Sternstunde der HeucheleiBundestag beschließt BAföG-Reform
Am Ende ging alles ganz schnell. Nur acht Tage nach der Einigung der Ampelkoalition auf eine schließlich doch noch leicht nachgebesserte 29. Novelle des Bundesausbildungsförderungsgesetzes (BAföG) machte am Donnerstagsvormittag der Deutsche Bundestag den Deckel drauf – auf ein Gesetz mit immer noch reichlich Mangelerscheinungen.
Die Akteure klopfen sich trotzdem demonstrativ auf die Schulter. Ihre Ansage an die Studierenden im Land: „Ihr wolltet mehr, da habt Ihr mehr. Jetzt seid gefälligst zufrieden!“ Dafür gefeiert zu werden, hätte die Bundesregierung wahrlich nicht verdient. Am allerwenigsten eine Bundesbildungsministerin, die sich zunächst eine Reform ganz sparen wollte, dann einen halbherzigen Entwurf mit einer Nullnummer bei den Bedarfssätzen auflegte und jetzt, nach langem Widerstand, einen ziemlich dürftigen Nachschlag serviert.
Für Jobber bleibt mehr hängen
Der besteht aus: Fünf Prozent mehr bei den Bedarfssätzen, einem Plus von 5,25 Prozent bei den Elternfreibeträgen, einer Erhöhung des BAföG-Wohnkostenzuschusses um 20 Euro auf 380 Euro. Dazu kommt eine noch einmal aufgestockte Pauschale für die Kranken- und Pflegeversicherung. Ursprünglich sollte die von heute 122 Euro auf 130 Euro angehoben werden. Nun gibt es noch einmal sieben Euro oben drauf, also insgesamt 137 Euro.
Neu ist auch die Einführung eines Automatismus bei den Einkommensfreibeträgen für jobbende Studierende. Steigen der Mindestlohn und die Minijobgrenze, wird auch der Freibetrag beim BAföG ohne gesonderte Gesetzesänderung angepasst. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) soll diesen bei Änderungen stets zum Jahreswechsel neu kalkulieren und im Bundesgesetzblatt bekannt geben.
Verschuldungsgrenze bleibt
Erfreulich ist auch die Aufgabe des Vorhabens, die Höchstgrenze an BAföG-Verbindlichkeiten von 10.010 Euro auf 11.550 Euro und die monatliche Rückzahlungsrate von 130 Euro auf 150 Euro hochzusetzen. Damit steigt immerhin der Verschuldungsdruck nicht noch weiter, der viele von der Beantragung staatlicher Ausbildungshilfen abschreckt. Die Forderung seitens Studierendenverbänden und Gewerkschaften, auf eine Förderung mit Vollzuschuss umzustellen, bleibt jedoch einmal mehr unerfüllt. Damit ist das BAföG weiterhin die einzige Sozialleistung, die zur Hälfte als Darlehen gewährt wird.
Alle anderen Punkte bleiben wie gehabt, also so, wie sie in der ersten Vorlage des BMBF vom Januar standen. Dazu zählen eine begrüßenswerte Studienstarthilfe von 1.000 Euro für besonders bedürftige junge Menschen. Von der werden laut einer Medienmitteilung des studentischen Dachverbands „fzs“ allerdings „lediglich drei Prozent“ aller Studierenden, also 15.000 junge Menschen, profitieren.
Kein Förderautomatismus
Mit einem sogenannten Flexibilitätssemester soll man künftig ohne Angabe von Gründen ein halbes Jahr über die Regelstudienzeit hinaus studieren dürfen, ohne den BAföG-Anspruch zu verlieren. Kritiker hatten wenigstens zwei Freisemester verlangt. Ebenso soll ein Studienfachwechsel bis Anfang des fünften Semesters mit Begründung möglich sein, bei erstem Wechsel sogar ohne Begründung bis Anfang des vierten Semesters.
Viel mehr ist nicht. Von der durch BMBF-Chefin Bettina Stark-Watzinger großspurig angekündigten „großen BAföG-Reform“ ist kaum etwas zu sehen. Vor allem fehlt die versprochene turnusmäßige Anpassung der Leistungen an die Lohn- und Preisentwicklung, die die Ministerin vor nicht all zu langer Zeit noch versprochen hatte. O-Ton: „Wir entscheiden nicht nach Kassenlage über die nächste BAföG-Anhebung, sondern es wird einen regelmäßigen Prozess geben.“
Leider vergessen – genauso wie die Notwendigkeit, Teilzeitstudierende und Studierende mit Kindern besserzustellen. Vergessen hat die Ampel offenbar auch, dass im Elternhaus wohnende Studierende gleichfalls einen Wohnzuschlag beziehen können und ebenso von der Inflation betroffen sind. Der Satz bleibt trotzdem unverändert bei 59 Euro – vielleicht ja nur ein ärgerliches Versehen.
Ministerin macht sich dünn
Ärgerlich auch: Stark-Watzinger als „Mutter“ der Reform ließ sich heute erst mit einstündiger Verspätung im Plenum des höchsten deutschen Parlaments blicken. Wer nichts Dickes zu liefern hat, macht sich dünne. So blieb ihr einiges an Vorwürfen erspart. Tatsächlich ließ die Opposition kaum ein gutes Haar an dem Gesetz.
Innerhalb von drei Jahren hätten die Preise um 18 Prozent zugelegt, aber die Regierung habe mit drei BAföG-Novellen gerade einmal 10,7 Prozent zugegeben, rechnete Thomas Jarzombek von der CDU-Fraktion vor. Nur eine einzige Bürgergeld-Erhöhung habe auf einen Schlag mehr Ertrag gebracht. Zur Erinnerung: Die 28. BAföG-Novelle setzt einen sogenannten Notfallmechanismus in Krisenzeiten in Gang. Der würde aber nur bei großflächigem Joberverlust greifen, wie zu Corona-Zeiten, aber nicht bei Kostenexplosionen.
Halbe Miete in München
Das Bürgergeld definiert die Bundesregierung als soziokulturelles Existenzminimum. Die Zuwendung beträgt derzeit 563 Euro, womit schwerlich über die Runden zu kommen ist, und wurde zu Jahresanfang um 61 Euro erhöht. Der BAföG-Bedarfssatz wird sich dagegen ab August auf 475 Euro belaufen. Gemäß der sogenannten Düsseldorfer Tabelle, die als Messlatte bei Unterhaltsfragen herangezogen wird, wären 520 Euro erforderlich.
Nach den Vorgaben müsste es auch mehr Geld fürs Wohnen geben, wenigstens 410 Euro und nicht bloß 380 Euro. Das reiche „in kaum einer deutschen Hochschulstadt aus“, monierte am Donnerstag das Deutsche Studierendenwerk (DSW). Nach einer Studie des Moses Mendelssohn Instituts werden derzeit im Durchschnitt 479 Euro Miete für ein WG-Zimmer auf dem freien Wohnungsmarkt fällig, in München sind es im Mittel 760 Euro. Die künftige BAföG -Wohnpauschale deckt die realen Kosten in der Isarmetropole gerade einmal zur Hälfte
Bürgerinnen und Bürger zweiter Klasse
Die Regierung müsse sich weiterhin fragen lassen, ob sie bedürftige Studierende wie „Bürgerinnen und Bürger zweiter Klasse behandelt“, befand der DSW-Vorstandsvorsitzende Matthias Anbuhl. Angesichts dessen fiel seine Bilanz noch wohlmeinend aus: „Punktuelle Verbesserungen, insgesamt nicht der große Wurf.“
Härter das Urteil des „fzs“: „BAföG-Reform gescheitert – Koalition überlässt Jugend dem rechten Rand.“ Die Ampel habe die Chance gehabt, „studentische Armut zu beenden und jungen Menschen finanzielle Sicherheit zu bieten – doch sie entscheidet sich dagegen“, erklärte Vorstandsmitglied Rahel Schüssler. Dabei habe sich bei der Europawahl am vergangenen Sonntag gezeigt, „was passiert, wenn sich die junge Generation von der Regierung ignoriert fühlt: Sie wendet sich in großen Teilen den Rechtsextremen zu“.
Ein Drittel in Armut
CDU-Mann Jarzombek tischte bei seiner Rede eine Peinlichkeit mehr auf. Demnach hätte die FDP der CDU/CSU-Fraktion angekreidet, den Paritätischen Wohlfahrtsverband und den „fzs“ als Sachverständige vor den Bildungsausschuss geladen zu haben, „weil die Dinge sagen, die ihnen nicht passen“, so Jarzombek. Tatsächlich hatte der Paritätische bei der fraglichen Sitzung am Mittwoch der Vorwoche eine Kurzexpertise im Gepäck, die die großen materiellen Nöte unter Studierenden dokumentiert.
Demnach galten von ihnen im Jahr 2023 fast 36 Prozent als arm, womit sie sich mit weniger als 60 Prozent des allgemeinen Durchschnittseinkommens durchschlagen mussten. Unter denen, die alleine leben, also in einer eigenen Wohnung oder einer Wohngemeinschaft, waren sogar 80 Prozent armutsgefährdet. Der Verband hatte vor zwei Jahren schon einmal die Armutsquote unter Deutschlands Hochschülern auf Basis des Jahres 2020 kalkuliert. Damals betrug der Wert noch 30,3 Prozent.
Von wegen „Chancenbooster“
Beschämend ist vor diesem Hintergrund auch der Auftritt der Union bei der Aussprache im Parlament, einschließlich des Abgeordneten Jarzombek. Das BAföG hat auch und vor allem in der Verantwortung von CDU/CSU in zweieinhalb Jahrzehnten massiv an Bedeutung verloren. Die Gefördertenzahlen sind erst unter den CDU-Ministerinnen Annette Schavan, Johanna Wanka und Anja Karliczek im Gefolge etlicher Nullrunden ins Bodenlose auf zwischenzeitlich elf Prozent aller Studierenden gestürzt. Heute so zu tun, als hätte man mit der Misere nichts zu tun, ist würdelos.
Nicht besser macht das die Rolle der jetzigen Regierung, deren Redner die neuerliche Kleckerreform unisono in den Himmel lobten. Mit seinem Einwurf, „wird sind BAföG- und Chancenbooster“, steht der Abgeordnete Kai Gehring nur exemplarisch für ein Parteienspektrum der Beliebig- und Austauschbarkeit. In der Opposition hätte der Grünen-Politiker das, was er heute zur großen Errungenschaft verklärt, nach Strich und Faden zerrissen. Das BAföG „lässt ihr Studium finanzieren“ (sic), beschloss er seine Ansprache fernab jeder Realität.
Hoffen auf die Zukunft
SPD-Bildungspolitikerin Lina Seitzl warfen wir hier zunächst vor, sie hätte falsche Zahlen genannt und von einer Aufstockung des „Kinderbetreuungszuschlag um fünf Prozent“ gesprochen, die es bei der jetzigen Änderung gar nicht gibt. Nun, sie hat nichts falsches gesagt, denn sie hat sich auf die ganze Legislaturperiode bezogen. 55 Euro Erhöhung der Wohnpauschale hört sich natürlich besser an als die nur 20 Euro jetzt (35 € Erhöhung waren es 2022). Und am Kinderbetreuungszuschlag wurde diesmal gar nichts geändert (nur 2022 gab es eine Erhöhung von davor 150 € um 10 € auf 160 € – also plus 5% aufgerundet auf ganze Zehner …).
Warum aber müssen die Regierenden immer so tun, als ob sie das allerbeste machen und die Opposition immer, es sei das alleeschlechteste (selbst wenn sie früher es vergleichbar gemacht haben)? Könnten nicht mal beide Seiten wieder abrüsten und das PR-Geklingel lassen?
Was bleibt sonst? Der Regierungsentwurf wurde erwartungsgemäß angenommen. Dafür stimmten die SPD, Grüne und FDP. Die AfD-Fraktion enthielt sich der Stimme, alle übrigen votierten dagegen. In Kraft tritt das Gesetz für dann beginnende Bewilligungszeiträume zum August 2024, sonst zum Oktober 2024. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) verbreitete: „Nach der Reform ist vor der Reform.“ Hoffentlich! (rw)