dem Rücken zur Wand stehen.
Will die Politik sie noch ein weiteres Jahr, vielleicht noch zwei oder mehr Jahre im Stich lassen? Immerhin sorgt die Hängepartie für wachsenden Unmut. „Haushaltskürzungen dürfen nicht auf unserem Rücken ausgetragen werden“, hatte der freie „zusammenschluss von student*innenschaften“ (fzs) im Anschluss an den Kabinettsbeschluss vom vergangenen Mittwoch beklagt. „Wenn das Geld knapp ist, dann braucht es eben eine höhere Spitzenbesteuerung.“
Den Studierenden zur Seite ist jetzt auch die Hochschulrektorenkonferenz (HRK) gesprungen. In einem gemeinsamen Appell mit dem DSW forderte Verbandspräsident Walter Rosenthal am Mittwoch, „die angekündigte Strukturreform des BAföG zeitnah anzugehen und mit den nötigen Mitteln bedarfsgerecht auszustatten“. Andernfalls drohe „dieses zentrale Instrument für mehr Bildungsgerechtigkeit bald gänzlich seine Funktion zu verlieren, weil immer weniger Studierende von der Förderung profitieren“.
Noch weniger Chancengerechtigkeit
Zuletzt standen noch elf Prozent der Studierenden im BAföG-Bezug. Aber es werden demnächst wohl noch weniger sein. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) hat den Etatposten auf Grundlage der erwartbar rückläufigen Zahl an Leistungsbewilligungen reduziert. Das ist zugleich ein Eingeständnis dafür, dass die BAföG-Reform von 2022 verpufft ist. Eigentlich hatte Stark-Watzinger eine „Trendwende“ bei den Gefördertenzahlen verheißen.
Der HRK-Chef warnte vor einer folgenschweren Entwicklung. Immer noch fänden zu wenige Heranwachsende aus den unteren Einkommensgruppen, häufig aus Familien, in denen kein Elternteil ein Hochschulstudium absolviert habe, den Weg an die Hochschule. Die Bedeutung des BAföG als „Instrument zur Herstellung größerer Chancengerechtigkeit“ gehe „gänzlich verloren“, wenn die Regierung nicht rasch zur Tat schreite, so Rosenthal.
Anbuhl vom DSW mahnte Rot-Grün-Gelb, die geplanten Haushaltskürzungen „dringend zurücknehmen“. Nach „zahlreichen Nullrunden“ seien die Leistungen „längst strukturell zu niedrig angesetzt“ und wenn es es nach dem Muster weitergehe, werde das BAföG „ausbluten“.
Ministerium betreibt Augenwischerei
Und was hört man vom BMBF? Nicht allzu viel. Auf Anfrage von Studis Online verlautete am Donnerstag von der Pressestelle: „Wir haben die Reform des BAföG unverändert im Blick.“ In welchem Rahmen sie sich bewegen werde, hänge von den haushälterischen Bedingungen ab, „für 2024 stehen diese nach Abschluss des parlamentarischen Verfahrens fest“.
Das wirkt wie Augenwischerei: In den Etatberatungen müsste sich schon ein mittleres Wunder ereignen, damit nicht allein die Kürzungen kassiert, sondern darüber hinaus finanziell so draufgesattelt wird, dass noch im Jahr 2024 eine halbwegs brauchbare Reform herausspringen könnte. Dafür spricht aktuell wenig bis gar nichts.
Immerhin eine Ausrede für den Fall einer neuerlichen Nullrunde beziehungsweise eines Reformkomplettausfalls in dieser Regierungsperiode hätte Stark-Watzinger nicht mehr. In der Vergangenheit hatte sie BAföG-Nachbesserungen wiederholt an die Umsetzung einer Kindergrundsicherung geknüpft. Um die wird koalitionsintern heftig gestritten und noch ist nicht ausgemacht, ob das Instrument wie geplant zum Jahresanfang 2025 kommen wird und wenn ja, in welcher Form und finanziellen Ausstattung.
Ausrede weniger
Die BMBF-Presseabteilung verwies zwar auf einen „engen inhaltlichen Zusammenhang“, da die künftige Kindergrundsicherung ebenfalls Teil staatlicher Finanzierung von jungen Menschen in Studium und Ausbildung sei und insbesondere auch Elemente umfassen solle, die unabhängig vom Einkommen unterhaltspflichtiger Eltern gewährt werden.
„Im Übrigen ist eine Reform des BAföG aber nicht abhängig von der Einführung der Kindergrundsicherung. Die mit der Einführung der Kindergrundsicherung verbundenen Kosten wirken sich nicht direkt auf die Finanzierung des BAföG aus.“
Indirekt aber vielleicht schon, sofern beide sozialpolitischen „Großprojekte“ der Ampelkoalition gegeneinander ausgespielt werden nach dem Motto: Mehr Geld für die Kindergrundsicherung, weniger fürs BAföG – oder umgekehrt. Läuft es ganz doof, fahren am Ende beide Vorhaben vor die Wand. Ganz ausgeschlossen ist das nicht. (rw)