23. BAföG-BerichtHaushaltskürzer verschonen Studierende – BAföG-Reform gerettet!?
Gerettet!? Eine für kommendes Jahr angekündigte Novelle der Bundesausbildungsförderung (BAföG) fällt offenbar nicht dem Etatloch der Bundesregierung zum Opfer. Wie berichtet, hatte der Haushaltsausschuss des Bundestags vor drei Wochen eine 150 Millionen Euro über den ursprünglichen Ausgabenansatz hinausgehende Aufstockung des BAföG-Postens bewilligt.
Allerdings war damit das letzte Wort nicht gesprochen. Bekanntlich hatte Mitte November das Bundesverfassungsgericht ein folgenreiches Urteil gesprochen, das die kurz- und mittelfristige Finanzplanung der Koalition komplett über den Haufen warf. Plötzlich fehlten mit einem Mal 60 Milliarden Euro, die die Ampel vor allem für diverse klimapolitische Vorhaben fest einkalkuliert hatte. Allein im 2024er-Haushalt brachen 17 Milliarden Euro weg.
BMBF-Kürzungen offen
Nach langem Tauziehen haben sich in der Nacht auf Mittwoch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und Finanzminister Christian Lindner (FDP) auf einen Fahrplan raus aus der Sackgasse verständigt. Im Groben sieht der so aus: Schuldenbremse bleibt, zwölf Milliarden Euro weniger für den Klima- und Transformationsfonds (KTF), steigende Energie- und Benzinpreise für Normalverbraucher (Studierende inklusive) sowie überschaubare Kürzungen gestreut über alle Ressorts hinweg.
Was das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) beitragen muss, ist nicht überliefert. Eine detaillierte Aufschlüsselung der durch die Ministerien zu erbringenden Einzelmaßnahmen liegt bislang nicht vor. Dass aber beim BAföG nach der zunächst „gekürzten Kürzung“ abermals der Rotstift angesetzt wird und der gerade erst geschaffene Spielraum für eine Reform gleich wieder kassiert wird, erscheint eher unwahrscheinlich.
Buschfunk
Nicht nur wäre das öffentlich schwerlich vermittelbar. Halbwegs nach Entwarnung hört sich auch das an, was Studis Online bei der Bundestagsfraktion Die Linke in Erfahrung brachte: „Wenn wir dem Buschfunk glauben, werden die BAföG-Millionen gerettet.“ Gewissheit wird es ohnehin erst in ein paar Wochen geben – wenn überhaupt.
Nach den nun erneut anstehenden Einzelberatungen zum Haushalt 2024 ist mit den abschließenden Voten durch Bundestag und Bundesrat erst Ende Januar, Anfang Februar zu rechnen. Bis dahin kann es noch manche Überraschung geben, bis hin zu einer zweiten Vollblamage. Aus der FDP dringen bereits Stimmen, wonach der Entwurf abermals gegen das Grundgesetz verstößt – diesmal wegen der partiellen Aussetzung der Schuldenbremse zugunsten der Wiederaufbauarbeiten nach der Flut im rheinland-pfälzischen Ahrtal.
Schönwetterministerin
Zurück zum BAföG: Nimmt man eine gestern durch BMBF-Chefin Bettina Stark-Watzinger (FDP) getätigte Äußerung, stehen die dringend nötigen Nachbesserungen unverändert auf ihrer Agenda. Anlass war die am selben Tag erfolgte Verabschiedung des 23. BAföG-Berichts der Bundesregierung durch das Bundeskabinett, der für den Zeitraum von Anfang 2021 bis Ende 2022 einen 4,4-prozentigen Anstieg der Förderzahlen ausweist.
Das „freut mich sehr“, sagte die Ministerin, „nun wollen wir die positive Entwicklung weiter befördern und das BAföG mit grundlegenden strukturellen Anpassungen auch an die sich verändernde Lebenswirklichkeit von Auszubildenden anpassen“. Man werde „mehr Flexibilität im Studienverlauf“ zulassen und die Sozialleistung „für noch mehr Menschen“ öffnen, setzte sie nach. „Damit gehen wir den nächsten Schritt zur Erneuerung des Aufstiegsversprechens.“
Warum an Vorgaben halten?
Der üblicherweise im Zweijahresturnus vorgelegte BAföG-Bericht dient der Überprüfung von Bedarfssätzen, Frei- und Höchstbeträgen. Dabei ist laut BAföG-Gesetz „der Entwicklung der Einkommensverhältnisse und der Vermögensbildung, den Veränderungen der Lebenshaltungskosten sowie der finanzwirtschaftlichen Entwicklung“ Rechnung zu tragen. Die Erfahrung lehrt leider, dass die Regierenden ziemlich verlässlich gegen die Vorgabe verstoßen.
Auch die jüngste BAföG-Reform vom Herbst 2022 galt Kritikern von Beginn an für zu knapp bemessen, was sich erst recht im Zeichen der Energiekrise und Rekordinflation bewahrheitete. Die Zulage von 5,75 Prozent bei den Bedarfssätzen war im Nu von der allgemeinen Teuerung aufgefressen. Die üppig anmutende Anhebung der Elternfreibeträge um 20,75 Prozent mag den Kreis der Adressaten auf dem Papier erweitert haben. Faktisch ist von der verheißenen „Trendumkehr“ bis heute jedoch nichts zu spüren.
Förderungen: minus 2,3 Prozent
Das (nicht eingestandene) Scheitern liest sich im Bericht so: „Kumuliert weisen die Gefördertenzahlen im Studierenden- sowie im Schulbereich somit trotz der erheblichen Leistungsverbesserungen (...) noch ein leichtes Absinken der Zahl der insgesamt jahresdurchschnittlich mit BAföG Geförderten im Vergleich zum letzten Berichtszeitraum aus, und zwar von rund 429.000 in 2020 auf rund 419.000 in 2022, also um rund 2,3 Prozent.“
Entsprechend ist Stark-Watzingers frohe Kunde von einem „Aufwärtstrend“ mit Vorsicht zu genießen. Besagten rund vier Prozent mehr bei den geförderten Studierenden steht nämlich ein um über 17 Prozent gestiegener Anteil der nach dem Gesetz Anspruchsberechtigten gegenüber. Im Vorgängerbericht, der sich auf den Zeitraum zwischen 2017 bis 2020 bezog, waren von sämtlichen Studierenden in Deutschland lediglich 61,2 Prozent förderfähig. Alle anderen fielen aufgrund der damals noch geltenden Altersgrenzen (bis 30 Jahre) und anderer Ausschlusskriterien etwa für Teilzeit- und Zweitstudierende per se durchs Raster.
2022 | 2021 | 2020 | 2019 | 2018 | 2017 | 2016 | 2015 | 2014 | |
Studierende (gesamt) in Tsd. | 2.872 | 2.879 | 2.841 | 2.811 | 2.788 | 2.755 | 2.709 | 2.654 | 2.579 |
Anspruchsberechtigte in Tsd. | 2.251 | 2.276 | 1.740 | 1.686 | 1.696 | 1.704 | 1.709 | 1.706 | 1.696 |
BAföG-Geförderte in Tsd. | 335 | 333 | 321 | 317 | 338 | 364 | 377 | 401 | 425 |
Gefördertenquote (alle Studierende) | 11,7 | 11,6 | 11,3 | 11,3 | 12,1 | 13,2 | 13,9 | 15,1 | 16,5 |
Gefördertenquote (Anspruchsberechtigte) | 14,9 | 14,7 | 18,5 | 18,8 | 20,0 | 21,4 | 22,1 | 23,5 | 25,0 |
Ausgaben für Studi-BAföG in Mio. € | 2.511 | 2.317 | 2.107 | 1.908 | 1.991 | 2.182 | 2.071 | 2.192 | 2.249 |
Die Angaben zu den Ausgaben stimmen nicht genau mit denen voriger Berichte überein und wurden möglicherweise später korrigiert. Im aktuellen Bericht wird erläutert: „Inklusive des von der KfW für den Bund geleisteten Darlehensanteils und ohne die hierfür vom Bund an KfW geleisteten Zinsen“. Wer noch älteren Zahlen (ausgewählte ab 1972; alle seit 2000) einsehen will: BAföG-Statistik-Tabellen + Chart
Von wegen Aufwärtstrend
Mit der Anhebung der Altersgrenze auf 45 Jahre im Zuge der 27. BAföG-Novelle sowie aufgrund der während der Corona-Krise verlängerten Förderfähigkeit („Corona-Semester“) schnellte der Anteil auf 78,4 Prozent hoch. Es hatten also deutlich mehr Hochschüler ein Anrecht auf Leistungen. Verglichen mit dem deutlich gewachsenen Potenzial erscheinen 4,4 Prozent mehr Geförderte deshalb ziemlich kümmerlich.
Im Verhältnis zu den formal Förderfähigen haben damit tatsächlich bloß 14,9 Prozent ihre Ansprüche geltend gemacht. Davor waren es noch 18,5 Prozent gewesen. Aussagekräftiger ist ohnehin der Anteil der Geförderten an allen rund 2,9 Millionen Studierenden. Zwischen 2017 und 2020 betrug dieser 11,29 Prozent, in den beiden Folgejahren dann 11,66 Prozent. Einen „Aufwärtstrend“ muss man da mit der Lupe suchen.
Kalkulierter Einbruch
Dazu kommt: Die Bestimmungen der Pandemie sind ausgelaufen und für alle ab dem Wintersemester 2021/22 erstimmatrikulierten Studierenden gelten wieder die üblichen Regeln zur Förderhöchstdauer. Spätestens in einem Jahr wird die Statistik um diesen Sondereffekt bereinigt sein, wodurch der Anteil der Förderfähigen und mit ihr die Zahl der Förderungen weiter absinken wird.
Tatsächlich hat die Ministerin das längst auf dem Zettel. Nach Berechnungen des Fraunhofer-Instituts für Angewandte Informationstechnik (FIT), auf die sich das BMBF beruft, werden die Zahlen auf Basis der geltenden Bedingungen weiter einbrechen. Im Jahresmittel 2023 rechnen die Forscher demnach mit 385.000 geförderten Studierenden, 2024 mit 342.000 und schon 2025 mit weniger als 300.000.
Dunkler als düster
Das Zahlenwerk erscheint freilich schon reichlich überholt. Der Schnitt von 335.000 Geförderten im Berichtszeitraum 2020/21 liegt etwa auf dem Niveau, das eigentlich erst für kommendes Jahr vorausgesagt war. Man muss davon ausgehen, dass es Ende 2024 noch einmal deutlich weniger sein werden. Augenscheinlich unterbietet der Ertrag der Reform noch die düstersten Prognosen.
Ob eine Reform im Umfang von 150 Millionen Euro das Runder herumreißt, erscheint eher zweifelhaft. Der BAföG-Bericht bleibt in dieser Hinsicht vage. Ganz am Ende heißt es: „Für die Zukunft gilt es, das Spannungsverhältnis zwischen gestiegenen Verbraucherpreisen, der finanzwirtschaftlichen Gesamtentwicklung und dem Vertrauen in ein bedarfsgerechtes BAföG als selbstverständliche Rahmenbedingung für Ausbildungsentscheidungen andererseits im Blick zu behalten.“
Beirat macht Druck
Mehr Substanz hat die Stellungnahme des „Beirats für Ausbildungsförderung“ (am Ende des Berichts), der das BMBF qua Gesetz berät und dem unter anderem der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB), der Landkreistag und das Deutsche Studierendenwerk (DSW) angehören.
Das Gremium „hält angesichts der derzeitigen und prognostizierten inflationären Entwicklung eine deutliche und zügige Anpassung der Freibeträge, Bedarfssätze sowie der Wohnkostenpauschale und Sozialpauschalen für notwendig, um das Vertrauen in die Verlässlichkeit der staatlichen Ausbildungsförderung auch künftig sicherzustellen“. Der Beirat spricht sich außerdem für eine Anpassung an „veränderte Lebens- und Ausbildungsrealitäten“ aus durch vereinfachten Studienfachwechsel und eine verlängerte Förderungshöchstdauer.
Ampel muss liefern!
Das deckt sich mit Forderungen der Linksfraktion im Bundestag. „Die Ampel muss jetzt endlich für ein existenzsicherndes BAföG sorgen. Da muss jetzt ein Gesetzentwurf auf den Tisch“, erklärte am Donnerstag die Sprecherin für Bildung und Wissenschaft, Nicole Gohlke, im Gespräch mit Studis Online. „Wir brauchen eine Neuausrichtung des BAföG hin zu einem rückzahlungsfreien Vollzuschuss. Die Angst vor Schulden ist keine Unterstützung.“ (rw)