Stark-Watzinger allein gegen alleBAföG-Reform 2024 im Bundestag
Wird es doch noch etwas mit dem großen Wurf beim BAföG? Oder bleibt es bei den kümmerlichen Maßnahmen, mit denen Bettina Stark-Watzinger (FDP) bei der Bundesausbildungsförderung nachjustieren möchte? In dieser Woche wird es ernst: Am Donnerstag befasst sich der Bundestag in erster Lesung mit dem Gesetzentwurf für eine 29. BAföG-Novelle aus dem Hause der Bundesbildungsministerin.
Die Vorlage steht von praktisch allen Seiten unter Beschuss. Studierenden- und Hochschulverbände, Gewerkschaften, die Bundesländer – sie alle eint die Kritik an einem Vorhaben weit unter der Höhe der Zeit. Selbst innerhalb der Ampelkoalition, namentlich in Reihen von SPD und Grünen, herrscht heftiger Missmut ob der halbherzigen Pläne.
Noch ein Nullrunde?
Am Montag trat ein breites Bündnis in einem gemeinsamen Aufruf für „massive Verbesserungen“ ein, für eine „echte Strukturreform“ samt einer deutlichen Anhebung der Bedarfssätze.
Trotz stark gestiegener Preise für Lebensmittel und Mieten drohten Studierende und Schüler einmal mehr mit einer Nullrunde abgespeist zu werden, beklagen die Initiatoren, und weiter: „Das BAföG muss das Grundrecht auf die freie Wahl von Beruf und Ausbildungsstätte gewährleisten.“
Hinter dem Vorstoß versammeln sich neun Organisationen: Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB), die DGB-Jugend, die Bildungsgewerkschaft GEW, die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di, der „freie zusammenschluss von student*innenschaften“ (fzs), der Verband der Evangelischen Studierendengemeinden in Deutschland (ESG), das Deutsche Studierendenwerk (DSW), der Bundesverband Katholische Kirche an Hochschulen sowie die Initiative Arbeiterkind.de.
Zielgröße Bürgergeld
Im Zentrum ihrer Forderungen steht eine Erhöhung der Regelsätze „mindestens auf das Niveau des Bürgergelds“, das momentan 563 Euro für einen alleinstehenden Erwachsenen beträgt. Dagegen beläuft sich der Grundbedarf beim BAföG auf spärliche 452 Euro.
Mehr Geld müsse es auch fürs Wohnen geben. Derzeit liegt die BAföG-Mietpauschale bei 360 Euro, was in der Mehrzahl aller Hochschulstandorte die realen Kosten nicht deckt – häufig nicht annähernd. Das Bündnis pocht auf einen Satz von wenigstens 410 Euro, was im Einklang mit der sogenannten Düsseldorfer Tabelle stünde. Diese wird als Messlatte bei Unterhaltsfragen herangezogen und setzt schon seit Anfang 2023 für Studierende einen Grundbedarf von 520 Euro an.
Stark-Watzinger hatte im Zusammenhang mit der vorangegangenen BAföG-Novellierung vom Herbst 2022 eine zweite „große Strukturreform“ innerhalb der laufenden Legislaturperiode angekündigt. Angesichts der seit Beginn des Ukraine-Kriegs rasant gestiegenen Energie- und Lebensmittelpreise war allseits mit einer merklichen Anpassung der allgemeinem Geldleistungen gerechnet worden.
Ministerin kleckert
Es kam anders: Zunächst sah es so aus, als wollte sich die Ministerin eine Reform komplett sparen. Dazu passend sah ihr erster Etatentwurf für 2024 eine Kürzung der BAföG-Mittel vor. Erst auf Druck von SPD und Grünen rang sich im November der Haushaltsausschuss des Bundestags zu einer „Kürzung der Kürzung“ durch und bewilligte 150 Millionen Euro mehr.
Allerdings will Stark-Watzinger den Spielraum nicht ausschöpfen und lediglich 62 Millionen Euro für das laufende Jahr nutzen. Entsprechend kleinteilig geriet ihr zu Jahresanfang präsentierter Referentenentwurf. Der enthält durchaus sinnvolle Ansätze in Richtung mehr Flexibilität beim Studieren, dazu höhere Elternfreibeträge und Zuverdienstgrenzen sowie eine Studienstarthilfe von 1.000 Euro für besonders bedürftige junge Menschen.
Aber das Entscheidende fehlt, eben ein kräftiger Zuschlag bei den Bedarfssätzen nach inzwischen über zwei Jahren Rekordinflation. Die Begründung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) wirkt wenig überzeugend: Besagte 150 Millionen Euro könnten nicht auf einen Schlag in 2024 verausgabt werden, sondern müssten auch für die „folgenden Vollwirkungsjahre“ genügen, heißt es. Die Kritiker bei SPD und Grünen erwarten dagegen in Zukunft weitere und schon in der Vergangenheit nicht unübliche „Umschichtungen“ im BMBF-Haushalt zugunsten einer Priorisierung des BAföG.
Armutszeugnis für Ampel
Reichlich Spannung verspricht das weitere parlamentarische Prozedere. Noch bevor das Bundeskabinett Anfang März Stark-Watzingers Vorlage unverändert durchgewunken hatte, drohten die SPD- und Grünen-Fraktionen mit einer Geldsperre für den Fall, dass die Ministerin es bei ihrer Kleckerreform belässt. Im Klartext: Ohne BAföG-Erhöhung „werden wir keine Mittel freigeben“, brachte es die Ende Januar die SPD-Abgeordnete Wiebke Esdar auf den Punkt.
Seither wurde das Thema regierungsintern unter der Decke gehalten, während der Unmut von außen zunahm. Zum Beispiel mahnte die Hochschulrektorenkonferenz (HRK), „endlich und beherzt die dringend gebotene (...) BAföG-Strukturreform anzugehen“. Neben steigenden Bedarfssätzen und der Einführung eines regelmäßigen Erhöhungsmechanismus vermisse man die „Berücksichtigung einer Fördermöglichkeit für Teilzeitstudierende“, monierte HRK-Präsident Walter Rosenthal.
Ins selbe Horn stößt die Gruppe Die Linke im Bundestag. „Zum dritten Mal in Folge versäumt es die Ampel, das BAföG so zu reformieren, dass es gegen Armut schützt, das Studium absichert und existenzsichernd ist“, äußerte sich die Sprecherin für Bildung und Wissenschaft, Nicole Gohlke gegenüber Studis Online. Bleibe es bei den Plänen, „wäre das eine Katastrophe und für die Ampel ein weiteres Armutszeugnis in puncto Bildungsgerechtigkeit und soziale Mobilität“.
Kontra vom Bundesrat
Vor zwei Wochen ergriff zudem der Bundesrat Partei für die Studierenden. Demnach seien „die Bedarfssätze mindestens auf das Bürgergeld-Niveau anzuheben“ und die BAföG-Wohnpauschale an das örtliche Mietniveau anzupassen. Außerdem stünde die geplante Studienstarthilfe von 1.000 Euro jedem BAföG-Empfänger zu und reiche ein einziges „Flexibilitätssemester“ nicht aus.
Gemäß BMBF-Entwurf soll man künftig ohne Angabe von Gründen ein Semester über Plan studieren dürfen, ohne aus der Förderung zu purzeln. Der Bundesrat plädiert für eine Schonzeit von generell zwei Semestern, wofür sich auch besagtes BAföG-Bündnis stark macht. Tatsächlich haben im Jahr 2022 lediglich 31 Prozent der Studierenden ihr Bachelor- oder Master-Studium innerhalb der Regelstudienzeit abgeschlossen.
Halbe Kraft voraus?
Weil die Länderkammer die BAföG-Novelle nicht blockieren kann (kein zustimmungspflichtiges Gesetz), richten sich jetzt alle Blicke auf die koalitionsinternen Widersacher. Studis Online hat bei der Grünen-Abgeordneten und Obfrau ihrer Fraktion im Bildungsausschuss, Laura Kraft, nachgefragt. Einerseits würdigt sie „wichtige Schritte für eine Modernisierung“ im BMBF-Gesetzentwurf, macht aber gleichwohl „Verbesserungsbedarf“ aus.
Das betreffe den Grundbedarfssatz, die Wohnpauschale und die Notwenigkeit, sich nicht noch stärker als bisher zu verschulden. Tatsächlich will Stark-Watzinger den Darlehensanteil beim BAföG von derzeit 10.010 Euro auf 11.550 Euro und die Rückzahlungssumme von monatlich 130 Euro auf 150 Euro erhöhen.
Für die nötigen Änderungen werde sie sich im parlamentarischen Verfahren einsetzen, versicherte Kraft und weiter: „Ich bin überzeugt, dass wir gemeinsam mit den Koalitionspartnern in der parlamentarischen Beratung eine starke BAföG-Reform auf den Weg bringen werden.“
… oder voll auf Angriff?
Mehr Angriffslust strahlt SPD-Frau Esdar aus, die die „Parlamentarische Linke“ ihrer Fraktion anführt und im Haushalts- sowie im Bildungsausschuss sitzt. „Selbstverständlich“ dränge man auf Verbesserungen und die zuständigen Berichterstatter der Ampel-Fraktionen führten „zurzeit vertrauensvolle Gespräche im Rahmen des parlamentarischen Verfahrens“, erklärte sie im Gespräch mit Studis Online. Dabei baue man auf die Bereitschaft des BMBF, „der ursprünglichen Forderung des Haushaltsausschusses entgegenzukommen“.
Soll heißen: Die eingeräumten 150 Millionen Euro sollen entsprechend zweckgerichtet Verwendung finden. „Die nächste BAföG-Novellierung muss für uns die stark gewachsenen Lebenshaltungskosten der Studierenden sowie ihre veränderte Lebens- und Studienrealität berücksichtigen“, bekräftigte Esdar. „Nur in diesem Fall wird der Haushaltsausschuss die Mittel entsperren und damit zur Nutzung durch das Ministerium freigeben.“
Man darf gespannt sein, ob es so weit kommt. Wenn nicht, müssten Studierende und Schüler wohl noch viel länger auf eine BAföG-Zugabe warten – bis irgendwann nach der nächsten Bundestagswahl. (rw)