Unerschwinglich mobilSorge um D-Semesterticket
Die Freude über das frisch – und nicht einmal überall – eingeführte Deutschland-Semesterticket könnte bald schon wieder verfliegen. Am Mittwoch wandten sich der „freie zusammenschluss von student*innenschaften“ (fzs) und das Deutsche Studierendenwerk (DSW) in einer gemeinsamen Erklärung an die Öffentlichkeit, um vor einer drohenden Verteuerung des Angebots zu warnen.
Anlass ist die Ankündigung der Verkehrsminister der Länder, den Preis des Deutschlandtickets für die bundesweite Nutzung des Öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) im kommenden Jahr in noch unbestimmter Höhe anzuheben. Statt der bisher geltenden 49 Euro drohen dann deutlich über 50 Euro fällig zu werden – mithin sogar an die 60 Euro.
Solidarmodell in Gefahr
Böse Falle: Das bundesweite D-Ticket und das D-Semesterticket sind preislich aneinander gekoppelt. Legt ersteres kostenmäßig zu, wächst der „kleine Bruder“ mit und zwar in einem festgelegten Verhältnis von 60 Prozent. Die für Studierende gerade noch erschwinglichen 29,40 Euro wären dann schon wieder Schnee von gestern. Das ginge nicht nur an die Substanz der Betroffenen, sondern zugleich an die des in langer Auseinandersetzung durchgesetzten Modells selbst.
Warum? Wie die früheren Semestertickets, die je nach Regelung für ein ganzes Bundesland, eine Hochschulstadt oder nur einzelne Hochschulen Geltung hatten, beruht das D-Semesterticket auf dem Solidarprinzip. Dort, wo die Beteiligten eine entsprechende Vereinbarung getroffen haben, müssen alle Studierenden zahlen – im Rahmen des Semesterbeitrags –, auch jene Hochschüler, die die Offerte wenig oder gar nicht nutzen.
Dabei ist es ist der geringe Preis, der das Arrangement juristisch weitgehend unangreifbar macht. Bei steigenden Belastungen wird sich das absehbar ändern und die Zahl der Klagen zunehmen, die auf Unzumutbarkeit des Zahlungszwangs zielen. Und mit jeder Windung mehr, die die Preisschraube angezogen wird, dürften die Gerichte schonungsloser urteilen, bis schließlich das ganze Konzept politisch nicht mehr zu halten sein wird.
Auf Dauer sozialverträglich
„Eine Erhöhung des Ticketpreises delegitimiert das Solidarmodell in den Studierendenschaften zunehmend“, warnte fzs-Vorstandsmitglied Sascha Wellmann in besagter Mitteilung. Für viele stelle bereits der Einführungspreis von knapp 30 Euro eine „finanzielle Mehrbelastung“ dar. „Es darf nicht sein, dass Ticketpreise für nachhaltige Mobilität falschen Prioritäten in der Verkehrspolitik zum Opfer fallen“. Anstelle eines ungewissen Preisfaktors brauche es „ein bezahlbares Solidarticket“ mit „neuer Berechnungsgrundlage und mehrjähriger Preisobergrenze“, mahnen die Verbände.
Mancherorts, aber nicht überall, müssen Studierende mit dem D-Semesterticket mehr Geld für Mobilität hinlegen als davor. Allerdings können sie dieses bundesweit nutzen und nicht wie bisher lokal oder regional begrenzt. Aber auch das ist nicht für jeden automatisch ein Mehrwert. Vielen reicht es, mit dem Bus zur Uni zu kommen, andere fahren ohnehin mit dem Auto oder Fahrrad. Und wieder andere können sich es sich gar nicht leisten, die Region oder ganz Deutschland zu bereisen, weil ihr Budget dies nicht hergibt.
Wie erst kürzlich von neuem der Paritätische Wohlfahrtsverband nachwies, lebt über ein Drittel der Studierenden in Deutschland in Armut. Mit weiter steigenden Mobilitätsausgaben werde „das Studium noch mehr von sozioökonomischen Faktoren abhängig gemacht“, beklagte Wellmann. Deshalb, so die Forderung von fzs und DSW, müsse „ein dauerhaft gültiger, sozialverträglicher Ticketpreis festgelegt werden“.
Nachhaltig zerstritten
Davon ist bei den politisch Verantwortlichen bislang nicht die Rede. Vielmehr streiten Bund und Länder seit Einführung des D-Tickets praktisch ohne Unterlass über dessen Finanzierung. Wobei die jeweils erzielten Lösungen bestenfalls einen Zeitraum von einem Jahr abdecken – von Nachhaltigkeit und Verlässlichkeit keine Spur.
Lange sah es so, als könnte es sogar noch in diesem Herbst einen Preisaufschlag geben, weil der Bund in seiner chronischen Haushaltsnot im Vorjahr ungenutzte Fördermittel für den Schienennahverkehr nicht freigeben wollte. Die Sorge räumte die Ampel Mitte Juli per Kabinettsbeschluss aus, der die Finanzierung jedoch bis lediglich Ende 2024 sichert.
Noch bevor die Einigung erfolgte, haben die Verkehrsminister der Länder neuerliche Haushaltslöcher für das kommende Jahr ausgemacht, denen nur mit einer Preisanpassung zu begegnen sei. Im Gespräch ist auf kurze Sicht ein Zuschlag von zehn Prozent auf dann rund 55 Euro. Entschieden werden soll darüber bis Oktober. Mittelfristig wird bereits ein Preis von 59 Euro gehandelt. Entsprechend ergäben sich für das D-Semesterticket Preise zwischen 32,34 Euro und über 35 Euro.
Noch teurer, noch weniger Angebot
Allerdings berücksichtigen diese Zahlen noch nicht die jüngsten Ampelbeschlüsse zum 2025er-Bundesetat. Diese sehen zwecks Umgehung der Schuldenbremse eine zusätzliche Eigenkapitalerhöhung für die Deutsche Bahn (DB) in Höhe von 4,5 Milliarden Euro vor – anstelle eigentlich geplanter Baukostenzuschüsse im selben Umfang.
Allerdings muss die DB aufgrund einer merkwürdigen Rechtslage bei höherem Eigenkapital mehr Einnahmen generieren, indem sie die Trassenpreise zur Nutzung des Eisenbahnnetzes für DB-eigene sowie Konkurrenzunternehmen (Schienenmaut) erhöht.
Für 2026 hat die Netzgesellschaft InfraGO bereits ein Plus von 23,5 Prozent für den Regionalverkehr bei der Bundesnetzagentur beantragt. Bei Bewilligung drohen massive Preissteigerungen und/oder erhebliche Einschnitte beim Angebot. Das würde sich fraglos auch auf die Preisgestaltung beim Deutschlandticket auswirken oder gar dessen Aus bedeuten.
Abkopplung oder Untergang?
Beide Alternativen wären Gift für die auf günstige Mobilität angewiesenen Studierenden. Entweder würde das D-Semesterticket drastisch teurer mit der Perspektive, früher oder später richterlich annulliert zu werden. Oder das Angebot ginge zusammen mit seinem „großen Bruder“ unter. Mit Blick auf das dann praktisch allerorten abgewickelte „alte“ Semesterticket käme das einem Desaster gleich.
Abhelfen kann hier allein eine preisliche Entbindung vom regulären Deutschlandticket, wie es der fzs und das DSW verlangen. Dauerhaft sei es Studierenden nicht zuzumuten, wenn die Angebote verkoppelt blieben, befand der DSW-Vorstandsvorsitzende Matthias Anbuhl. „Besser wäre es, den Preis für das Deutschland-Semesterticket an den Lebensverhältnissen der Studierenden zu orientieren und für einen möglichst langen Zeitraum dann sozialverträglich niedrig zu halten.“
Einig sind sich beide Verbände auch in der Forderung, die freiwillige Upgradelösung, mit der Studierende zusätzlich zu einem regionalen Semesterticket gegen einen Aufpreis das D-Semesterticket erwerben können, auch über das Wintersemester 2024/2025 beizubehalten. Diese Möglichkeit soll nach aktuellem Stand nach dem kommenden Wintersemester enden. (rw)