Verhandler ohne HandlungsantriebBAföG hat für Schwarz-Rot zu wenig Priorität
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Union und SPD könnten nach einer möglichen Regierungsbildung die Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetzes (BAföG) mitsamt der Wohnkostenpauschale deutlich erhöhen. Das geht aus einem Ergebnispapier der Koalitionsunterhändler hervor, welches das „Portal für Informationsfreiheit“ FragDenStaat Ende der Vorwoche veröffentlicht hat.
Das auf den 23. März datierte Dokument markiert den abschließenden Verhandlungsstand der Arbeitsgruppe (AG) Bildung, Forschung und Innovation unter Leitung der Bildungsministerinnen von Schleswig-Holstein und Rheinland-Pfalz, Karin Prien (CDU) und Stefanie Hubig (SPD). Erklärter Wille der Beteiligten sind „massive Investitionen“ in staatliche Schulen, Hochschulen und Wissenschaftseinrichtungen.
„Wir modernisieren das BAföG in einer großen Novelle“, liest man auf Seite vier in der Rubrik „Studienfinanzierung“. Den Mietzuschlag für außerhalb des Elternhauses lebende Studierende werde man von derzeit 380 Euro auf 440 Euro heraufsetzen und dessen Höhe „regelmäßig“ überprüfen. Derzeit decken die gewährten Mittel die tatsächlichen Wohnkosten in den allermeisten Hochschulstädten nicht einmal annähernd, wie zuletzt einmal mehr das vom Moses-Mendelssohn-Institut (MMI) vorgelegte Hochschulstädtescoring aufgezeigt hat.
Auf der langen Bank
Allerdings werden dieses und andere Vorhaben zur Aufbesserung beim BAföG nicht zeitnah, sondern erst für das Wintersemester 2026/27 und die Folgejahre avisiert. Außerdem erscheint der Schritt kaum zielführend. Gewerkschaften, Studierenden- und Hochschulverbände fordern stattdessen, die Höhe der Leistung – analog zum Wohngeld – an den Erforderlichkeiten der örtlichen Wohnungsmärkte zu orientieren.
Ambitionierter erscheinen die Pläne zur Aufwertung der BAföG-Regelsätze. Demnach wolle man den Grundbedarf für Schülerinnen, Schüler und Studierende „dauerhaft an das Grundsicherungsniveau“, also auf das des Bürgergeldes, anpassen. Derzeit liegt dieses bei 563 Euro, während beim BAföG lediglich 475 Euro, also 88 Euro weniger, bewilligt werden. Stand jetzt beliefe sich die Steigerung auf über 18,5 Prozent.
Aber auch darauf müssten Betroffene noch lange warten. Im Text ist die Rede von „zwei Schritten“ jeweils „hälftig“ zum Wintersemester 2027/28 sowie 2028/29. Kritiker halten die jüngste im Herbst 2024 in Kraft getretene BAföG-Novelle für unzulänglich und einen kräftigen Nachschlag angesichts der rasant gestiegenen Preise schon jetzt für überfällig.
Dynamische Freibeträge
Sollten wirklich weitere über zwei Jahre ohne Anpassung ins Land gehen, dürften die Förderzahlen noch einmal deutlich abschmieren, womöglich gar unter die Marke von zehn Prozent aller Studierenden. Die Vorgängerregierungen hatten in diesem Zusammenhang immerhin eine „Trendwende“ oder „Trendumkehr“ versprochen, die jedoch nicht eintrat. In besagtem Papier findet sich ein solches Bekenntnis gar nicht erst.
Ein sinnvoller Ansatz wäre es ohne Frage, die Elternfreibeträge zu „dynamisieren“, sprich an der allgemeinen Lohn- und Preisentwicklung auszurichten. Die Verhandler haben genau das angekündigt, wobei auch hier gilt: Erfolgt die Maßnahme erst 2026, 2027 oder noch später, dann wird das die allgemeine Entwertung der Sozialleistung nicht aufhalten, sondern noch forcieren.
Beim „freien zusammenschluss von student*innenschaften“ (fzs) und den Juso-Hochschulgruppen zeigt man sich ob der Neuigkeiten enttäuscht. Die Verantwortlichen hätten es „bisher versäumt, die zentralen Probleme für Studierende, Hochschulen und Wissenschaft nachhaltig anzugehen“, äußerte sich fzs-Vorstandsmitglied Emmi Kraft in einer Medienmitteilung. „Das mindert die Glaubwürdigkeit der Koalition in spe bereits vor ihrem Start und fördert Politikverdrossenheit.“
Dringender Verbesserungsbedarf
Madita Lachetta vom Bundesvorstand der Juso-Hochschulgruppen verlangte von der Politik, die Interessen der jungen Generationen endlich ernst zu nehmen. „Seriöse, problemorientierte Politik ist auch dringend notwendig, um die erlebte Perspektivlosigkeit unter vielen jungen Menschen zu mindern, die an der immer noch hohen Zustimmung für Scheinlösungen von rechtsaußen sichtbar wird.“
Beide Verbände haben in einem offenen Brief an die Verhandler von CDU/CSU und SPD „dringenden Verbesserungsbedarf“ angemeldet. Die Erhöhung der BAföG-Sätze müsse „unmittelbar“ zum kommenden Wintersemester erfolgen, die Erhöhung der Wohnkostenpauschale sei „zu niedrig und nicht bedarfsgerecht“, heißt es darin. Um die Wohnungsnot zu lindern, solle der öffentliche soziale Wohnungsbau ausgebaut, ein Mietendeckel eingeführt und so für dauerhaft günstigere Mieten gesorgt werden.
Was haben sich die Verhandler noch vorgenommen? Die Darlehensdeckelung beim BAföG soll unverändert bleiben, der Bezug „weiter vereinfacht, digitalisiert und beschleunigt“ und der Antrag für die Studienstarthilfe (pauschal 1.000 Euro) ins gängige Verfahren integriert werden. Die Hinzuverdienstgrenze wolle man weiter gemäß der Vorgaben bei Minijobs belassen (aktuell 556 Euro monatlich) und den Gesetzesvollzug fürs Auslands-BAföG vereinfachen und zentral im Bundesverwaltungsamt verankern.
Mehr Geld für die Mensa
Mit Blick auf die horrenden Kosten beim Studienkredit der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW), die viele Betroffene in die Schuldenfalle treiben, lassen die Beteiligten verlauten, sich für „faire Konditionen“ einsetzen zu wollen. Auch ein „Produkt mit Zinsbindung“ werde man zur Verfügung stellen. Das klingt nach keinem allzu großen Wurf.
Ebenfalls relevant für Studierende könnte die angekündigte „Schnellbauinitiative“ für Hochschulen und Universitätskliniken werden. Dabei sollen Bund und Länder Gelder in nicht beziffertem Umfang als „befristetes Investitionsprogramm“ in die „Modernisierung, energetische Sanierung und digitale Ertüchtigung“ stecken. Auch Mensen und Cafeterien sollen profitieren.
In Sachen „Studium und Lehre“ wird eine systematische Stärkung in Aussicht gestellt. Man wolle dafür den „Zukunftsvertrag Studium und Lehre stärken“ (früher „Hochschulpakt“) über das Jahr 2028 hinaus „dynamisieren“ und die Stiftung „Innovation in der Hochschullehre“ weiterentwickeln. Die „Exzellenzstrategie“, die maßgeblich zur Hierarchisierung der Hochschullandschaft beigetragen hat, werde man „für eine mögliche Förderperiode ab 2030 grundlegend evaluieren“. Das könnte ein Hinweis darauf sein, dass man sich das elitäre Bund-Länder-Programm künftig vielleicht sparen will.
Vorfahrt für Rüstungsforschung
Aus Sicht von fzs und Juso-Hochschulgruppen greift das alles viel zu kurz. Sie hatten gehofft, dass relevante Teile des geplanten 500 Milliarden Euro schweren Schuldenpakets zur Behebung des Sanierungsstaus und zugunsten einer höheren Grundfinanzierung der Hochschulen etwa für mehr Personal und Digitalisierung herangezogen werden. Diese Aufgaben könnten nicht erfüllt werden, wenn das fragliche Sondervermögen „nur für Rüstungsforschung und Dual-Use-Fälle genutzt werden soll, was entsprechende Forderungen aus dem Papier nahelegen“, monieren die Kritiker.
Auch würden den herrschenden prekären Arbeitsbedingungen an Hochschulen und in der Wissenschaft „keine Aufmerksamkeit geschenkt“ und die Leidtragenden im akademischen Mittelbau „einmal mehr hängen gelassen“. Das ist ein hartes Urteil. Immerhin haben die Verhandler erklärt, die „Arbeitsbedingungen für Forschende, Lehrende und Studierende nachhaltig“ verbessern und „Karrierewege verlässlicher“ machen zu wollen.
Dafür wolle man das fragliche Wissenschaftszeitvertragsgesetz (WissZeitVG) bis Mitte 2026 novellieren, auf diesem Wege „Mindestvertragslaufzeiten vor und nach der Promotion“ einführen und „Schutzklauseln auf Drittmittelbefristungen ausweiten“. Ferner werde man per Ausbau des sogenannten Tenure-Track-Programms die „Rahmenbedingungen für mehr Dauerstellen“ verbessern.
Merz verbittet sich Maßlosigkeit
Ob die Gewerkschaften bei all dem ein Wörtchen mitreden sollen (Stichwort „Tarifsperre“), ist nicht ausgemacht. Den Satz „Tarifliche Regelungen werden wir erlauben“ umgibt im Text eine Klammer. Bei dem Thema ist ohnedies Vorsicht geboten. Auf eine tragfähige Reform des WissZeitVG warten Nachwuchswissenschaftler schon eine halbe Ewigkeit. Zuletzt hatte die FDP eine Verständigung der inzwischen abgewählten Ampelregierung vereitelt.
Überhaupt darf man gespannt sein, was von den Projekten der Unterhändler am Ende übrig bleibt und tatsächlich Eingang in den Koalitionsvertrag findet. Das ganze Paket könnte ziemlich teuer werden, wobei Aussagen zur „Finanzwirksamkeit“ der einzelnen Maßnahmen in dem Papier fehlen.
Das letzte Wort werden die Teilnehmer der 19-köpfigen Hauptverhandlungsrunde haben, die seit mehreren Tagen damit befasst ist, die Vorlagen der diversen Arbeitsgruppen unter einen Hut zu bringen. Zum Auftakt hatte der absehbar kommende Bundeskanzler, Friedrich Merz (CDU), die Vorschläge insgesamt ziemlich abschätzig im Fach „Wünsch dir was“ abgelegt. „Das wird jetzt unsere Aufgabe sein, das auf das mögliche Maß zu reduzieren.“
Als „maßlos“ erscheint nach diesem Spruch manches mehr, was sich die Studierendenvertreter vom fzs und den Jusos noch so „wünschen“. Das BAföG als „Vollzuschuss“, ein dauerhaft günstiges Semesterticket, entkoppelt vom Deutschlandticket, oder die Absage an „jede Form der Wiedereinführung der Wehrpflicht“. Mit Schwarz-Rot gibt es das ziemlich sicher nicht. (rw)