Einmal hinhören, bitte!Bündnis macht Druck für „echte BAföG-Reform“
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Kinder und Jugendliche würden links wählen – wenn man sie denn ließe. Bei der sogenannten U18-Bundestagswahl landete die Partei Die Linke mit über 20 Prozent auf dem ersten Platz, gefolgt von der SPD mit knapp 18 Prozent. Dahinter kommen die Union mit 15,7, die AfD mit 15,5 Prozent und dann erst die Grünen mit 12,5 Prozent.
Ausgerichtet hat den Urnengang der Minderjährigen der Deutsche Bundesjugendring. Wenige Tage vor der Bundestagswahl sende das Ergebnis „ein deutliches Signal an die Politik und die anderen Generationen“, teilte der Verband am Montag mit. „Junge Menschen haben vielfältige politische Interessen, die von der Politik wahrgenommen werden müssen.“
Gefrustete Wähler
Sehr richtig und doch bloß ein frommer Wunsch. Nicht nur, weil der Nachwuchs noch nicht wählen kann. Auch viele derer, die in Deutschland wählen dürfen, fühlen sich von den Parteien nicht ernst genommen, geschweige denn vertreten. Ihr Kreuzchen nehmen die sogenannten Repräsentanten gerne mit, aber nach der Wahl ist dann schnell Schluss mit Kümmern.
Die Republik zählt nahezu drei Millionen Studierende, davon ein Großteil wahlberechtigt. Mengenmäßig ist das ein durchaus signifikanter Faktor. Aber haben die Herren und Damen Olaf Scholz (SPD), Friedrich Merz (CDU), Robert Habeck (Grüne) und Alice Weidel (Afd) bei ihren TV-Duellen auch nur einmal die Wörtchen „Hochschulen“, „studentische Armut“ oder „BAföG“ in den Mund genommen? Fast schon eine rhetorische Frage ...
Lisa Iden, Vorstandsmitglied beim „freien zusammenschluss von student*innenschaften“ (fzs), monierte am Montag vor Pressevertretern in Berlin, dass die Belange von Hochschülern im Wahlkampf bisher kaum eine Rolle spielten. „Dies ist alarmierend, denn Studierende repräsentieren nicht nur die Zukunft unseres Landes, sondern stehen bereits jetzt unter enormem Druck und leben vielfach in prekären Verhältnissen“, bemerkte sie.
Gravierende Probleme
Die Probleme von Hochschülern sind tatsächlich vielfältig und gravierend: Ein Drittel von ihnen lebt in Armut, unter jenen, die alleine oder in einer WG wohnen, sind es knapp 80 Prozent. Die Mieten auf dem freien Wohnungsmarkt kennen kein Halten, öffentliche Wohnheimplätze sind rar. Unis und FHs sind überlaufen, die Betreuungsquoten mies, im akademischen Mittelbau massenhaft prekär Beschäftigte unterwegs. Und fast jeder dritte eines Studienjahrgangs schmeißt vorzeitig sein Studium hin.
Dazu kommt der allgemeine Preisdruck, die hohen Kosten für Lebensmittel und Energie und die anhaltende Erosion bei der Bundesausbildungsförderung. Zwei halbgare BAföG-Novellen der Ampelregierung haben kaum bis gar keine Abhilfe geschaffen und die versprochene „große Strukturreform“ fiel aus. Es gibt also allerhand, was Studierenden unter den Nägeln brennt, jedoch beim Schlagaustausch der Kandidaten um „Migration“, „Kriegsertüchtigung“ und „Deindustralisierung“ praktisch komplett auf der Strecke bleibt.
Bündnis macht Druck
Der fzs ist Teil eines breiten Bündnisses, das sich zu Wochenanfang mit der Forderung nach einer grundlegenden Reform der Bundesausbildungsförderung an die Öffentlichkeit gewandt hat. „Das BAföG hinkt den realen Lebenshaltungskosten von Studierenden chronisch hinterher und es erreicht zu wenige Studierende“, äußerte sich die Präsidentin des Deutschen Studierendenwerks (DSW) Beate Schücking. Es brauche „endlich eine echte BAföG-Reform“.
Mit von der Partie sind neben DSW und fzs der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB), die DGB-Jugend, die Gewerkschaften GEW und ver.di, zwei kirchliche Hochschulverbände und die Initiative Arbeiterkind.de. Ihre Vorstellungen haben die Beteiligten in ein Papier mit vier Eckpunkten gepackt, die nach der Wahl umgehend umzusetzen seien.
Vier Kernforderungen in Sachen BAföG
Die Bedarfssätze müssten „in einem ersten Schritt sofort auf ein existenzsicherndes Minimum“ angehoben werden, „durch höhere Freibeträge sind auch Familien mit mittlerem Einkommen zu erreichen“.
„Die Wohnkostenpauschale muss im Einklang mit der Düsseldorfer Tabelle auf mindestens 440 Euro im Monat erhöht werden.“ Die Düsseldorfer Tabelle legt den Unterhaltsbedarfssatz von Eltern eines volljährigen Kindes fest, das studiert und nicht mehr zu Hause wohnt. „Auch die Wohnkostenpauschale für Geförderte, die bei den Eltern wohnen, muss deutlich erhöht werden.“
Die Bedarfssätze und Freibeträge müssten „unbedingt jährlich und automatisch an die Entwicklung von Preisen und Einkommen angepasst werden, denn Studierende brauchen Finanzierungssicherheit“. Außerdem seien die Freibeträge beim Einkommen aus Minijobs automatisiert an die Minijob-Obergrenze zu koppeln, ebenso die Kranken- und Pflegeversicherungszuschläge an die Höhe der geltenden Beitragssätze.
„Verschuldungsängste schrecken vor allem diejenigen ab, die am meisten von einer Förderung profitieren würden. Der Darlehensanteil muss schrittweise reduziert werden, bis das BAföG wieder als Vollzuschuss ausgezahlt wird.“
Wohnpauschale „eine Farce“
Die Ansprüche des fzs reichen noch weiter. So müsse die Mietpauschale „ortsangepasst“ vergeben werden, „mindestens in Höhe der Wohngeldtabelle“. Die heute bewilligten 380 Euro monatlich bezeichnete Vorstandsmitglied Emmi Kraft als „Farce“. Zudem solle das BAföG in den nächsten Jahren schrittweise in ein elternunabhängiges System überführt werden, für alle Studierenden geöffnet werden und für Schülerinnen und Schüler ab der 10. Klasse wieder regulär beantragbar werden.
Nach der Wahl müsse das Bafög „zügig an die veränderten Studien- und Ausbildungsbedingungen sowie die höheren Lebenshaltungskosten angepasst werden“, erklärte die stellvertretende DGB-Vorsitzende Elke Hannack. „Die Bundesregierung muss endlich die Fördersätze erhöhen, damit sie zum Leben und für ein Dach über dem Kopf ausreichen.“
Schücking vom DSW pochte auf mehr Chancengerechtigkeit. Während in akademischen Familien 78 von 100 Kindern studieren würden, seien es in nichtakademischen Familien nur 25. „Wir brauchen kluge Köpfe aus allen Schichten unserer Gesellschaft“, sagte die ehemalige Rektorin der Universität Leipzig. Das würde sich „volkswirtschaftlich doppelt und dreifach auszahlen“.
SPD und Grüne unglaubwürdig
Am ehesten decken sich die Wünsche der Initiatoren mit den Wahlprogrammen der Linkspartei sowie der Partei VOLT. Nachzulesen ist dies im „Studi-Wahlcheck zur Bundestagswahl“, mit dem Studis Online die Programme der aussichtsreichsten Parteien auf ihre hochschul- und wissenschaftspolitischen Zielstellungen abklopft hat.
In die richtige Richtung geht in Teilen auch die Programmatik von SPD und Grünen. Allerdings haben beide Parteien zwei unzureichende BAföG-Reformen mitzuverantworten und auch nichts unternommen, bei der Grundfinanzierung der Hochschulen nachzubessern, Dauerstellen für Nachwuchswissenschaftler zu schaffen und dem Sanierungstau in puncto Hochschulbau beizukommen. Den Bedarf taxieren Experten auf 60 Milliarden Euro.
Ende Januar hatte sich in diesem Zusammenhang die Wissenschaftsministerkonferenz eine „Bund-Länder-Offensive im Hochschul- und Forschungsbau“ als Teil einer umfassenden „Wissenschafts-, Forschungs- und Innovationsagenda für ein zukunftsfähiges Deutschland“ angemahnt.
Das entsprechende Positionspapier verlangt unter Punkt acht auch „eine stärkere Unterstützung unserer Studierenden“, also: „auskömmliches BAföG auf dem Niveau der Grundsicherung“, Berücksichtigung der Wohnkosten „in geeigneter Weise“ und mehr „bezahlbarer Wohnraum“. Immerhin nimmt man offenbar in den Ländern den Handlungsdruck wahr. Dann müsste nur noch die kommende Bundesregierung zur Tat schreiten. Und wenn nicht? Kinder an die Macht! (rw)