BAföG-Reform oder Reförmchen 2024?Stark-Watzinger will lieber weniger als mehr
Lieber ein Reförmchen als gar keine Reform. Das ist eine Art, wie sich mit der Absage der Ampelregierung an das per Koalitionsvertrag gemachte Versprechen einer „grundlegend reformierten“ (Zitat von S. 94) Bundesausbildungsförderung umgehen lässt. Eine andere wäre die, um dessen Einlösung zu kämpfen. Dass und wie es geht, für die eigenen Interessen einzustehen, haben jüngst die Bauernproteste demonstriert. Flagge zu zeigen, lohnt sich!
Mit einem studentischen Massenaufstand am Brandenburger Tor ist wohl fürs erste nicht zu rechnen. Aber ein bisschen mehr Widerstand täte es vielleicht auch schon. Zumal es neben dem studentischen Dachverband fzs genügend andere Kritiker gibt, mit denen man sich zusammentun könnte: Die Hochschulrektorenkonferenz (HRK), der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB), die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) oder die Opposition im Bundestag.
Keine Erhöhung geplant
Sie alle sind sich einig: Der von Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) vor zwei Wochen vorgelegte Referentenentwurf für das 29. BAföG-Änderungsgesetz reicht nicht. Ja, die Vorlage liefert einige sinnvolle strukturelle Nachbesserungen – mehr Flexibilität beim Studieren, höhere Elternfreibeträge und Zuverdienstgrenzen sowie eine Studienstarthilfe von 1.000 Euro für besonders bedürftige junge Menschen. Aber das Entscheidende fehlt eben: eine substanzielle Anhebung der Bedarfssätze nach mittlerweile zwei Jahren Rekordinflation.
Faktisch sämtliche Bevölkerungsgruppen konnten in der Zwischenzeit die Verluste infolge der Teuerungswelle bei Energie und Lebensmitteln zumindest teilweise kompensieren – durch kräftige Lohn- und Gehaltszuschläge und gestiegene Altersbezüge. Auch wurden die Sozialleistungen angepasst. Es gibt mehr Bürgergeld, mehr Sozialhilfe, höhere Zuwendungen für Asylbewerber.
Studierende außen vor
Bloß die Studierenden sollen weiter klein gehalten werden. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) begründet dies mit der letzten BAföG-Novelle vom Herbst 2022, die ja noch gar nicht so lange zurückliegt. Allerdings war dies eine Runde, die nicht einmal die Versäumnisse der Vergangenheit aufholte. Und am Tag des Inkrafttretens waren die mehr bewilligten 5,75 Prozent bei den Regelsätzen vom allgemeinen Preisauftrieb bereits aufgefressen.
Das steht außer Frage und nahezu alle Experten sehen das so. Aber das Ministerium tut so, als hätte es Studierende und Schüler damals mit dem Füllhorn überschüttet. Zudem behält Stark-Watzinger für sich, dass bis zur nächsten BAföG-Erhöhung noch Jahre ins Land gehen könnten. 2025 ist Bundestagswahl und in Wahlkampfzeiten erscheint eine Verständigung der Koalition auf eine Zugabe sehr unwahrscheinlich.
Zumal die fürs Wintersemester 2024/25 avisierte neueste Reform dann nur ein paar Monate alt wäre. Absehbar müssten die Betroffenen bis 2026 auf höhere Leistungen warten. Nach bis dahin vier Nullrunden könnten die Preise im selben Zeitraum um 20 Prozent und mehr gestiegen sein. Noch längere Hängepartien von sogar sechs Jahren ohne BAföG-Anpassung gab es seit 2000 schon zwei (2002/2008, 2010/2016).
Kein Almosen, sondern Anspruch!
Es waren diese und andere Durststrecken, die der Sozialleistung nachhaltig zugesetzt und sie zu einer Art finanziellen Beigabe zum Studieren gemacht haben, während sie der ursprünglichen Idee und den gesetzlichen Vorgaben gemäß den Lebensunterhalt von Hochschülern und Schülern sichern sollte.
Immerhin hat sich dieser Missstand bis zu den Medien herumgesprochen. Wiederholt haben Kommentatoren in den vergangenen Tagen konstatiert, dass das BAföG „kein Almosen“ sei. Es könne nicht angehen, dass das Bürgergeld regelmäßig an die Preisentwicklung angepasst werde und die staatliche Unterstützung von Studierenden „vom Willen des zuständigen Ministers abhängig“ sei, schrieb etwa Die Rheinpfalz und weiter: „Der Staat erinnert dabei an einen knorrigen Familienvater, der eine Taschengelderhöhung nur dann gewährt, wenn ihm gerade danach ist.“
Entscheiden nach Kassenlage
Zur Erinnerung: Stark-Watzinger hatte noch vor der 2022er-Reform angekündigt, die Sozialleistung in „einem zweiten Schritt elternunabhängiger“ zu machen und turnusmäßig entsprechend der Lohn- und Preisentwicklung anzugleichen. Die BMBF-Chefin seinerzeit im O-Ton: „Wir entscheiden nicht nach Kassenlage über die nächste BAföG-Anhebung, sondern es wird einen regelmäßigen Prozess geben.“
Jetzt tut sie genau das: sie entscheidet nach Kassenlage. Ihr Ressort soll auf Geheiß von Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) im Rahmen einer sogenannten Globalen Minderausgabe (GMA) weitere 200 Millionen Euro einsparen. Grund ist das riesige Loch, welches das folgenschwere Karlsruher Haushaltsurteil in den 2024er-Bundesetat und die mittelfristige Finanzplanung der Bundesregierung gerissen hat.
Ganz offensichtlich will Stark-Watzinger die Kürzungen zu großen Teilen übers BAföG realisieren – ohne es zuzugeben. Dabei hatte sie den Posten gemäß erstem Haushaltsentwurf vom Sommer noch viel heftiger zusammengestrichen, um rund 700 Millionen Euro oder 25 Prozent verglichen mit 2023. Auf dieser Grundlage war überhaupt keine Reform darstellbar, was bedeutet: Die Ministerin wollte sich gänzlich darum herumdrücken.
„Blutleere Kleinnovelle“
Erst auf Druck der Koalitionspartner von SPD und Grünen eröffneten sich neue finanzielle Spielräume. Im November bewilligte der Haushaltsausschuss des Bundestags 150 Millionen Euro zusätzlich. Damit hielt der Vorstandsvorsitzende des Deutschen Studierendenwerks (DSW), Matthias Anbuhl, wenigstens einen „mittleren Wurf“ für möglich.
Aber die Ministerin will davon lediglich 62 Millionen Euro nutzen, was allseits auf Unverständnis stößt. Sie hingegen lässt verbreiten, ihr Vorhaben „greift wesentliche Punkte aus dem Koalitionsvertrag auf“ und „Aufstieg durch Bildung ist eines unserer zentralen Anliegen“. Anbuhl glaubt indes, das Ganze laufe auf eine „blutleere Kleinnovelle“ hinaus.
Aber noch ist offen, ob Stark-Watzinger mit ihrer Linie durchkommt. Die Haushälter im Parlament fühlen sich nämlich ziemlich verschaukel, dass sie von den zugebilligten Mitteln einfach 88 Millionen Euro liegen lassen will. So äußerte die SPD-Abgeordnete Wiebke Esdar, „es war uns wichtig, gegenüber dem Ministerium zu betonen, dass alle Projekte, die auf Beschluss des Parlaments in den Haushalt gekommen sind, in vollem Umfang umgesetzt werden sollen“. Das gelte „auch für den BAföG Beschluss“ und dazu gehöre „eine Erhöhung der Fördersätze für diejenigen, die jetzt studieren“.
Mittelsperre bei Mittelkürzung
Tatsächlich hat der Ausschuss der Ministerin hohe Hürden fürs Kürzen auferlegt. Demnach muss sie alle drei Monate „qualitativ und quantitativ“ zum Mittelabfluss aus allen Haushaltstiteln Bericht erstatten. So will man verhindern, dass fürs BAföG vorgesehene Gelder klammheimlich in den GMA wandern und damit futsch wären. Die Auflagen reichen sogar noch weiter. Im Falle der Zuwiderhandlung wollen die Haushälter die fraglichen Summen sperren.
Soll heißen: Ohne BAföG-Erhöhung „werden wir keine Mittel freigeben“, so Esdar. Gegenüber Studis Online bekräftigte sie diese Haltung: „Ob und wann wir gänzlich oder auch partiell Mittel freigeben, hängt allein an der Einschätzung des Haushaltsausschusses in der Sache.“ Sobald der Referentenentwurf durchs Kabinett gegangen sei, würden die Fachpolitikerinnen und Fachpolitiker „eng abgestimmt mit denen im Haushaltsausschuss in die Verhandlungen gehen“. Dabei werde die SPD „für weitere Verbesserungen für die Studierenden kämpfen“.
Auch DSW-Chef Anbuhl glaubt noch an Bewegung in der Angelegenheit. „Aus unserer Sicht muss das BMBF die Novelle im Haushaltsausschuss freigeben lassen, sonst gibt es kein Geld“, befand er im Gespräch mit Studis Online. „Zurzeit entspricht die Planung in der Tat nicht der Beschlusslage“. Die verlange eindeutig, den stark gestiegenen Lebenshaltungskosten gerecht zu werden, indem der BAföG-Bedarfssatz im Hinblick auf das Existenzminimum und die Sätze für Unterhaltszahlungen angepasst werden müsse. Anbuhl mit Genugtuung: „Der Druck auf das BMBF, die 150 Millionen Euro auch zu investieren, steigt. Wir als DSW begrüßen das.“
Ministerium lässt Fragen offen
Und wie sieht man dies beim BMBF? Dort bestreitet man, verfügbare Haushaltsmittel verfallen zu lassen oder zwecks Haushaltskonsolidierung zu missbrauchen. Der Gesetzentwurf sei so konzipiert, „dass die Kosten im BAföG in allen kommenden Jahren in der bestehenden Finanzplanung gedeckt sind. Alles andere wäre unseriös“, erklärte eine Ministeriumssprecherin auf Anfrage von Studis Online.
Da die Reform zum Schuljahresbeginn beziehungsweise Wintersemester 2024/25 in Kraft treten solle, „fallen die Ausgaben im ersten Jahr noch entsprechend etwas geringer aus als in den folgenden Vollwirkungsjahren“. Die Antwort ist ausweichend. Besagte 150 Millionen Euro sind fürs Jahr 2024 vorgesehen und nicht für die Folgejahre. Auf die Nachfrage, wie man mit der Mittelsperre des Haushaltsausschusses umgehen und so beim Nein zu einer generellen BAföG-Erhöhung bleiben wolle, reagierte das Ministerium bis Mittwoch nicht.
Auf nach Berlin Mitte
Überzeugt von der Argumentation ist auch SPD-Frau Esdar nicht. Die vom Ausschuss zusätzlich eingeräumten Mittel für 2024 hätten nicht zur Folge, „dass wir nicht für die folgenden Jahre entsprechende Umschichtungen im BMBF-Haushalt erwarten“. Der Beschluss bringe vielmehr eine „klare Erwartungshaltung zum Ausdruck, das BAföG zu priorisieren“. Außerdem, so Esdar, seien BAföG-Reformen auch schon in der Vergangenheit durch Umschichtungen innerhalb des BMBF finanziert worden.
Stark-Watzinger ist das offenbar entfallen. Es wäre an der Zeit, sie daran zu erinnern, möglichst lautstark. Ihr Dienstsitz ist in Berlin Mitte, ganz in der Nähe des Hauptbahnhofes. (rw)