Hochschulpolitik/StudienfinanzierungDebatte über das BAföG in Zeiten der Großen Koalition
Hintergrund des Antrages der Linkspartei zu einer kurzfristigen Novelle des BAföGs ist vor allem die Tatsache, dass seit 2002 keinerlei Anpassungen der Bedarfssätze und Freibeträge mehr stattfanden. Die Änderung von 2002 war nebenbei bemerkt bereits im 2001er-Gesetz vorgesehen, sie umfasste gleichzeitig die Anpassung an "gerade" Euro-Beträge.
Daneben wird die Einführung von Studienkrediten durch die KfW-Bankengruppe (Eigner sind Bund und Länder) von einigen als Einstieg in den Ausstieg beim BAföG angesehen. Dass das nicht völlig von der Hand zu weisen ist, zeigen einige Zitate von Bundesbildungministerin Schavan.
Im April 2005 (noch vor ihrer Zeit als Ministerin - damit also möglicherweise noch "ehrlicher", als sie es jetzt wegen der Koalitionsräson sein kann) hatte sie in einem Interview mit der Welt gesagt: "... Studiengebühren und Studienfinanzierung müssen zusammen gesehen werden. Allerdings muß das BAföG noch so lange erhalten bleiben, bis es einen tatsächlich attraktiven Markt der Bildungsfinanzierung gibt."
Bei der Bekanntgabe, dass das BMBF dem KfW-Studienkreditmodell zustimmt, sagte sie: "Die Bundesregierung begrüßt, dass mit diesem Angebot ein wichtiger Schritt zur Erschließung eines funktionierenden Marktes der Bildungsfinanzierung gemacht wird" Ein Schelm, wer böses dabei denkt.
Die Linkspartei jedenfalls wollte mit dem Antrag vermutlich austesten, wie die große Koalition mit dem Anliegen der BAföG-Verbesserung umgeht. Vor allem die SPD, die das BAföG in den 1970ern eingeführt hatte, war so in Zugzwang zu bringen - auch gegen den Koalitionspartner CDU. Und in der Tat kam es zu einigen Dissonanzen zwischen SPD und CDU.
Im folgenden Ausschnitte aus und zu den Redebeiträgen in der Reihenfolge wie im Parlament gemacht (Die Rednerin der Linkspartei als Antragstellerin als erste, dann die RednerInnen von CDU, FDP, SPD und Grüne). Dazu immer einige Erläuterungen.
Den jeweils zweiten Redner von CDU und SPD haben wir jedoch weggelassen, da vom Redner der CDU kaum neue Aspekte genannt wurden und der Redner der SPD vor allem auf allgemeine Studiengebühren kam (die er bzw. die SPD weiterhin ablehnt) und davon ausgehend auf ein Thema, dass zwar interessant ist, mit BAföG aber kaum mehr zu tun hat: Nämlich dem Vorschlag aus SPD-Kreisen, dass jedes Land für seine "Landeskinder" die Studienkosten trägt.
Die Vorschläge der Linkspartei
Cornelia Hirsch von der Fraktion Die Linke stellte in der Aussprache zunächst die wesentlichen Punkte des Antrages vor.
- " ... Anpassungsbedarf bei den Bedarfssätzen und bei den Freibeträgen des BAföG. Man muss ja festhalten, dass jede Nichtanpassung der Bedarfssätze wegen der Inflation und der Steigerung der Lebenshaltungskosten eine Verringerung der Förderung bedeutet. Die Nichtanpassung der Freibeträge für das anzurechnende Elterneinkommen hat eine Verringerung des Kreises der BAföG-Empfängerinnen und -Empfänger zur Folge. (...) Wir schlagen (...) vor, im Bundesausbildungsförderungsgesetz zu verankern, dass diese Anpassung automatisch erfolgt."
"Als Zweites schlagen wir mehrere Einzelmaßnahmen vor, die sich am besten darunter zusammenfassen lassen, dass wir das BAföG an die aktuellen Studienrealitäten anpassen wollen. Es geht dabei um Punkte, die wir aus der Beratungspraxis zusammengetragen haben."
In der Tat hat die Linkspartei teilweise aus Forderungspapieren aus bundesweiten studentischen Zusammenhängen "abgeschrieben". U.a. wird eine Lockerung der restriktiven Regelungen beim Leistungsnachweis und eine längere Forderungsdauer - entsprechend der realen Studiendauer und nicht der fiktiven Regelstudienzeit - gefordert.
Schließlich ging es Cornelia Hirsch noch darum, längerfristig wünschenswertes aufzuzeigen.
- "Es ist klar, dass, wenn den Absolventinnen und Absolventen nach dem Studium ein Schuldenberg droht, Personen aus finanziell schlechter gestellten Haushalten von der Aufnahme eines Studiums abgeschreckt werden. (...) (D)ie Verschuldungsdeckelung durch Rot-Grün in Höhe von 10 000 Euro (war) ein Schritt in die richtige Richtung.Daran sollten wir anknüpfen und zu einem Vollzuschuss kommen, so wie das in den 70er-Jahren der Fall war."
"Wir müssen das BAföG auf die Bereiche Schule und Weiterbildung ausdehnen. Auch in diesem Fall können wir an die Erfahrungen aus den 70er-Jahren anknüpfen, vor allem was das BAföG für Schülerinnen und Schüler angeht. Es hat sich klar gezeigt, dass Schülerinnen und Schülern der Zugang zur Hochschule erleichtert wird, wenn ihnen ein umfassendes BAföG zur Verfügung steht."
CDU-Rednerin mit Ausflüchten und polemischen Angriffen gegen "Bummelstudenten"
Dorothee Bär von der CDU war erste Rednerin der Koalition. Zur jahrelangen Nichtanpassung der Förderbeträge des BAföGs führte sie aus:
- "In § 35 des BAföG ist als zusätzliches Kriterium (...) die Anpassung an die finanzwirtschaftliche Entwicklung vorgesehen. Deshalb wurde das BAföG in den Jahren seit 2001 nicht angepasst, was vollkommen richtig war. (...)"
"Auch die Quote der geförderten Studierenden liegt derzeit konstant bei über 25 Prozent. Das heißt, es besteht augenblicklich überhaupt kein Anlass, die Ausweitung des BAföG zu fordern."
Letztere Schlussfolgerung ist allerdings durchaus in Frage zu stellen: Zum einen sind die vorliegenden Zahlen zum BAföG prinzipbedingt Zahlen aus der Vergangenheit, die verdecken können, dass es inzwischen schon bergab geht, zum anderen will die Bundesregierung angeblich die Zahl der Studierenden steigern. Nun ist aber die letzte größere Steigerung nur kurz nach der BAföG-Verbesserung 2001 zu beobachten gewesen - wie also mit einem stagnierenden BAföG das Ziel von mehr Studierenden gelingen soll, bleibt fraglich.
Dorothee Bär kam dann darauf zu sprechen, dass sich alle an der Finanzierung der Bildung beteiligten müssten, die davon profitierten.
- "Das schließt für uns die Studenten ebenso wie den deutschen Staat mit ein. Deswegen sind Studiengebühren und Altersgrenzen für Förderansprüche ebenso wichtig wie eine Verknüpfung der staatlichen Mittel mit den Regelstudienzeiten."
Hier kam erstmals Widerspruch von einem SPD-Abgeordneten. Jörg Tauss aüßerte in einem Zwischenruf: "Das haben Sie für die CDU/CSU gesagt und nicht für die Koalition! Damit das klar ist!"
Die Linkspartei hatte u.a. gefordert, dass bei Verfehlen des Leistungsnachweises nach dem 4. Semester nicht automatisch das BAföG gestoppt wird, sofern zumindest einige Leistungen vorliegen. Die CDU-Rednerin hatte dafür keinerlei Verständnis, im Gegenteil:
- "Wenn man den Antrag der Linken durchliest, dann kann man erkennen, dass die Linke ganz bewusst ein schleppendes Studienverhalten und Bummelstudenten fördern will."
[Zwischenruf Volker Schneider, DIE LINKE] "Das ist doch schlicht falsch!"
"Das ist natürlich genau Ihre Meinung, weil Sie Ihre unmotivierte Klientel mit diesem Antrag unterstützen wollen. (...) ich muss ganz ehrlich sagen: Ich möchte nicht, dass der Staat für diese Art von Studenten zusätzlich Geld ausgibt."
"Die Höchstdauer der Förderung an der tatsächlichen Studiendauer der Studenten zu orientieren, wie Sie das in Ihrem Antrag fordern, hieße ja, die Studenten bis zur Rente zu fördern."
Eine interessante Idee, in der Tat ...
FDP findet BAföG auch reformbedürftig - aber anders. Und will Studiengebühren
Der Redner der FDP, Uwe Barth, stimmte zunächst einigen Dingen zu:
- "Wenn als Tenor des Antrages festgestellt wird, dass die Ausbildungsförderung reformbedürftig ist, dann ist das richtig.
Tatsache ist, dass die BAföG-Sätze in den letzten Jahren nicht erhöht worden sind und deshalb real erheblich gesunken sind. Zutreffend ist ebenfalls, dass wir weniger Studenten aus sozial schwächeren Schichten an den Universitäten haben als aus solchen, die gut situiert sind."
Das war es dann aber mit den Gemeinsamkeiten zwischen FDP und Linkspartei.
- "Die Vorschläge, die im vorliegenden Antrag zur Lösung dieses Problems unterbreitet werden, sind allerdings von Sozialromantik und Verteilungsmentalität geprägt und lassen vor allem jeden Gedanken an Eigenverantwortung und insbesondere an Leistungsanreiz völlig vermissen. (...)"
"BAföG für alle, möglichst hoch und solange man will – Kollegin Bär hat darauf zu Recht hingewiesen –, das ist nicht nur unbezahlbar, sondern das ist in einem leistungsorientierten Bildungssystem auch der grundsätzlich falsche Weg."
Zwischendurch schwenkte Barth etwas länger zum Thema Studiengebühren und wie förderlich diese doch sein könnten, vor allem auch zur "Leistungsauslese". Schließlich kam er jedoch auf das BAföG zurück:
- "Die Verbesserungen des BAföG sind deswegen trotzdem nötig. Die FDP hat ihr langfristiges Modell des Bürgergeldes vorgestellt. Das ist sehr umfangreich. Wir haben deshalb vor einigen Jahren das so genannte Dreikörbemodell in die Diskussion eingeführt. In dem ersten Korb werden die bisherigen Sozialleistungen für alle Studierenden zusammengefasst. Der zweite Korb besteht aus einer bedarfsabhängigen staatlichen Zusatzleistung für sozial Schwächere. Der dritte Korb soll letztlich eine Darlehenskomponente enthalten, die allen zugänglich ist."
Dieses Modell ist in interessierten Kreisen als "Drei-Körbe-Modell" bekannt und wurde bspw. vom Deutschen Studentenwerk, aber auch von Studierenden schon seit Jahren als eine mögliche und durchaus sinnvolle Reform des BAföG angesehen. Auch innerhalb von SPD und Grünen gab es Bestrebungen, das BAföG in diese Richtung zu reformieren - diese scheiterten jedoch.
SPD-Redner Rossmann will BAföG verteidigen und kann einigen Vorschlägen der Linkspartei sogar etwas abgewinnen
Dr. Ernst Dieter Rossmann durfte als erster Redner der SPD ran. Er ging auf die Vorschläge und Befürchtungen der Rednerin der Linkspartei ausführlich ein.
- "Ihrer Sorge, Frau Hirsch, dass das BAföG durch die Studienkredite infrage gestellt werden könnte, möchte ich entgegenhalten: Gerade weil wir Sozialdemokraten in dieser Koalition auf gleicher Augenhöhe so stark sind, dürfen Sie sicher sein, dass die Studienkredite nur additiv, nicht alternativ eingeführt werden können."
Er gibt sogar zu, dass zwar im Haushalt 2006 noch genug Geld für das BAföG (aber eben ohne Erhöhungen der Förderbeträge) eingeplant ist, danach sähe es jedoch nicht so gut aus - was die SPD offenbar noch ändern will:
- "Denn bei aller Freude über die Haushaltszahlen 2006, (...) müssen wir feststellen: Es sind für die Jahre 2007, 2008 und 2009 wieder geringere Beträge veranschlagt. Das wird aber nicht in der Form greifen können, weil wir das BAföG erhalten wollen."
Eine regelmäßige, "automatische" (weil an die Inflationsrate gekoppelte) Erhöhung des BAföG lehnt auch Dr. Rossmann ab. "Das wäre systemwidrig zu allen anderen bestehen Sozialleistungen" - womit er durchaus Recht hat. Die Forderung der Linkspartei dürfte auch eher als Erinnerung zu verstehen gewesen sein wie oft in der Vergangenheit Erhöhungen nicht oder unterhalb der Inflation durchgeführt wurden.
Einige Punkte der Linkspartei greift Dr. Rossmann als überlegenswert auf. Er tut dies offenbar vor allem im Hinblick auf Menschen, die auf einem anderen Weg als dem Abitur auf einem Gymnasium zur Hochschulreife kommen (z.B. über einem beruflichen Bildungsweg) - meist also auch in etwas höherem Alter.
So sieht er es als überlegenswert an, ob man wirklich an der Altersgrenze von 30 festhalten müsse oder sie nicht doch erhöhen solle (Übrigens galt in den 1970er Jahren noch eine Altersgrenze von 40).
Grüne gehen vor allem auf Studiengebühren-Problematik ein
Kai Boris Gehring lobt zunächst noch einmal die vorige rot-grüne Bundesregierung und ihre BAföG-Reform. Dann kommt er aber zur Studienfinanzierung-Problematik durch Studiengebühren:
- "Derzeit entstehen Rahmenbedingungen, die eine BAföG-Debatte erforderlich machen. Schließlich müssen wir erleben, wie Landesregierungen aus Union und FDP reihenweise allgemeine Studiengebühren einführen, (...) Auch BAföGEmpfänger werden hier, anders als im Wahlkampf versprochen, zur Kasse gebeten.
Eine solche Politik konterkariert die Ziele des BAföG. Sie setzt neue soziale Hürden, belastet Studierende, das BAföG und den Bundeshaushalt. Dann ist die eine Möglichkeit: Die Studierenden nehmen ein Darlehen auf, um die Gebühren zu begleichen. Dann aber gesellen sich bei vielen Absolventen die Gebührenschulden zu den BAföGSchulden hinzu. Nicht jeder junge Akademiker hat die Möglichkeit, problemlos zwei Schuldenberge abzutragen. Die Folge wird sein: Bei der Rückzahlung des BAföG ist mit größeren Ausfällen als bisher zu rechnen. Die zweite Möglichkeit ist: Die Betroffenen verzichten aus den genannten Gründen auf ein Darlehen und versuchen, die Studiengebühren aus ihrem eigenen Portemonnaie zu begleichen. Dann aber steigen ihre Lebenshaltungskosten und damit der erforderliche BAföG-Bedarf."
- Quellen, Materialen und weitere Artikel zum Thema
- Plenarprotokoll 16/26, Bundestagssitzung vom 17.03.2006 (PDF, zum BAföG ab Seite 2064 - die Nummerierung beginnt aber auch erst bei 2025)
- Antrag der Linkspartei zum BAföG (PDF)
- Mehr Geld für das Bildungsministerium, trotzdem keine Verbesserung des BAföG (22.02.2006)
- BMBF gibt grünes Licht für KfW-Studienkredit (09.02.2006)
- Immer mehr BAföG-EmpfängerInnen - aber wie lange noch? (21.07.2005)
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