Bescheidene AbzockerWohnkosten steigen nicht mehr ganz so irre

An alle Studierenden und die, die es werden wollen, wenn sie es sich denn leisten können. Frohe Kunde sei Euch überbracht. Es geht ums Wohnen. Ach was! Gibt es etwa mehr Wohnraum? Nein, für Platzmangel ist noch Jahre gesorgt. Wird`s endlich wieder billiger? Nein, Mondpreise bleiben im Trend.
Aber, und jetzt kommt es: Die Kosten steigen nicht mehr ganz so rasant wie zuletzt und damit auch Eure Nöte. Oder anders: Eure finanzielle Überlastung nimmt weniger rasch zu. Bekannt ist ja, dass immer mehr Studierende in Deutschland in Armut leben beziehungsweise in dieselbe abrutschen. Freut Euch: Beim Tempo der Verarmung wird jetzt ein Gang zurückgeschaltet. Hurra!
Warum schlechte Nachrichten verbreiten, wenn in allem Übel noch ein Fünkchen Hoffnung klimmt. In den vergangenen Jahren seien die Wohnkosten für Studierende und Auszubildende „vielerorts deutlich stärker gestiegen als die allgemein hohe Preisentwicklung“, teilte am Montag das Moses-Mendelssohn-Instituts (MMI) mit. „Mittlerweile scheinen sich die Preise für gewöhnliche Zimmer in Wohngemeinschaften zu stabilisieren.“
Stabil auf Mondniveau
Was man so „stabil“ nennt ... Nach den Zahlen des gestern veröffentlichten „Hochschulstädtescorings“ werden zum Beginn des Sommersemesters für ein WG-Zimmer im bundesweiten Mittel 493 Euro aufgerufen. Das entspreche einer „moderaten Steigerung“ von 0,9 Prozent (vier Euro) gegenüber dem zurückliegenden Wintersemester und 2,8 Prozent (14 Euro) im Vorjahresvergleich, heißt es in der begleitenden Presseerklärung.
Die vom MMI in Kooperation mit dem Portal WG-Gesucht regelmäßig aufgelegte Studie umfasst sämtliche deutschen Hochschulstandorte mit mindestens 5.000 Studierenden (ohne Fern und Verwaltungshochschulen), womit knapp 90 Prozent aller knapp 2,9 Millionen Eingeschriebenen berücksichtigt sind. Eine Einzelbetrachtung aller 88 Städte liefert das Pressematerial nicht. Aufgeführt werden lediglich die fünf Orte mit den höchsten und jene mit den niedrigsten Mieten.
Den Vogel schießt einmal mehr München ab, dort werden satte 800 Euro für eine Bleibe in einer WG fällig. Vor einem Jahr waren es noch 760 Euro, womit die Kosten um über fünf Prozent anzogen. Von wegen „moderat“. Nicht ganz so rabiat wird in Berlin, Hamburg und Frankfurt am Main abkassiert. In der Hauptstadt verharrte der Durchschnittspreis bei 650 Euro, in der Elbmetropole bei 610 Euro, während in Hessens Bankencity sogar ein Rückgang um fünf Euro auf 665 Euro ermittelt wurde.
Freie Studienwahl passé
Dafür wird in Freiburg mächtig zugelangt. Mit im Schnitt 600 Euro für ein WG-Zimmer hat die Stadt im Breisgau Köln als fünftteuersters Pflaster abgelöst. In der MMI-Erhebung aus dem Jahr 2023 lag Freiburg noch auf dem neunten Rang, mit damals 520 Euro. In nur zwei Jahren haben die Preise um über 15 Prozent zugelegt.
„Bereits seit Jahren warnen Studierende und andere junge Menschen immer weiter vor den steigenden Wohnkosten. Auch jetzt ist es nicht gelungen, diesen Trend umzukehren“, äußerte sich am Montag Emmi Kraft vom „freien zusammenschluss von student*innenschaften“ (fzs) zu den Befunden der Forscher. „Diese wahnwitzigen Preise sind für viele nicht bezahlbar. Die Wahl des Studienorts wird zum Armutsgrund – oder der Studienort wird vom Mietpreis erzwungen.“
Die im Rahmen der Bundesausbildungsförderung (BAföG) gewährte Mietpauschale deckt nur noch in seltenen Fällen die tatsächlichen Aufwendungen fürs Wohnen. Nur noch in 23 von 88 Fällen liegen die Kosten auf oder unter dem Niveau von 380 Euro, die seit Inkrafttreten der jüngsten Reform zum Wintersemester 2024/25 bewilligt werden (davor 360 Euro).
Ab nach Chemnitz
Dies trifft vor allem auf kleinere und ostdeutsche Hochschulstandorte zu. Am preiswertesten wohnt es sich für Studierende in Chemnitz mit 265 Euro Monatsmiete, gefolgt von Cottbus (287 Euro), Magdeburg (330 Euro) sowie Halle an der Saale und Dresden mit jeweils 350 Euro. In Einzelfällen haben die Preise sogar nachgegeben. In Chemnitz etwa zahlte man vor einem Jahr im Schnitt 23 Euro mehr.
Aber das sind bloß Ausnahmen von der Regel. In 39 Städten, in denen fast die Hälfte der Studierenden eingeschrieben seien, „ist dagegen kaum ein Zimmer im Rahmen der Wohnkostenpauschale zu finden“, konstatiert das MMI. 500 Euro und mehr sind heutzutage praktisch Normalität, zumal sich die Breite der Spitze immer mehr annähert. Man beobachte, „dass sich die mittelgroßen Hochschulstädte preislich gerade in Richtung der teuren Hochschulstädte bewegen“, befand MMI-Projektleiter Stefan Brauckmann.
Seine Empfehlung: „Das BAföG sollte dynamisch an die tatsächliche Preisentwicklung angepasst werden.“ Dabei müsse verstärkt berücksichtigt werden, „dass die meisten Studierenden in Städten immatrikuliert sind, in denen deutlich höhere Lebenshaltungskosten zu tragen sind“. Möglicherweise sei deshalb bei den Wohnkosten eine Regelung analog dem Wohngeld mit regional unterschiedlichen Wohngeldstufen anzustreben, so Brauckmann.
Bauen, bauen, bauen
Als Richtwert zieht das Institut die sogenannte Düsseldorfer Tabelle heran. Dort wird der „angemessene Unterhaltsbedarf eines studierenden Kindes, das nicht bei seinen Eltern oder einem Elternteil wohnt“ bei 440 Euro Warmmiete angesetzt. Bei einer solchen Summe wären immerhin in 71 der 88 betrachteten Städte WG-Zimmer für BAföG-Empfänger zu finanzierbaren, weil durch die Sozialleistung gedeckten Kosten zu haben.
Wobei es dafür natürlich eines Schubs beim Angebot bedürfte. Heute haben mitunter Zehntausende Studierende noch Wochen bis Monate nach Semesterbeginn keine Bude gefunden, weil der Markt komplett leergefegt ist. So wird Wohnraummangel mithin zum K.o.-Kriterium dafür, wo man studiert oder ob man überhaupt studiert. Oder, wie es das Deutsche Studierendenwerk (DSW), mit Blick auf junge Menschen mit schwachem finanziellen Background ausdrückte: „Sie müssen ihren Studienort nach den Mietpreisen und nicht nach dem Fachinteresse auswählen.“
Der Handlungsdruck für den Bau von bezahlbarem Wohnraum für Studierende sei „weiterhin sehr hochׂ“, gab am Montag der Vorstandsvorsitzende Matthias Anbuhl zu bedenken. Das Bund-Länder-Programm „Junges Wohnen“ gehe hier den richtigen Weg, um den studentischen Mietmarkt zu entlasten. „Deshalb muss die kommende Bundesregierung es dringend aufstocken und dauerhaft verstetigen, damit es von allen Bundesländern kraftvoll umgesetzt werden kann.“
Mieten müssen wieder sinken!
Diese Forderung vertreten auch der fzs und die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). Wohnen dürfe kein Luxusgut sein, „es braucht daher dringend massive Investitionen in bezahlbaren Wohnraum“, bekräftigte fzs-Vorstandsmitglied Lisa Iden. Ihre Mitstreiterin Kraft ergänzte: „Es muss der nächsten Regierung gelingen, die Mieten nicht nur zu stabilisieren – dafür braucht es einen sofortigen Mietenstopp –, sondern sie auch dauerhaft signifikant zu senken.“
Für den GEW-Vizevorsitzenden Andreas Keller gehört eine BAföG-Reform ins 100-Tage-Programm der kommenden Koalition, die wohl wieder einmal eine „große“ sein wird aus Union und SPD. „Neben einer Anhebung der Bedarfssätze auf mindestens Bürgergeldniveau geht es um eine Weiterentwicklung der Wohnpauschale“, sagte er am Dienstag im Gespräch mit Studis Online. „Dafür müssen die tatsächlichen Wohnkosten entsprechend den regionalen Obergrenzen nach Wohngeldgesetz übernommen werden.“
Aber wie stehen die Chancen, dass es so kommt? Eher schlecht! CDU/CSU betätigen sich seit langem als BAföG-Abrisskommando. In ihrer Verantwortung haben sich die Bedarfssätze immer stärker von der Lohn- und Preisentwicklung entkoppelt und sind die Gefördertenzahlen auf einen historischen Tiefstand von unter zwölf Prozent eingebrochen. Passend dazu spielt das BAföG im Wahlprogramm der Union praktisch keine Rolle.
Fertig zum Einkasernieren
Ambitionierter klingt dies bei der SPD, die die Sätze „regelmäßig an die steigenden Lebenshaltungskosten“ anpassen, das System langfristig „elternunabhängiger machen“ will und eine „schrittweise Rückkehr zum Vollzuschuss“ anstrebt. Aber derlei hatten die Sozialdemokraten immer wieder proklamiert, um dann doch stets vor den Regierungspartnern einzuknicken, zuletzt gegenüber FDP und Grünen, davor lange Jahre gegenüber CDU/CSU.
Dass es diesmal anders kommt, erscheint ziemlich fraglich, zumal der Sozialstaat bei dem ganzen Eifer für Aufrüstung und „Kriegsertüchtigung“ noch mehr unter die Räder (Ketten) zu kommen droht. Aber vielleicht ist die Sicht auch zu negativ. Schließlich könnte Student ja auf Soldat umschulen, mit garantiertem Dach überm Kopf. Kasernen werden demnächst bestimmt reichlich gebaut ... (rw)