Das Entscheidende fehltErster Entwurf 29. BAföG-Änderungsgesetz
Blicken wir zunächst kurz zurück: Die ersten Planungen zum Haushalt 2024 aus dem Sommer 2023 sahen deutlich weniger Geld für das BAföG vor – auf Grundlage der Annahme keinerlei Verbesserungen des BAföG.Der Haushaltsausschuss hatte dann im November doch noch 150 Millionen mehr als ursprünglich geplant für das BAföG vorgesehen – doch die Auswirkungen des Bundesverfassungsgerichtsurteils zur Schuldenbremse und den „Haushaltstricks“ waren da noch nicht ganz durchgedrungen. Vor allem gab (und gibt) es verschiedene Möglichkeiten der Reaktion darauf. Insofern konnte man hoffen, dass wenigstens diese 150 Millionen wirklich für das BAföG verwendet werden.
Die Koalition einigte sich – mehr oder weniger (Einigungen halten aktuell ja irgendwie nicht unbedingt lange) – darauf, nur wenig Mehreinnahmen anzustreben (im wesentlichen durch den Abbau einiger Subventionen), so dass im Ergebnis also im Haushalt eine Menge Geld eingespart werden müsste. Im BMBF scheint man den Elan, das BAföG wirklich substantiell zu verbessern, verloren zu haben und die Ministerin steht treu zur FDP-Linie, die Schuldenbremse müsse stehen und Steuererhöhungen seien auch ganz böse.
Das Wesentliche fehlt
Leider also keine wirklich große Überraschung, dass der Entwurf nur 62 Millionen Mehrausgaben für das BAföG (im Vergleich zur Sommerplanung) vorsieht, weniger als die Hälfte also, als der Haushaltsausschuss vorläufig gewährt hatte. Wirklich bitte jedoch: Eine Erhöhung des BAföGs ist nicht vorgesehen. Damit würde das BAföG mindestens drei Jahre ohne Erhöhung bleiben, wahrscheinlich sogar vier, denn 2025 dürfte es wegen der Bundestagswahlen gar keine BAföG-Anpassung geben.
Damit würde die Linie der letzten Jahrzehnte BAföG fortgeführt, die zum Abstieg des BAföG mit am stärksten beigetragen haben dürfte: Wieder keine Verlässlichkeit, dass das BAföG mit den realen Kostensteigerungen mitgeht. Erhöhungen gab es seit der Jahrtausendwende immer nur alle paar Jahre: 2002, 2008, 2010, 2016, 2019, (2020), 2022, 2026(?)
Der Haushaltsausschuss hatte die Bereitstellung der 150 Millionen eigentlich auch mit einer BAföG-Erhöhung verknüpft und am Rande auch die laufende Klage vor dem Bundesverfassungsgericht erwähnt. Es könnte nämlich sogar passieren, dass die Bestimmung der BAföG-Höhe als verfassungswidrig festgestellt wird. Nachdem inzwischen der BAföG-Grundbedarf über 100 € unter dem des Bürgergelds liegt und seit Januar diesen Jahres auch unter dem Grundbedarf des Asylbewerberleistungsgesetzes erscheint das gar nicht so unwahrscheinlich.
Aber wir machen doch was …
Der Entwurf begründet viele der (durchaus vernünftigen) tatsächlich angegangen Maßnahmen damit, dass „[o]hne die vorgeschlagenen Änderungen und Anpassungen würden die Förderungsleistungen nach dem BAföG den Bedürfnissen der Studierenden mit Blick auf tatsächliche Studienverläufe wie auch die Startbedingungen von Studierenden aus Familien mit Sozialleistungsbezug nicht mehr gerecht.“ Doch dass alle BAföG-Bezieher:innen zu wenig zum Leben bekommen und gerade in teureren Städten (und günstige gibt es immer weniger) darauf angewiesen sind, mehr oder weniger umfangreiche zu jobben – das scheint nicht zu interessieren und kein Problem zu sein.
Das BMBF scheint zu verkennen, dass es zwar schön ist, einzelnen mit den folgenden Reformen wirklich zu helfen, die breite Masse davon aber wenig hat und insgesamt die Unzufriedenheit über das BAföG somit weiter steigen wird. Da nutzen noch so gute Maßnahmen nichts, wenn diese nur einem Bruchteil zu Gute kommen.
Was also ist geplant, was durchaus richtig ist?
Studienstarthilfe
Alle unter 25, die erstmals ein Studium beginnen und bestimmte Sozialleistungen beziehen (insbesondere Bürgergeld), sollen im Monat vor Studienbeginn (spätestens zwei Monate später) eine Studienstarthilfe von einmalig 1.000 € beantragen können. Diese wird als Zuschuss gewährt (muss also nicht zurückgezahlt werden, sofern das Studium tatsächlich und ernsthaft aufgenommen wird). Zweck ist es, damit Anfangsinvestition wie Mietkaution, Umzug, Anschaffungen etc. zu bezahlen, die im monatlichen BAföG so nicht ausreichend enthalten sind.Flexibilitätssemesters
BAföG kann ohne Angaben von Gründen einmalig ein Semester länger als die Regelstudienzeit gewährt werden. (Also nur im Bachelor oder Master, nicht in beiden!) Da die reale Studiendauer allerdings im Schnitt eher bei zwei Semestern über der Regelstudienzeit liegt, wären zwei Flexibilitätssemester die angemessenere Anpassung.Fachwechsel ein Semester länger möglich
Ein Fachwechsel aus wichtigem Grund soll künftig bis zum Anfang des fünften Semesters möglich sein. Beim erstmaligen Wechsel soll bei Wechsel bis zum Anfang des vierten Semesters in der Regel vermutet werden, dass die Voraussetzung des wichtigen Grundes vorliegt (also keine Begründung erforderlich wird).Anpassung Freibetrag an Minijobgrenze
Und zwar gleich so, dass dann auch Minijobs in Höhe von 556 € (Grenze ab Januar 2025) ohne Abzüge möglich sein werden. Allerdings wieder durch feste Freibeträge im Gesetz, statt das Gesetz dynamisch an den Mindestlohn zu binden (so wie es bei der Minijobgrenze schon der Fall ist). Das würde den BAföG-Ämtern nämlich dauerhaft Arbeit ersparen, die immer dann entsteht, wenn die Minijobgrenze steigt, die Grenze beim BAföG aber nicht angepasst wird.Erhöhung der Zuschüsse für Kranken- und Pflegeversicherung
Aber nur an die Höhe wie für Anfang 2024 erforderlich. Wenn KV/PV 2025 wieder teurer werden (vor allem auch für über 30-jährige), so fehlt das dann schon wieder.Verbesserungen beim Vorausleistungsantrag
Bisher war es bei einem Vorausleistungsantrag so, dass Kindergeld als Unterhalt der Eltern vom BAföG-Bedarf abgezogen wird (anders als bei „normalem“ BAföG). Das entfällt künftig, was hoffnungsweise die Bearbeitung der Anträge beschleunigt und eine Benachteiligung von so Geförderten verhindert.
Schuldengrenze soll steigen
Während im Koalitionsvertrag noch angestrebt wurde, den Darlehensanteils zu senken, ist davon im Entwurf nichts zu sehen. Stattdessen wird die – zugegebenermaßen seit über 20 Jahren bestehende – Schuldenobergrenze erhöht. Die Ratenhöhe soll von 130 auf 150 € steigen – und zwar ab Oktober 2025. Da seit 2019 die Schuldenobergrenze im Gesetz nicht mehr durch einen festen Betrag bestimmt wird, sondern durch 77 Raten, bedeute dies eine Erhöhung von bisher 10.010 € auf 11.550 € – also um über 15%. Für alle, die sowohl vor Oktober 2025 Raten zurückzahlen, als auch noch danach, liegt die faktische Obergrenze dann zwischen diesen beiden Beträgen.
Neben der fehlenden Erhöhung des BAföG-Bedarfssatzes (Grundbedarf und vor allem auch der Anteil für die Miete) ist dies eine weitere kritikwürdige Maßnahme.
Fazit: Das kann es nicht sein
Jahre hoher Inflation und keine Erhöhung des BAföG-Bedarfs – das darf nicht wahr sein. Kein Wunder, dass sich das Deutsche Studierendenwerk (DSW), der freie zusammenschluss von student:innenschaften und andere sehr kritisch zu diesem Entwurf äußern.
Matthias Anbuhl, Vorstandsvorsitzender des Deutschen Studierendenwerks, schreibt:
„Dieser Entwurf des Bildungsministeriums ist eine herbe Enttäuschung. Das BAföG ist das staatliche Instrument, das jungen Menschen verspricht: Ein Studium darf niemals am Geldbeutel scheitern. Jetzt präsentiert das Ministerium eine blutleere Klein-Novelle. Mehr noch: Es lässt deutlich mehr als die Hälfte der vom Haushaltsausschuss bereitgestellten 150 Millionen Euro einfach liegen. Wenn das so kommt, dann werden den BAföG-geförderten Studierenden trotz des rasanten Anstiegs der Lebensmittel- und Energiepreise und explodierender Mieten mindestens sechs Semester Stillstand beim BAföG-Grundbedarf und bei der Wohnkostenpauschale zugemutet. Jetzt muss – erneut – das Parlament eingreifen und eine kraftvolle BAföG-Novelle festschreiben.“
Der freie zusammenschluss von student*innenschaften (fzs) e.V. schreibt, er kritisiere den mangelhaften und enttäuschenden Vorschlag. Niklas Röpke, fzs-Vorstand, äußert: „Es ist ein fatales Signal, dass das Ministerium nicht die vom Haushaltsausschuss gegebenen Möglichkeiten wahr nimmt, sondern lieber das BAföG zu seiner Sparbüchse macht und auf eine möglichst späte Verkündung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts hofft. Viele Expert*innen sind sich sicher, dass dieses in unserem Sinne urteilen und die BAföG-Sätze für verfassungswidrig niedrig erklären wird.“
Immerhin scheint es auch innerhalb der Koalition Stimmen für Verbesserungen zu geben. Laut dem immer gut informierten Jan-Martin Wiarda (er berichtete als Erster über den Entwurf) hat bspw. Laura Kraft von den Grünen Kritik angemeldet und eine umfassendere Verbesserung gefordert.
Und was sagt das BMBF? [Ergänzt am 12. Januar]
Das BMBF hat sich bereits „Verteidigungsstrategien“ zurechtgelegt. Es wird einerseits auf die starken Erhöhungen der Elternfreibeträge hingewiesen („Die neuen Freibeträge sollen dieses Jahr somit fast 27 Prozent über den von der Vorgängerregierung zuletzt im Jahr 2021 angepassten Werten liegen.“ - Zitat aus dem BMBF auf meine Nachfrage zum Referentenentwurf). Andererseits aber auch versucht, das BAföG als „hoch genug“ (trotz fehlender Inflationsanpassung seit 2022) darzustellen (bspw. in einer Antwort auf eine Anfrage von Bildungsjournalist Wiarda – nachzulesen im Abschnitt „BMBF: Für einen großen Teil der Studierenden reichen die BAföG-Bedarfssätze“ in diesem Blog-Beitrag.
Ersteres stimmt zwar, aber wer sowieso schon den Höchstbetrag bekommt, dem nutzt das nichts. wenn dieser unverändert bleibt. Und für alle anderen bedeutet das nur geringfügige Steigerungen des BAföG. Insbesondere bei denen, die dadurch vielleicht nun 10 Euro (statt nichts) bekommen könnten, reizt das natürlich auch kaum zu einem Antrag. Denn der ist nach wie vor nicht unaufwändig, aller Vereinfachungsversprechungen zum Trotz.
Die Behauptung „Für einen großen Teil der Studierenden reichen die BAföG-Bedarfssätze“ dagegen ist schon als peinlich zu bezeichnen. Denn die Rechnung stimmt gar nicht: Studierende unter 25 können in der Regel familienversichert sein, zahlen also nichts für Kranken- und Pflegeversicherung und erhalten folglich auch nicht den entsprechenden Betrag im BAföG. Der Höchstsatz liegt dann bei 812 €/Monat. Das Kindergeld wiederum dürfen die Eltern dafür einsetzen, um ihrer Unterhaltsverpflichtung nachzukommen. Das bedeutet, dass für alle Studierende, die zwar auch was von den Eltern, aber eben auch BAföG bekommen, meist eher der BAföG-Höchstsatz das ist, was sie am Ende zusammen bekommen (und manche auch das nicht – dann ein Vorausleistungsverfahren beim BAföG anzustoßen, ist halt auch nicht das, was viele in dieser Lage wirklich machen wollen) – und das dann auch rechtlich in Ordnung ist. Das sind dann nur 812 € – über 170 € unter den 986 €, die das BMBF als Prognose aus der 22. Sozialerhebung für 2024 entnimmt.
Der Artikel wurde am Nachmittag des 11. Januar 2024 veröffentlich und danach noch einige Male ergänzt, zuletzt am 12. Januar um 11:45 Uhr (letzter Abschnitt „Und was sagt das BMBF?“ ergänzt).