Grimms MärchenWirtschaftsweise hext Studiengebühren aus dem Hut
Das musste ja irgendwann kommen – wieder einmal. Im nach dem Bruch der Ampelkoalition plötzlich ausgebrochenen Bundestagswahlkampf erlebt ein Thema fröhliche Wiederkehr, das zehn Jahre lang praktisch mausetot war: Studiengebühren. Veronika Grimm, Mitglied des Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (SVR), findet, die Zeit wäre reif für die Wiedereinführung einer allgemeinen Campusmaut. „Mit den frei werdenden Mitteln sollten wir die frühkindliche Bildung und die Grundschulen stärken, was dringend nötig ist.“
Gesagt hat dies die Nürnberger Ökonomieprofessorin in der Vorwoche gegenüber dem journalistischen Onlinedienst Table.Media (hinter Bezahlschranke) und sich mit ihrem Vorstoß prompt Freunde gemacht. Keine 24 Stunden später, am Freitag, sprang ihr der Ring Christlich-Demokratischer Studenten (RCDS) zur Seite. Der Vorschlag zeige, „dass die aktuellen Zeiten kritisch genug sind, um Tabus zu brechen“, erklärte der Verbandsvorsitzende Lukas Honemann per Pressemitteilung. „Exzellente Bildung ist immer mit Kosten verbunden – deshalb haben die meisten Länder Studiengebühren.“
Gerechtigkeit à la RCDS
Womit er suggerieren will: Deutschland hat keine. Was aber nicht stimmt. In den meisten Bundesländern werden Verwaltungsbeiträge zur Rückmeldung erhoben, außerdem gibt es mancherorts Gebühren für Langzeit- und Studierende im Zweitstudium. In Baden-Württemberg bestehen solche für Nicht-EU-Ausländer, wie auch an zwei Musikhochschulen in Sachsen. In Bayern gilt die Regelung optional, wobei zum Beispiel die Technische Universität München von internationalen Hochschülern bis zu 6.000 Euro pro Semester verlangt.
Offenbar hält der RCDS das für ungerecht – gegenüber den Deutschen –, weshalb er am liebsten alle zur Kasse bitten will. Wobei dies ein angeblich „gerechtes System nachgelagerter Studienbeiträge“ besorgen soll. Die Höhe und Modalitäten der Rückzahlung müssten vom späteren Einkommen abhängen, erläuterte Honemann. Aber zu viel Gleichheit geht freilich auch zu weit. Deshalb wirbt der konservative Studentenbund für eine Herangehensweise, „bei der über die generellen Studiengebühren noch weitere Gebühren für Studenten aus dem EU-Ausland eingeführt werden“. Alles andere wäre ja der reinste Kommunismus.
Campusmaut eingemottet
Ein bisschen Sarkasmus tröstet vielleicht angesichts einer Diskussion, von der man dachte, dass sie sich für immer erledigt hätte. Zur Erinnerung: Ab 2006 hatten mit Hamburg, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Hessen, Baden-Württemberg, Bayern und dem Saarland sieben damals unionsgeführte Bundesländer Gebühren von in der Regel 500 Euro pro Semester gegen den Widerstand von Studieren,- Sozialverbänden und Gewerkschaften durchgesetzt. Wegen anhaltender Proteste und anfangs rückläufiger, später weniger rasch wachsender Studierendenzahlen (verglichen mit den gebührenfreien Ländern) wurde das Modell allerorten wieder abgeschafft, zuletzt 2014 in Niedersachsen.
Steht nun also ein Rollback bevor? Mit Wirtschaftswissenschaftlerin Grimm, eine der sogenannten fünf Weisen, macht sich nicht irgendwer dafür stark. Das allerdings macht ihre Argumentation nicht schlüssiger. Sie und ihre vier Kollegen hatten vor zwei Wochen einen Forderungskatalog an die Bundesregierung adressiert, der Mindestquoten für „zukunftsorientierte öffentliche Ausgaben“ vorsieht, unter anderem im Bildungswesen. Das lasse sich aber nur ausreichend finanzieren, „wenn wir an anderer Stelle dafür die Spielräume schaffen“, befand Grimm, innerhalb des Bildungsbudgets „müssen wir umschichten“.
Student subventioniert Kitas?
Hier kommen für sie Studiengebühren ins Spiel, was bedeutet: Die so generierten Einnahmen sollen nicht bei den Hochschulen verbleiben, sondern in die Bereiche frühkindliche und Schulbildung fließen. Dass Kinder mit mangelnden Sprachkenntnissen in die Grundschule starteten und den Rückstand in ihrer Schullaufbahn nicht wieder aufholen könnten, „das können wir uns nicht länger leisten“, meint die Ökonomin. Das ist zwar richtig. Aber auf die Idee zu kommen, das Geld dafür bei Hochschülern einzutreiben, erscheint doch ziemlich verwegen.
Das sieht auch der „freie zusammenschluss von student*innenschaften“ (fzs) so: Es sei nicht die Aufgabe von Studierenden, „andere Bildungsbereiche querzufinanzieren“, äußerte sich Verbandsvorstandsmitglied Emmi Kraft in einer Stellungnahme. Und weiter: „Es gibt bereits ein wirksames staatliches Instrument zur Verteilung öffentlicher Kosten: Steuern.“ Statt Rezepten aus dem Giftschrank, die Studierenden und jungen Menschen den Bildungsweg verbauten, brauche es „sinnvolle Vorschläge für Steuerreformen“.
Spitze bei sozialer Auslese
Grimm tickt anders, von Umverteilungsmaßnahmen zugunsten von Bedürftigen und Schwächeren der Gesellschaft hält sie nichts. Vielmehr plädiert sie für weitere Kürzungen bei den Sozialausgaben, etwa bei der Rente. So regte sie zuletzt an, die Witwen- und die Mütterrente „kritisch“ zu hinterfragen. Folgte man ihrer Marschroute in puncto „Bildungsförderung“, könnten künftig in Brennpunktschulen vielleicht ein paar Kinder mehr besser lesen und schreiben. Bis zur Uni schafften sie es aber trotzdem nicht, weil sie später die Studiengebühren nicht bezahlen können oder sie sich für ein Studium nicht verschulden wollen.
„Deutschland ist schon heute Weltmeister in sozialer Auslese“, gab am Dienstag Andreas Keller von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) zu bedenken. Während drei Viertel aller Akademikerkinder ein Studium aufnehmen würden, wären es bei den sogenannten bildungsfernen Schichten gerade einmal 20 Prozent. „Das ist nicht nur ein sozialpolitischer Skandal, sondern auch eine Ursache des Fachkräftemangels, der fast alle akademischen Berufe erfasst hat“, bemerkte der stellvertretende GEW-Chef gegenüber Studis Online. „Wer jetzt eine Debatte über Studiengebühren anzettelt, wird noch mehr junge Leute vom Hochschulstudium abschrecken.“
Dauerkrisen fordern Opfer
Dass gerade der RCDS auf den von Grimm angeschobenen Karren aufspringt, ist sehr bezeichnend. Der Verband vertritt überwiegend jene Klientel aus dem bürgerlichen Milieu, für die ein generelles Bezahlstudium keine unüberwindliche Hürde darstellen würde. Für andere dafür umso mehr. Schon seit geraumer Zeit sind die Studierendenzahlen rückläufig. Die Zumutungen der Corona-Krise sowie die seit Jahren anhaltende Hochpreisphase bei Lebensmitteln, Energie und Mieten fordern ihren Tribut.
Sorgen bereitet dies Matthias Anbuhl, dem Vorstandsvorsitzenden des Deutschen Studierendenwerks (DSW). „Miete, Essen, Mobilität: Die Kosten laufen den jungen Menschen davon, es drohen Studienabbrüche durch Geldmangel“, konstatierte er im Gespräch mit Studis Online. „In dieser Lage jetzt noch Studiengebühren draufzupacken, ist eine absurde Idee.“ Ohnehin sei es „nicht klug“, gerade in der heutigen Zeit Bildung teurer zu machen, denn die Studierenden von heute seien die kommenden Fachkräfte, „die unsere Gesellschaft so händeringend sucht“.
Quantität statt Qualität
Merkwürdig erscheint bloß, wieso bei immer noch fast drei Millionen Studierenden in Deutschland der allgemeine Personalmangel weiter so grassiert. Dies führt gewiss auch bei den politisch Verantwortlichen zur Überlegung, ob man mit der lange Zeit so gepushten Akademisierung nicht übers Ziel hinausgeschossen sein könnte. Im Lichte eigentlich chronisch unterfinanzierter Hochschulen wurde Jahrzehnte lang viel auf Quantität gesetzt, während die Qualität, speziell in der Lehre, zurückging – erkennbar etwa an den ungünstigen Betreuungsquoten oder der hohen Zahl an Studienabbrechern.
Wer weiß? Womöglich ist das sogar das entscheidende Motiv, warum berufene Experten plötzlich wieder laut über eine Campusmaut nachdenken. Diese hätte zweifellos das Zeug, die Hochschulen sukzessive wieder zu lichten, allen vermeintlich sozialverträglichen Gebührenmodellen zum Trotz. Dabei würde der Kreis der Studierendenschaft nicht nur kleiner, sondern deren Zusammensetzung in Sachen familiärer Herkunft wieder elitärer werden. Im Klartext: Noch weniger sozial Benachteiligte als heute schon würden den Weg an die Uni finden.
Eher kein CDU-Wahlkampfhit
Man kann davon ausgehen, dass auch das der Interessenlage des RCDS entspricht. Gleichwohl ist man dort nicht vollauf zufrieden mit der Vorlage der Wirtschaftsweisen Grimm. „Das Geld jedoch nur in Kinder zu stecken, halten wir für falsch. Gebühren an Hochschulen müssen dann auch bei Hochschulen ankommen“, gab Verbandschef Honemann zu verstehen. „Die deutsche Wirtschaft baut auf das Humankapital unserer Hochschulen – sie müssen endlich die Unterstützung erhalten, die ihrer zentralen Rolle entspricht.“
Auf Beistand hofft er durch die dem Verband nahestehende und siegesgewisse CDU. Die solle die Forderung kurzerhand in ihr Programm zur Bundestagswahl aufnehmen. Darin jedoch wäre der Punkt ziemlich fehl am Platz. Über das Bezahlstudium „entscheiden nicht die Bundesregierung und der Bundestag, sondern die Länder“, stellte Gewerkschafter Keller klar. „Aus gutem Grund erwägt heute aber keine Landesregierung, egal ob CDU-, CSU-, SPD-, grün oder links geführt, allgemeine Studiengebühren einzuführen.“
Auch DSW-Frontmann Anbuhl gibt sich gelassen. In den Ländern seien die Gebühren „krachend gescheitert“. Weder habe es die versprochene soziale Abfederung gegeben, noch sei das Geld spürbar in die Hochschulen investiert worden. Und: „Keine der Landesregierungen, die Studiengebühren einführte und nicht wieder selbst abschaffte, hat die nächste Landtagswahl überstanden.“
Absage aus Bayern
Der RCDS und die Wirtschaftsweise Grimm sollte sich besser „für eine strukturelle Erneuerung der Ausbildungsförderung aussprechen, die heute nur noch zwölf Prozent aller Studierenden erreicht und bei weitem nicht existenzsichernd ist“, empfahl Keller. Auch Anbuhl wünscht sich eine „grundlegende Reform des BAföG“, dazu ein weiterhin rabattiertes Deutschlandticket für Studierende sowie eine klimagerechte Sanierung von Hochschulbauten, Mensen und Cafeterien“. Ein „erneuter Aufguss gescheiterter Gebührenkonzepte“ helfe hingegen nicht weiter.
Und was sagt die CDU dazu? Bis auf weiteres nichts. Eine Anfrage durch Studis Online bei der Bundespartei blieb unbeantwortet. Dafür meldete sich ihre Schwesterpartei aus München zu Wort. „Studiengebühren in Bayern sind tabu“, gab Wissenschaftsminister Markus Blume (CSU) am Montag Bescheid.
Anders ausgedrückt: Grimms Märchenbuch kann zurück in die Mottenkiste. (rw)