Lecker und billig essen in NotzeitenNiedersachsen-Menü für Studierende
Zwei Euro und fünfzig Cent für ein warmes Mittagsessen! Wo gibt`s denn sowas? Antwort: An allen staatlichen Hochschulen in Niedersachsen. Und weil das so ist, heißt das Angebot auch genauso: Niedersachsen-Menü. Wie das aktuelle DSW-Journal, das Magazin des Deutschen Studierendenwerks (DSW), in seiner aktuellen Ausgabe schreibt, ist das Gericht nicht nur billig. Es sei außerdem „vollwertig, sättigend, lecker“. Was will man mehr?
Ein Dessert vielleicht? Dafür reicht es leider doch nicht. Aber immerhin: Zu einer Hauptkomponente – Fleisch, Fisch, Vegetarisch, Vegan – werden jeweils zwei Beilagen gereicht. Das kommt gut an, gerade in Zeiten verbreiteter Nöte. Auf den Speiseplänen der fünf Studentenwerke im Land ist die Offerte seit Monaten der Renner, mit einem Anteil von bis 35 Prozent aller verkauften Mensaessen, erfährt man auf der DSW-Webseite.
Kein Einheitsfraß
Dabei heißt Einheitspreis nicht Einheitsfraß. Die Ausgestaltung obliegt den örtlich Verantwortlichen. In Oldenburg wird also nicht dasselbe wie in Braunschweig oder Hannover aufgetischt. In Göttingen zum Beispiel ist Vielfalt Trumpf. In der Zentralmensa der Universität gibt es Fleischhaltiges und Fleischloses im Wechsel, in den Standorten „am Turm“, in der „Lunchbox“ und im „Bistro HAWK“ (Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst) bekommt man den 2,50-Euro-Schlager stets in fleischloser Ausführung. Und ein Becher Wasser gratis hilft bei der Verdauung.
„Das Niedersachsen-Menü ist auf jeden Fall eine gute Sache“, zitiert das DSW-Journal Sofia Dräger, die in Göttingen Geschichte und Politik studiert. Finanziell habe sie nur wenig Spielraum, allein ihre Wohnkosten würden die Hälfte ihres Monatsbudgets von 1.000 Euro auffressen. „Das preisgünstige Menü nimmt etwas Druck raus“ und verschafft Lust und Luft für einen Kaffee danach – „ohne schlechtes Gewissen“.
30 Millionen Euro extra
Aber wer macht die kleine Spende an Lebensqualität überhaupt möglich? Man höre und staune: die Politik. Das Geld dafür stammt aus Landesmitteln. Um die Härten der grassierenden Inflation zu mildern, hatte die regierende Koalition aus SPD und Grünen schon Ende 2022 einen Nachtragshaushalt durchs Parlament gebracht, der den Studierendenwerken auf einen Schlag 30 Millionen Euro extra bescherte.
Das war ein großzügiger Zug, denn eigentlich leiden die Studentenwerke unter chronischer Unterfinanzierung. Die Landeshilfen für jene in Niedersachsen belaufen sich sonst auf nur 17,3 Millionen Euro jährlich. Mit der Sonderzahlung sind es zumindest in diesem Jahr fast dreimal so viel.
Wobei die Zugabe bitter nottut. Die horrend gestiegenen Lebensmittel- und Energiepreise stellen auch die Betreiber der sozialen Infrastruktur an den Hochschulen vor gewaltige Probleme. Die immensen Mehrausgaben müssen irgendwie gestemmt werden, was in der Regel mit steigenden Preisen geht – insbesondere fürs Essen in der Mensa und fürs Wohnen in den Studentenwohnheimen.
Keine höheren Wohnheimmieten
Das aber schlägt sich auf die Nachfrage nieder. Je teurer die Angebote, desto mehr schrecken die Studierenden davor zurück. Dann fällt das gemeinsame Essen mit Kommilitonen aus und die Dosenravioli müssen als erschwinglicher Ersatz einspringen. Bei schwindender Kundschaft schwinden wiederum die Einnahmen der Studierendenwerke, worauf diese mit erneut höheren Preisen regieren müssen – ein Teufelskreis.
Durchbrechen lässt sich der allein mit einer Finanzspritze außer Plan. Das 30-Millionen-Euro-Paket in Niedersachsen ermöglicht nicht nur bezahlbare Mahlzeiten an den Hochschulen – ohne die Zulage hätten die Mensapreise um 45 Cent aufschlagen müssen. Auch die Mieten in den Wohnheimen halten ihr Niveau, Erhöhungen sind zunächst einmal kein Thema mehr. Außerdem kommen die Mittel Hilfsfonds für in Not geratene Studierende oder psychotherapeutischen Beratungsangeboten zugute.
Beim Dachverband der bundesweit 57 Studierendenwerke, dem DSW, ist man dankbar für die kurzfristige Unterstützung durch Rot-Grün. Wobei die Politik angesichts der anhaltenden Krisenlage seit Beginn des Ukraine-Kriegs nicht nur in Niedersachsen initiativ geworden ist. Gegenüber Studis Online verwies DSW-Sprecher Stefan Grob auf weitere Bundesländer, die ähnlich verfahren haben.
Mehrere Bundesländer helfen
So stellt etwa Brandenburg bis Ende 2024 bis zu 13,2 Millionen Euro zur Kompensation erhöhter Energiekosten sowie weitere 13,4 Millionen Euro für Investitionsmaßnahmen bereit, die die Ausgaben fürs Heizen nachhaltig reduzieren. In der Konsequenz will etwa das Studentenwerk Potsdam fürs erste von Beitragserhöhungen absehen.
Einen Defizitausgleich in noch nicht beziffertem Umfang soll auch das Studierendenwerk Hamburg für die Jahre 2023 und 2024 erhalten. Das Land Hessen schießt den dortigen Einrichtungen fünf Millionen Euro zu. In Nordrhein-Westfalen werden im laufenden Jahr insgesamt 18 Millionen Euro extra ausgeschüttet und das Studierendenwerk Saarland bekommt 480.000 Euro zusätzlich.
In Berlin kamen die Hilfen spät, aber nicht zu spät. Die staatlichen Wohnheime hatten die Mieten bereits erhöht, als der Senat Ende 2022 unter dem Eindruck von Protesten doch noch mit einem nachgebesserten Entlastungspaket für Abhilfe sorgte. Davon flossen 13 Millionen Euro in die Stabilisierung der Mietpreise.
Angeschlagener Boxer
Aber nicht überall leistet die Politik den nötigen Beistand. Selbst im reichen Baden-Württemberg waren die Studentenwerke zu Jahresanfang genötigt, die Mieten um im Schnitt zehn Prozent anzuheben, sowohl bei Bestandsmietern als auch Neuverträgen. Ausnahmen bilden Stuttgart und Mannheim, wo nur die Neuankömmlinge drauflegen müssen, in der Landeshauptstadt gar um im Mittel 13 Prozent. Ähnlich stellt sich die Lage in Bayern dar.
Aber selbst da, wo die Landesregierungen zur Tat schritten, ist die Kuh deshalb nicht vom Eis. Die Hilfen wurden temporär bewilligt und keiner weiß, wie lange die Teuerung bei Energie, Lebensmitteln und Rohstoffen noch anhält. Und: Die Krise trifft einen ohnehin angeschlagenen Boxer. Seit sehr langer Zeit ächzen die Studierendenwerke unter Überlasten und Mangelkapazitäten, weil die öffentlichen Zuwendungen mit dem Studierendenansturm, der vor zwei Jahrzehnten die Hochschulen erfasste, nicht annähernd mitgehalten haben.
Zuschüsse reichen nicht
„Abseits der spontanen Hilfen während der Pandemie und jetzt als Reaktion auf die Preisexplosion verzeichnen wir bei den Zuschüssen zum laufenden Betrieb leider keine signifikanten Anhebungen“, gab DSW-Sprecher Grob zu bedenken. Die Inflation von aktuell 6,4 Prozent und die damit verbundenen steigenden Preise und Personalkosten ließen sich so „nicht dauerhaft ausgleichen. Kurzum: Wir benötigen neben den zusätzlichen Hilfen einiger Bundesländer grundsätzlich höhere Länderzuschüsse, zum Wohle der Studierenden“, bemerkte Grob.
Zum Beispiel macht sich sein Verband seit einer gefühlten Ewigkeit für eine Offensive beim Wohnheimausbau im Volumen von 25.000 neuen Plätzen stark. Viel ist seither aber nicht passiert, manche Länder haben sich engagiert, viele andere nicht. Besserung verspricht sich der DSW-Sprecher vom Wiedereinstieg des Bundes in die Förderung, „ein Meilenstein“, wie er sagte. Die Bundesregierung will mit dem Bund-Länder-Programm „Junges Wohnen“ gezielt in die Schaffung bezahlbaren Wohnraums für Studierende und Auszubildende investieren und steuert dazu in diesem Jahr 500 Millionen Euro bei.
Sensibel – Wie lange noch?
Angesichts der Notsituation auf dem Wohnungsmarkt erscheint das Vorhaben jedoch ziemlich kleinteilig, weshalb man beim DSW meint, es könne „nur ein erster Auftakt“ sein. Um „Kraft und Volumen“ zu entfalten, müsse das Programm verstetigt werden.
Das ist keinesfalls ausgemacht. Erst am Montag wurde eine Studie mit dem Ergebnis publik, dass die Bundesregierung ihr Neubauziel für 2024 abermals massiv verfehlen könnte. Statt 400.000 würden absehbar deutlich unter 200.000 Wohnungen neu entstehen. Man kann durchaus Zweifel hegen, dass dabei preisgünstige Studentenbuden Priorität haben werden.
Gleichwohl will Grob bei Bund und Ländern inzwischen „grundsätzlich ein Problembewusstsein“ festgestellt haben „für die finanziell schwierige Lage vieler Studierender und die Bedarfe der Studierendenwerke“. Hoffentlich ist das nicht bloß ein frommer Wunsch. Was von der neuen Sensibilität übrig bleibt, wird sich spätestens dann zeigen, wenn die Zeit der allergrößten Not vorbei und der normale Notstand zurückgekehrt sein wird. Essen satt für 2,50 Euro wird dann bestimmt nicht mehr drin sein. (rw)