Im HasenstallWohnungsnotstand schafft Armut und Platzangst
Klein, winzig, „Wohnung“. Um heutzutage eine Bleibe in einer deutschen Hochschulstadt aufzutun, braucht es entweder reichlich Geld oder allerhand Bescheidenheit. Der Südwestrundfunk (SWR) berichtete dieser Tage über den Fall einer jungen Frau in Freiburg. Ihr Refugium in Zahlen: Sieben Quadratmeter für 320 Euro, dazu Dachschräge und eine Küche im Keller als einzigem Gemeinschaftsraum einer sechsköpfigen WG. Willkommen bei den Schlümpfen ...
Wer`s geräumiger und teurer mag, wird zum Beispiel in München fündig, dem deutschen Hotspot der Mietwucherei. In einem der wie Pilze aus dem Boden schießenden Privatwohnheime sind Preise von 900 Euro aufwärts für Einzimmerappartements Standard. Aber nach oben kennt die Skala praktisch kein Ende. Im Mai titelte die Süddeutsche Zeitung (SZ): „Wenn die Studentenwohnung 2.600 Euro Miete kostet.“
1.300 Euro für XS-Appartment
Im Artikel (hinter Bezahlschranke) geht es um „The Fizz“, einen europaweit agierenden Anbieter von Studentenwohnungen mit dem speziellen Etwas. In der Eigendarstellung heißt es: “Von vollmöblierten Apartments über vielfältige Gemeinschaftsbereiche bis hin zu interaktiven Veranstaltungen schaffen wir eine Atmosphäre, in der Freundschaften entstehen, Ideen sprudeln und Träume sprießen.“ Aber eben nicht für jeden und nur bei üppigem Budget.
Aber das Geschäft läuft, mehr noch: es brummt. „Aktuell sind wir ausgebucht“, informiert „The Fizz“ in München auf seiner Webseite. Für Investoren ist die Marktlage geradezu luxuriös. Wo sich Hunderttausende Menschen gleichzeitig um den immer knapper werdenden Wohnraum rangeln, kann sich die Immobilienwirtschaft so ziemlich alles leisten.
In der SZ kommt ein Student zu Wort, der anfangs 888 Euro für eine 17-Quadratmeter-Bude hinblätterte. Vier Monate nach Einzug wurden schon 25 Euro mehr fällig. Inzwischen koste ein XS-Appartment sogar ab 1.200 Euro, bei einem Semestervertrag 1.300 Euro. Und mithin das Doppelte wird in der Isar-Metropole bei Kurzzeitvermietungen aufgerufen.
Soziale Auslese
Wohnen sei „eine brennende soziale Frage für Studierende“, stellt das Deutsche Studierendenwerk (DSW) in einer aktuellen Mitteilung fest. Es drohe eine neue Form der sozialen Auslese, der „Faktor Miete hebelt die Bildungsgerechtigkeit in Deutschland de facto aus“, beklagte der Vorstandsvorsitzende Matthias Anbuhl.
Selbstredend sind sämtliche staatlichen Wohnheime in DSW-Regie zum Start des Wintersemesters proppenvoll. Allein bei elf der insgesamt 57 Studierendenwerke standen zum Stichtag 15. September 34.500 Interessenten auf der Warteliste. Nur beim Studierendenwerk München Oberbayern stehen 11.600 Menschen Schlange. In Erlangen-Nürnberg sind es 3.500, in Frankfurt am Main mehr als 3.200, in Darmstadt 3.000 und in Heidelberg fast 2.700.
Von Entspannung fehlt jede Spur. Die Vorjahreszahlen bewegten sich auf demselben Niveau. Dabei gehen die Studierendenzahlen allmählich zurück. Und ein Grund dafür könnte sein: Ein Studium wird immer mehr zum Luxus, vorneweg wegen der horrenden Wohnkosten, aber auch infolge des allgemeinen Preisschubs, der vor zweieinhalb Jahre mit Beginn des Ukraine-Kriegs einsetzte.
Teurer, immer teurer
Die Brisanz der Lage belegen von Neuem zwei Studien, die im Jahrestakt die Situation auf dem freien Wohnungsmarkt beleuchten. Laut „Studentenwohnreport 2024“ des Finanzdienstleisters MLP sind die Kosten für studentisches Wohnen in 37 von 38 untersuchten Hochschulstädten gestiegen, im Schnitt um 5,1 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Zugleich sei das Wohnangebot an 29 Standorten zurückgegangen, „teilweise um mehr als 20 Prozent“, wie es in der begleitenden Medienmitteilung heißt.
Aufgrund hoher Bauzinsen sei der Kauf von Wohneigentum für viele unerschwinglich, während die allgemeine Bautätigkeit „stark rückläufig“ bleibe. In der Konsequenz strömten immer mehr Personen auf den ohnehin angespannten Mietwohnungsmarkt und konkurrierten mit Studierenden um das schrumpfende Angebot. „Dieser Druck führt unweigerlich zu Preissteigerungen.“ Abgesahnt wird vor allem in Großstädten. In Berlin haben die Preise gemäß Erhebung um 9,4 Prozent angezogen, in Leipzig um 9,3 Prozent.
WG-Zimmer im Schnitt 489 Euro
Während die MLP-Untersuchung eine „studentische Musterwohnung“ mit 30 Quadratmetern zugrundelegt, checken die Forscher des Moses Mendelssohn Instituts (MMI) mit ihrer Analyse das Angebot an Zimmern in Wohngemeinschaften. Im bundesweiten Durchschnitt kosten diese demnach 489 Euro pro Monat, 17 Euro oder 3,6 Prozent mehr als 2023. Vor elf Jahren, im Wintersemester 2013/2014 lag das Mittel noch bei 324 Euro. Die Kosten haben damit um über 50 Prozent zugelegt.
Gleichwohl will Projektleiter Stefan Brauckmann „eine Erholungsphase erkennen“, wie er per Presseerklärung darlegte. „Nachdem die Preisentwicklung in den letzten Semestern deutlich oberhalb der allgemeinen Teuerungsrate lag, ist langsam eine Preisstabilisierung auf hohem Niveau zu erkennen.“ Wie tröstlich …
Die Misere hat viele Gründe: Mit den großangelegten Privatisierungen vormals staatlicher Wohnungsbestände haben die Regierenden in Bund, Ländern und Kommunen ihre wohnungspolitische Gestaltungsmacht aus der Hand gegeben. Die Zahl an Sozialwohnungen geht kontinuierlich zurück, weil jedes Jahr mehr Objekte aus der Förderung fallen, als neue hinzukommen. Dazu würgen die hohen Zinsen die Bautätigkeit weiter ab.
Kümmerliche BAföG-Pauschale
Eigentlich hatte die Ampelregierung das Ziel ausgegeben, dass jährlich 400.000 neue Wohnungen entstehen. Im Vorjahr waren es nicht einmal 300.000 – Tendenz fallend. Mit dem Ende der Corona-Krise hat die Zuwanderung wieder angezogen, speziell die vielen Flüchtlinge aus der Ukraine müssen untergebracht werden. Das alles treibt Studierende immer mehr in die Enge – buchstäblich. Auf zehn Quadratmetern für 400 Euro und mehr studiert es sich so lauschig wie im Hasenstall.
Und was bietet die Politik zwecks Erleichterung? So gut wie nichts beziehungsweise viel zu wenig. Mit der gerade in Kraft getretenen 29. Novelle des Bundesausbildungsförderungsgesetzes (BAföG) wurde der Mietzuschuss für außerhalb des Elternhauses lebende Hochschüler von 360 Euro auf 380 Euro erhöht. Schon im Gesetzgebungsverfahren hatten nahezu alle angehörten Sachverständigen den Zuschlag als viel zu gering kritisiert.
Besagte Studien unterstreichen das eindrücklich: Nach den Befunden des MLP-„Studentenwohnreports“ gibt es nur zwei Städte – Chemnitz und Magdeburg –, wo die 380 Euro die tatsächlichen Kosten decken. In München reiche der Betrag für „lediglich 15 Quadratmeter (kalt)“. Laut MMI lasse sich „an 37 Standorten mit 1,3 Millionen Studierenden (...) nahezu kein Zimmer mehr im Rahmen der Wohnkostenpauschale finden“. Der „dringende Appell“ der Forscher lautet deshalb: „Mehr budgetorientierte Wohnungen und Wohnheimplätze benötigt.“
Gefangen in Hotel Mama
Dasselbe fordert das DSW: Die Wohnkostenpauschale müsse „weiter angehoben“, außerdem das im vergangenen Jahr gestartete Bund-Länder-Programm „Junges Wohnen“ verstetigt und von allen Bundesländern kraftvoll umgesetzt werden, bemerkte Verbandschef Anbuhl. „Was dann noch nötig ist, sind günstige, hochschulnahe Grundstücke, auf denen die Studierendenwerke mehr bezahlbare Wohnheimplätze schaffen können.“
Der Wohnungsnotstand ist auch zentrales Thema der „Pressemitteilung zum Semesterbeginn“ durch den „freien zusammenschluss von student*innenschaften“ (fzs). 20 Euro mehr beim BAföG bildeten die massiven Mehrbelastungen „in keiner Weise ab“, monierte die Referentin für BAföG und Wohnen, Rahel Schüssler. Die Folge sei etwa ein „drastischer Anstieg von Jugendlichen, die bei ihren Eltern wohnen bleiben müssen“. Zugleich sei zu beobachten, dass in vielen Städten möblierte Mikroappartments zu immensen Preisen entstehen. „Diese sind keine Alternative, sondern Teil des Problems.“
Steigende Semesterbeiträge
Ein Problem mehr: Wie der Landesverband Hessen der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) am Donnerstag mitteilte, erhöhen die hessischen Studierendenwerke die Semesterbeiträge „erneut deutlich“. In Kassel wird der Preis zum Sommersemester 2025 von 90 Euro auf 106 Euro angehoben, in Darmstadt von 93 Euro auf 103 Euro.
Die GEW rechnet damit, dass auch andere Studentenwerke nachziehen werden. So kommt dann eins zum anderen und die Nöte der Studierenden werden immer größer. Die Quittung könnte demnächst das Statistische Bundesamt mit der Vorlage der aktuellen Studierendenzahlen präsentieren. Die gehen schon seit zwei Jahren zurück. Ohne Bleibe, kein Studium. Oder anders: Für höhere Bildung ist in Deutschland bald kein Platz mehr da. (rw)