Große Sprünge, große ZumutungWohnraum noch einmal teurer als teuer
Wohnen bleibt für Studierende ein Luxusgut – das sich die allerwenigsten gerne leisten, die meisten aber irgendwie leisten müssen. Nach den neuesten Zahlen des am Mittwoch vom Moses-Mendelssohn-Instituts (MMI) veröffentlichten „Hochschulstädtescorings“ verharren die Kosten für studentisches Wohnen auf unzumutbar hohem Niveau.
Demnach müssen Hochschüler in Deutschland zu Beginn des Sommersemester im Mittel rund sieben Euro mehr für ein Zimmer in einer Wohngemeinschaft berappen als noch zu Anfang des vorangegangenen Wintersemesters. Verglichen mit dem Sommersemester 2023 haben die Ausgaben durchschnittlich um 4,7 Prozent angezogen – und damit stärker als die Verbraucherpreise.
Erholung?
Für Projektleiter Stefan Brauckmann ist das eine schlechte Nachricht mit Blümchen. Nach Auslaufen der Corona-Pandemie und dem Angriff wären die Preise „extrem gestiegen“, äußerte er sich in einer Pressemitteilung. „Jetzt können wir eine Erholungsphase erkennen“, der Trend zu massiven Erhöhungen „scheint zunächst gebrochen“.
Was man so Erholung nennt … Inzwischen werden auf dem freien Wohnungsmarkt gemäß Analyse im bundesweiten Schnitt 479 Euro für ein WG-Zimmer fällig. Das sind satte 119 Euro mehr als Empfängern von Bundesausbildungsförderung als BAföG-Wohnkostenpauschale zusteht. Seit Herbst 2022 beläuft sich diese auf 360 Euro und Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) denkt nicht daran, das Budget im Rahmen ihrer bevorstehenden BAföG-Reform auf die Höhe der Zeit anzuheben.
„Neue Form sozialer Auslese“
In 73 der untersuchten 90 Standorte reicht der Betrag nicht einmal für ein handelsübliches Zimmer, in 45 Städten liegt bereits das untere Preissegment oberhalb dieser Marke. Dabei sind hier nach der Untersuchung rund 54 Prozent aller Studierenden immatrikuliert. „Das stellt eine ernsthafte Herausforderung für die finanzielle Situation vieler Studierender und Auszubildender dar“, befand Brauckmann.
Deutlichere Worte wählte der Vorstandsvorsitzende des Deutschen Studierendenwerks (DSW), Matthias Anbuhl. Die Frage, an welcher Hochschule man studieren könne, hänge mehr und mehr davon ab, wie hoch die Miete vor Ort sei, erklärte er in einer Medienmitteilung. „Wir erleben mittlerweile eine neue Form der sozialen Auslese“ und weiter: „Das ist eine bildungspolitische Misere.“
Ministerin geizt beim BAföG
Dass die Bundesregierung auch für die kommenden Jahre eine Nullrunde plant – sowohl was die Mietpauschale als auch die allgemeinen Bedarfssätze betrifft – nannte Anbuhl einen „Skandal“. Das Parlament „muss hier das untätige Ministerium beherzt korrigieren“, forderte er. Die Mittel stünden im 2024er-Bundeshaushalt bereit, doch die Ministerin wolle bloß 62 Millionen Euro der eigentlich veranschlagten 150 Millionen Euro investieren.
Die vom MMI in Kooperation mit dem Portal WG-Gesucht alljährlich aufgelegte Studie umfasst sämtliche deutschen Hochschulstandorte mit mindestens 5.000 Studierenden (ohne Fern und Verwaltungshochschulen), womit knapp 90 Prozent aller Eingeschriebenen berücksichtigt sind. Eine Einzelbetrachtung aller Städte liefert das heute verbreitete „Begleitmaterial“ zur Studie nicht.
Aufgeführt sind jedoch die fünf teuersten Pflaster. An der Spitze liegt einmal mehr München mit Durchschnittskosten von 760 Euro, gefolgt von Frankfurt (Main) mit 670 Euro. An dritter Stelle liegt Berlin mit 650 Euro, vor Hamburg mit 610 Euro und Köln mit 560 Euro. Am günstigsten wohnt es sich in Chemnitz mit 288 Euro. Vergleichsweise billigt lebt man noch in Halle (325 Euro), Magdeburg (343 Euro), Jena (348 Euro) und Erfurt (349 Euro).
Um andere Städte besser einordnen zu können: Wir haben die WG-Kosten aller Städte aus der MMI-Studie von Anfang 2023 (die von diesem Jahr liefern wir hoffentlich irgendwann nach)!
Osten halbwegs bezahlbar
Überhaupt ist im Osten die Lage noch einigermaßen erträglich. Im Schnitt werden hier 362 Euro für ein WG-Zimmer aufgerufen, lediglich zwei Euro über dem BAföG-Mietzuschuss. In den zehn größten Hochschulstädten sind es im Mittel 563 Euro, in Millionenstädten 649 Euro. Wobei für praktisch alle Orte gilt: Die Belastungen sind binnen Jahresfrist größer geworden, nur nicht mehr ganz so rasant.
Aber das dürfte nur eine flüchtige Momentaufnahme sein. Wie Brauckmann erläuterte, sei das Marktgeschehen in Sommersemestern generell „weniger ausgeprägt“, wogegen im nächsten Wintersemester mit einer dann wieder anziehenden Nachfrage mit einem noch einmal „signifikanten Preisanstieg“ zu rechnen sei.
Selbst Wohnheime in gemeinnütziger Trägerschaft müssen, vor allem wegen der immens in die Höhe geschossenen Energiekosten, ihre Kalkulation nach oben anpassen. Vielerorts seien deshalb nicht einmal diese „kaum in der Lage, Endkundenpreise im Rahmen der BAföG-Wohnkostenpauschale anzubieten“, so der MMI-Forscher.
Politik muss liefern
Immerhin liegen die Angebote der 57 Studierenden- und Studentenwerke laut Anbuhl immer noch bei im Schnitt halbwegs moderaten 280 Euro Warmmiete im Monat. Allerdings stelle die Wärmewende eine „große Herausforderung“, für knapp 40 Prozent ihrer rund 200.000 Wohnheimplätze sei ein Heizungstausch notwendig. Die Mieten blieben nur dann bezahlbar, „wenn dies mit einer sehr guten staatlichen Förderung flankiert wird“.
Zudem brauche es dringend zusätzlichen Wohnraum für Studierende und Azubis. Das im vergangenen Jahr gestartete Bund-Länder-Programm „Junges Wohnen“ setze hier einen wichtigen Impuls. Länder wie Bayern, Sachsen, Thüringen, Nordrhein-Westfalen, Berlin und Hamburg nutzten die Vorlage, um kräftig in junges Wohnen zu investieren. „Jetzt müssen auch die anderen Bundesländer nachziehen“, so Anbuhl.
Ob das für manch einen nicht zu spät kommt? Etwa für den Studi in München aus einfachem Elternhaus, der sich mit Jobben über Wasser hält. Im Vorjahr noch musste man in der Isar-Metropole „nur“ 720 Euro für ein Zimmer hinlegen, jetzt 760 Euro. Doller ging es bloß noch in der Bankencity Frankfurt zu. Dort hopste der Preis von 580 Euro hoch auf 670 Euro. So große Sprünge können auf Dauer wohl die allerwenigsten machen. (rw)