Nicht mehr als eine ZwischenlösungSemesterticket als Deutschlandticket ab SoSe 2024 möglich
Das wurde aber auch Zeit! Nach monatelangem Hickhack haben sich Bund und Länder auf die Einführung eines bundesweit gültigen Semestertickets für die Nutzung des Öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) geeinigt. Läuft alles nach Plan, könnten viele Studierenden in Deutschland zum kommenden Sommersemester republikweit Busse, Straßen-, S-, U- und Regionalbahnen zum Preis von für 29,40 Euro pro Monat nutzen. Oder anders ausgedrückt: Für einen um 176,40 Euro erhöhten Semesterbeitrag, denn das Angebot gilt nur, wenn die Studierende einer Hochschule es allesamt kaufen.
Den Beschluss fällte am Montagabend der „Koordinierungsrat Deutschlandticket“. In dem Gremium sitzen Vertreter des Bundesfinanz- und -verkehrsministeriums, der Verkehrsministerien der 16 Bundesländer sowie von Verkehrsverbänden und -unternehmen. Im Anschluss an die Sitzung sprach Nordrhein-Westfalens Verkehrsminister Oliver Krischer (Grünen-Partei) von einem „Durchbruch“. Das Angebot könne starten, sobald die örtlichen Allgemeinen Studierendenausschüsse (Asten) die notwendigen Verträge geschlossen hätten.
Sorge um Solidarmodell
Die Offerte knüpft an das bundesweite Deutschlandticket an, das als Nachfolger des im Sommer 2022 aufgelegten Neun-Euro-Tickets seit 1. Mai dieses Jahres für 49 Euro zu haben ist. Bis zuletzt bestand die Sorge, der neue Tarif könne zum Totengräber des studentischen Solidarmodells werden, das lange Zeit der Garant für bezahlbare studentische Mobilität gewesen war.
Dessen Erfolg beruhte darauf, dass sämtliche Hochschüler einer Hochschule ein ÖPNV-Abo abschließen, selbst jene, die das Angebot nur wenig oder gar nicht nutzen. Das treibt den Preis nach unten, den entweder die lokale Studierendenvertretung oder das zuständige Studierendenwerk mit dem regionalen Verkehrsverbund aushandelt.
Die niedrigen Kosten machten das Arrangement juristisch weitgehend unangreifbar. Mit dem Auftauchen des 49-Euro-Tickets ist der preisliche Abstand zum Semesterticket allerdings gerade bei den großen Verkehrsverbünden deutlich kleiner geworden. Das könnte zu Klagen vor den Gerichten ermuntern, die auf Unzumutbarkeit des Zahlungszwangs zielen.
Viele Verträge gekündigt
Vor diesem Hintergrund hätten Studierendenschaften in den vergangenen Monaten reihenweise ihre Kontrakte mit den örtlichen Verkehrsunternehmen aufgekündigt, erklärte Madita Lachetta, Mitglied im Bundesvorstand der Juso-Hochschulgruppen, gegenüber der Deutschen Presse-Agentur (dpa). Deshalb stünden gegenwärtig „viele Studierende ohne Semesterticket da“.
Er freue sich über die Verständigung, äußerte sich gestern Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP). Nach der Klärung der Finanzierungsfragen profitierten demnächst auch „Studentinnen und Studenten von diesem attraktiven deutschlandweiten Angebot – und das zu einem sehr günstigen Preis“.
Isabel Cademartori, verkehrspolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, sagte: „Das deutschlandweite Semesterticket im Solidarmodell kommt.“ Damit sei der Weg freigemacht worden für eine weitere Ausweitung der Zahl der regelmäßigen Abonnentinnen und Abonnenten. „Und das ohne nennenswerte Mehrkosten für Bund und Länder.“
„Preisliche Oberkante“
Erleichtert zeigte sich auch Matthias Anbuhl, Vorstandsvorsitzender des Deutschen Studierendenwerks (DSW). Dass Studierende mit dem ermäßigten Deutschlandticket bundesweit mobil sein können, „ist eine gute Nachricht“, erklärte er per Medienmitteilung. So werde verhindert, dass Studierende im Extremfall mehr für ihre Mobilität bezahlen müssten, als ihre Professorinnen und Professoren. Allerdings sind für Anbuhl die 29,40 Euro „absolut die preisliche Oberkante“.
„Bauchschmerzen“ bereitet der Preis Sascha Wellmann, Vorstandsmitglied beim „freien zusammenschluss von student*innenschaften“ (fzs). „Es ist für mich durchaus vorstellbar und nachvollziehbar, wenn es Leute gibt, denen das zu viel ist und die sagen, als Solidarmodell ist das zu teuer.“ Deshalb sei die gefundene Lösung „für uns auch nur ein Teilerfolg, weil unsere Forderung nach der Bezahlbarkeit weitgehende gescheitert ist“, beschied er am Dienstag im Gespräch mit Studis Online.
Der Studierendendachverband hatte sich für einen Preis von 19 Euro pro Monat stark gemacht, „bei einem Solidarmodell müsste es langfristig noch günstiger sein, auch im Sinne der Mobilitätswende“, wie Wellmann erläuterte. Laut Statistik lebten mehr als ein Drittel der Studierenden in Armut. „Für die Betroffenen können zehn Euro mehr oder weniger entscheidend dafür sein, ob sie sich ein Studium weiterhin leisten können.“
Kostenauftrieb ausgemacht
David Wiegmann vom Landes-ASten-Treffen Nordhein-Westfalen (LAT NRW) rechnet zunächst einmal mit einer „großen Akzeptanz“ der Lösung unter den Studierenden im bevölkerungsstärksten Bundesland. Dort kostet das studentische NRW-Ticket beim Verkehrsverbund Rhein-Ruhr (VRR) derzeit rechnerisch 36,67 Euro pro Monat. „Der Preisnachlass von sieben Euro erscheint gut vermittelbar“, bemerkte er gegenüber Studis Online. „Das gilt aber nur für den Fall, dass es auch dabei bleibt.“
Das allerdings ist praktisch ausgeschlossen. Die Finanzierung des Deutschlandtickets ist nicht einmal mittelfristig in trockenen Tüchern und vieles deutet darauf hin, dass der Preis schon bald deutlich über die aktuell 49 Euro angehoben wird. Bereits vor Wochen waren 59 Euro im Gespräch und mit den neu aufgetauchten Milliardenlöchern im Bundeshaushalt 2023 und 2024 droht eine vielleicht noch sattere Zugabe.
Nach Auskunft von Wiegmann vom LAT-NRW gilt es als „politisch ausgemacht, dass bei einer Verteuerung des Deutschlandtickets auch das Semesterticket mitzieht“. Damit könne ein Studium für viele auf einen Schlag unbezahlbar werden, fürchtet er. Auch sieht er die Gefahr, dass Mitnahmeregelungen für Fahrräder und Personen wegfallen.
Zeit wird knapp
Ob es im Rahmen der Preiskopplung dann bei dem 40-Prozent-Unterschied zwischen Deutschland- und Semesterticket bleibt oder die Kosten in identischer Höhe zulegen, muss abgewartet werden. Beim fzs ist man deshalb auch nur fürs erste beruhigt. Dass das Solidarmodell „mit möglicher Preissteigerung ab Herbst 2024 für Studierende eine Lösung bleibt, ist fraglich“.
Offen ist ebenso, ob die Lösung bis zum Sommersemester überall umzusetzen ist. Den Studierendenschaften vor Ort steht es frei, das neue Angebot anzubieten, Alternativen zu verhandeln, beziehungsweise schon bestehende Regelungen zu erhalten. Die Zeit, die Verträge vor Ort zu machen, sei äußerst knapp, die Vorgaben wären „mehr als herausfordernd“, meint man beim fzs.
„Ich kann mir vorstellen, dass dies vielerorts klappen kann, wenn mit Hochdruck daran gearbeitet wird“, glaubt Vorstandsmitglied Wellmann. „Es wird aber sicherlich einige Standorte geben, wo dies aufgrund der Vertragsmodalitäten zu bestehenden Semestertickets nicht zu schaffen ist.“ Für diese Fälle wünscht er sich, „dass mindestens noch die Möglichkeit des Upgrades auf das Deutschlandticket bestehen bleibt“. (rw)