Eingeknickt und abgenicktLippenbekenntnisse zu BAföG-Strukturreform
In puncto BAföG-Reform enttäuscht die Ampelkoalition weiterhin mit Untätigkeit. Am Mittwoch befasste sich der Haushaltsausschuss des Bundestags mit der Etatplanung für 2024 des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF). Ergebnis: Abgesehen von kleineren Nachbesserungen – etwa bei der Leseförderung oder der Ausstattung des Deutschen Akademischen Austauschdiensts (DAAD) – wurde der Anfang Juli beschlossene Kabinettsentwurf in seinen Grundzügen durch die Vertreter von SPD, Grünen und FDP bestätigt.
Wie berichtet, sollen die Mittel für Bildung und Forschung verglichen mit dem laufenden Jahr um rund 1,1 Milliarden Euro schrumpfen. Das mit Abstand dickste Minus mit etwa 650 Millionen Euro setzt es bei den Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz. Für Studierende werden 440 Millionen Euro weniger kalkuliert, das Budget fürs Schüler-BAföG wird um 212 Millionen Euro gekappt. Gegenüber 2023 belaufen sich die Einbußen insgesamt auf knapp über 25 Prozent.
Nicht gekürzt, nur kleingerechnet
Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) wehrt sich beharrlich gegen die Darstellung, beim BAföG-Titel werde gekürzt. „Die Zahlen entsprechen der aktuellen Bedarfsprognose auf Basis der geltenden Rechtslage“, erklärte das Ministerium einmal mehr am Donnerstag auf Anfrage von Studis Online und verwies auf eine Studie des Fraunhofer-Instituts für Angewandte Informationstechnik (FIT). Das bedeute, dass „jeder einzelne Berechtigte seine Leistungen in vollem Umfang erhält“, teilte eine Sprecherin mit.
Ernsthaft in Zweifel gezogen hatte das niemand. Mutmaßlich will das Ministerium davon ablenken, welche Schlüsse aus dem gerupften Ausgabenansatz zu ziehen sind. Einerseits ist das der Beleg dafür, dass Stark-Watzingers BAföG-Novelle vom Herbst 2022 verpufft ist und die von ihr verheißene „Trendumkehr“ bei den Förderzahlen sich nicht bewahrheitet hat. Das FIT sagt für die nähere Zukunft sogar weitere Einbrüche voraus. Heute beziehen bestenfalls noch elf Prozent der Studierenden staatliche Ausbildungshilfe.
Auf der ganz langen Bank
Außerdem gilt: Finanzielle Spielräume für eine längst überfällige Anschlussreform, wie sie Stark-Watzinger selbst in Aussicht gestellt hat, gibt es, Stand jetzt, im kommenden Jahr nicht. Womit die Zeit für die angekündigte große BAföG-Strukturreform immer knapper wird. Im Herbst 2025 steht die nächste Bundestagswahl an. Es erscheint kaum wahrscheinlich, dass die Koalition mitten im Wahlkampf „Geschenke“ verteilt, und eine BAföG-Reform zum Sommersemester 2025 ist wegen technisch-administrativer Hürden praktisch undenkbar.
Die Ungewissheit sorgt für Verdruss. „Die BAföG-Strukturreform wird auf die lange Bank geschoben“, fürchtet Matthias Anbuhl. „Bleibt es bei den Kürzungen, gäbe der Bundeshaushalt weder eine Erhöhung noch eine Strukturreform her“, befand der Vorstandsvorsitzende des Deutschen Studierendenwerks (DSW) im Gespräch mit Studis Online. „Die Botschaft an die Studierenden wäre desaströs: Ihr müsst trotz massiv gestiegener Kosten für Mieten, Energie und Ernährung in den Jahren 2023 und 2024 mit weiteren Nullrunden auskommen.“
Junge Wilde abgetaucht
Gleichwohl will man beim DSW die Hoffnung nicht aufgeben und setzt auf Bewegung in den weiteren Beratungen. Die sogenannte Bereinigungssitzung des Haushaltsausschusses ist auf Mitte November datiert. Dann ergeht der endgültige Beschluss zum 2024er-Bundeshaushalt, der anschließend im Bundestagsplenum in zweiter und dritter Lesung verabschiedet wird. DSW-Chef Anbuhl nimmt insbesondere die Nachwuchspolitiker in der Koalition in die Pflicht. „Wann greifen gerade die jüngeren Abgeordneten beherzt ein und erinnern ihre Parteispitzen an ihre eigenen BAföG-Versprechen?“
Zu denen gehört zum Beispiel Laura Kraft von der Grünen-Fraktion, die sich dieser Tage auf Linkedin zur Erhöhung des Zinssatzes für den Studienkredit der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) auf über neun Prozent äußerte. Aufgrund der Kostenexplosion bei Energie, Lebensmitteln und Mieten „ist es für uns Grüne unerlässlich, dass die BAföG-Strukturreform endlich kommt“, erklärte sie, ohne zu erklären, warum dann ihre Parteikollegen im Haushaltsausschuss für den Bildungsetatentwurf votieren.
Regieren macht zahm
Noch zu den Jüngeren zählt mit 45 Jahren auch der Grünen-Politiker Kai Gehring, immerhin Vorsitzender des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung. Früher war er einer der schärfsten Kritiker der schwarz-roten Hochschulpolitik und drückte er heute noch die Oppositionsbank, ließe er kein gutes Haar an Stark-Watzingers BAföG-Kurs. Seit er mitregiert, wirkt er wie umgedreht – alles prima, was die Ampel so anstellt.
Passend dazu belobigt er in einer Stellungnahme gegenüber Studis Online erst einmal die jüngste BAföG-Reform, die faktisch zum Rohrkrepierer geriet. Dann zählt er auf, was noch fehlt: Die Sätze müssten regelmäßig angepasst werden und ein Studienfachwechsel für BAföG-Empfänger erleichtert werden. Deshalb müsse trotz einer angespannten Haushaltslage „die Arbeit an der geplanten BAföG-Strukturreform beginnen“ und die Haushaltsberatungen „sind noch nicht abgeschlossen“.
Bitte keine „Deform“
War das ein versteckter Fingerzeig? Hat man im BMBF mit der Arbeit nicht einmal losgelegt? Weiter verwies Gehring auf eine Regierungsbefragung im September, bei der sich Stark-Watzinger im Bundestag „klar zur BAföG-Strukturreform bekannt“ habe. Entsprechend ließ gestern auch ihr Ministerium verlauten: „Wir haben die Reform des BAföG unverändert im Blick. In welchem Rahmen sie sich bewegen wird, hängt von den haushälterischen Bedingungen ab. Für 2024 stehen diese nach dem Abschluss des parlamentarischen Verfahrens fest.“
Andreas Keller, stellvertretender Vorsitzender der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), ahnt nichts Gutes. Was, wenn es eine Novellierung auf Basis des gekürzten Mittelansatzes, also eine kostenneutrale Strukturreform gibt? „Das wäre keine Reform, sondern ein Deform“, sagte er am Freitag Studis Online. Auch Keller wundert sich über die Verrenkungen von SPD und Grünen. „Die werden nicht müde zu betonen, dass eine Reform noch in dieser Wahlperiode kommen soll. Gleichzeitig winken sie im Ausschuss die Kürzung des BAföG-Etats durch.“ Wenn die Koalition wieder glaubwürdig werden wolle, „muss sie die Mittel kräftig erhöhen“, so der GEW-Vize.
Noch in diesem Jahr?
In Reihen der SPD-Fraktion gibt Oliver Kaczmarek bildungspolitisch den Ton an. Vor zwei Wochen warb er gegenüber der Nachrichtenagentur AFP für ein schon früher präsentiertes BAföG-Konzeptpapier seiner Partei, das in vielen Punkten fortschrittlich ist: automatische Anpassung der Bedarfssätze, höhere Leistungen und Freibeträge, mehr Zuschuss-, weniger Kreditanteile, verlängerte Förderhöchstdauer, erleichterter Fachrichtungswechsel. Das alles klingt toll und noch toller klingt der Zeitplan. So solle das BAföG „noch in diesem Jahr (...) weiter erhöht werden“, schrieb AFP unter Berufung auf Kaczmarek.
Damit tut sich eine ganze neue Option auf: Eine Reform in 2023, also in den verbleibenden zweieinhalb Monaten des Jahres. Dafür aber müsste irgendwoher das Geld genommen werden, wovon die Koalition ja angeblich so wenig hat. Beziehungsweise hat sie schon Geld, aber Dutzende Milliarden gehen eben für die Aufrüstung der Bundeswehr drauf oder für teure Industrieansiedlungen oder den Import von schmutzigem Frackinggas aus den USA.
Und gibt es denn überhaupt irgendeinen Anhaltspunkt dafür, dass das BAföG in Windeseile aufgestockt wird? Ach was! Auch einem Statement Kaczmareks gegenüber Studis Online ist nichts dergleichen zu entnehmen. Es sei „eine politische Anstrengung der gesamten Koalition notwendig“, das BAföG müsse „in der politischen Prioritätenliste nach oben gerückt und dafür müssen auch zusätzliche Mittel beim Bundesfinanzminister eingeworben werden“, heißt es darin. „Dafür konsequent einzutreten ist auch unsere Erwartung an die Bildungsministerin.“
Studis unterm Radar
Also richtet sich der Blick doch nur aufs Jahr 2024. Jedenfalls sei das Thema „mit den Beratungen zum Einzelplan Bildung im Bundeshaushalt nicht erledigt“, ergänzte der SPD-Politiker und weiter: „Der Bundeshaushalt wird erst Ende November beschlossen.“ Das schließt an eine Einlassung seiner Parteigenossin Wiebke Esdar an, die im Haushaltsausschuss sitzt. Ihre Fraktion stecke in der Sache nicht auf, bekräftigte sie. „Für eine Gesetzesänderung mit einem so riesigen erforderlichen Volumen waren die Einzelplanberatungen von vornherein nicht der richtige Ort. Wer diese Erwartung hatte, dem kann ich nur sagen: Völlig unrealistisch.“
Nicole Gohlke, bildungspolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion Die Linke, überzeugt das nicht. „Der Spielraum für eine BAföG-Reform wird immer kleiner. Die Koalition steht nach wie vor hinter den massiven Kürzungsplänen“, beschied sie heute gegenüber Studis Online. „Das Nichtstun beim BAföG oder beim KfW-Studienkredit zeigen, wie weit unten Studierende bei dieser Regierung auf der Prioritätenliste stehen.“ (rw)