Aufpassen!Böse Folge falscher Vermögensangaben beim BAföG
Zu jedem Fall, bei dem Vermögen in BAföG-Anträgen nicht korrekt angegeben wurde, gehört auch eine Vorgeschichte. Denn nur in den wenigsten Fällen wollten die AntragstellerInnen einfach so Sozialleistungen "abzocken".
Familiäre Notlage als Auslöser von "Sozialleistungs-Betrug"
Sandra P. (Name von der Redaktion geändert) war bis kurze Zeit vor dem Studium davon ausgegangen, ohne BAföG auszukommen. Die Eltern hatten als Selbständige ein gutes Auskommen und schon einen Fonds mit angespartem Kindergeld angelegt, aus dem Sandra dann - neben weiteren Zahlungen von Seiten der Eltern - regelmäßig Geld während des Studium erhalten sollte. Kurz vor ihrem Studium verschlechterte sich die finanzielle Lage der Eltern jedoch. Sie mussten starke Einnahme-Einbrüche verkraften und sich schließlich verschulden.
Es stellte sich die Frage, wie Sandra P. nun ihr Studium weiter finanzieren sollte. Zwar war einerseits der Fonds vorhanden und zusätzlich hatte Sandra durch Jobben vor dem Studium Geld zurückgelegt, das sie später für ein Auslandssemester einsetzen wollte. Dieses hätte sie nun - bis auf den Freibetrag - für den Lebensunterhalt während des Studiums einsetzen müssen, bevor sie BAföG beantragt.
Sandra P., aber auch ihre Eltern, sahen in dieser Lage die Fonds (die ja letztlich ihre Eltern angelegt hatten) als letzten Notgroschen für die ganze Familie an und gaben sie deswegen nicht an. Sie rechneten das Geld also gedanklich den Eltern zu. Übrigens in Unkenntnis der Tatsache, dass selbst bei einer formalen Vermögensübertragung das Geld weiterhin der Tochter zugrechnet worden wäre. Insbesondere Geldgeschenke (und nichts anderes stellt eine Übertragung eines Fonds dar) können laut Bürgerlichem Gesetzbuch (BGB) bis zu 10 Jahre zurückgefordert werden, wenn so Bedürftigkeit - will sagen, die Notwendigkeit, BAföG zu beziehen - vermieden werden kann.
Höhe der Strafe für einen "BAföG-Betrug" variiert stark
Auch beim Bruder von Sandra lag eine ähnliche Konstellation vor, er kam aber mit einem blauen Auge davon. Im Gerichtsverfahren zu seinem Fall hatte der Vater versucht, die Schuld voll auf sich zu nehmen, indem er aussagte, dass er sich um die BAföG-Anträge seines Sohnes gekümmert hatte (was durchaus stimmte). Dies und ein milde gestimmtes Gericht führten zu einer geringen Strafe ohne Tagessätze.
So versuchten Anwalt und Vater denn auch beim Verfahren von Sandra P. vorzugehen - obwohl P. das unangenehm war. Wenn auch der Vater sich um vieles gekümmert hatte, sie war sich im Großen und Ganzen doch über die Vorgänge klar gewesen. Und Sandra fand sich dann vor einem Gericht, dass wenig Milde walten ließ. Der Vater musste sich Fragen wie "Was für ein Auto fahren Sie?" anhören, Sandra wurde nach ihrer Intelligenz gefragt.
Sandra hatte insgesamt ca. 8000 EUR BAföG bezogen. Üblicherweise wird als Schadenssumme die Hälfte angesetzt (die andere Hälfte muss so oder so später zurückgezahlt werden). Das wären bei Sandra noch 4000 EUR, was in manchen Verfahren sogar ganz ohne Tagessätze bestraft wurde. Über 90 Tagessätze sind bei dieser Schadenssumme eine ungewöhnlich harte Strafte (vgl. unsere Sammlung von Urteilen). Und genau eine solch hohe Strafe erhielt Sandra: 120 Tagessätze.
Mit dieser Zahl an Tagessätzen gilt P. als vorbestraft. Auch in einem allgemeinen polizeilichen Führungszeugnis taucht diese Strafe in den nächsten 5 Jahren immer auf. Der Anwalt von Sandra riet dazu, das Urteil anzunehmen und nicht in Berufung zu gehen. Das für die Revision zuständige Gericht soll nach seinen Quellen bei alle solchen Verfahren die Tagessätze nicht reduziert haben. Zwar gibt es nach unser Kenntnis kaum härtere Strafen, allerdings sind in der Tat die Erfahrungen je nach Gericht unterschiedlich.
Tagessätze sind noch nicht alles
Nun ist es sicher richtig, dass das ungerechtfertigte Beziehen von Sozialleistungen bestraft wird. Es ist allerdings durchaus die Frage, ob nicht in der Regel - durchaus schmerzhafte - Geldstrafen ausreichen. Denn mit der Vorstrafe kann man weitere Probleme haben, bei denen durchaus fragwürdig ist, ob diese noch in einem Verhältnis zur Tat stehen.
Sandra P. hat nach Ihrem Studium eine Anstellung im Medienbereich gefunden. Im Rahmen einiger Projekte sollte sie dazu u.a. in den USA tätig werden. Sie musste also bei der US-Botschaft ein Visum beantragen. Beim Durchlesen des Antrages stieß sie auf die Frage "Sind Sie jemals wegen einer strafbaren Handlung oder eines Verbrechens verhaftet oder verurteilt worden (muss auch beantwortet werden, wenn Sie begnadigt wurden bzw. Ihre Strafe durch Amnestie oder eine ähnliche Rechtshandlung erlassen wurde)?"
Normalerweise kein Problem: Wer nie bestraft worden ist, kann guten Gewissens "Nein" ankreuzen. Sandra P. wollte nicht noch einmal falsche Angaben machen (wie seinerzeit im BAföG-Antrag) und kreuzte bei obiger Frage "Ja" an. Trotzdem war sie guter Hoffnung, dass sie höchstens erläutern müsste, welcher Art ihr "Verbrechen" war und dann das Visum erhalten würde.
Weitere Folge: Kein US-Visum
Weit gefehlt: Laut den US-Visum-Vorschriften reicht schon eine begangene Straftat - und Betrug ist eine solche -, um kein Visum zu erhalten. War es tatsächlich nur eine Straftat, dann hat man nochmal Glück, wenn man bei Begehen der Straftat unter 18 war und das schon mehr als 5 Jahre her ist oder die Maximalstrafe für die begangene Straftat höchstens 1 Jahr Gefägnis beträgt. Dabei meint Maximalstrafe jedoch nicht die erhaltene Strafe, sondern die höchste laut Strafgesetzbuch für die Art von Tat mögliche Strafe.
Betrug kann in Deutschland jedoch mit bis zu 5 Jahren Gefägnis bestraft werden. Daher bestand bei Sandra P. zunächst keine Chance, ein Visum zu bekommen. Zwar besteht die Möglichkeit, einen Antrag auf Sondergenehmigung (Waiver of Inadmissibility) zu stellen - liegen jedoch nicht besondere Gründe vor, ist dies erstmals 5 Jahre nach der letzten strafbaren Handlung möglich. P. hatte daher zunächst keine Möglichkeit, in die USA einzureisen.
Sie könnte nicht einmal als Touristin in die USA. Denn wer ein einziges Mal nicht in die USA durfte - was die Ablehnung des Visums ja bedeutet - muss selbst für eine toruristische Einreise ein Visum beantragen. Und genau das bekam Sandra nicht.
Wer übrigens meint, man könne im Visa-Antrag bei der Frage nach Straftaten einfach "Nein" ankreuzen, da die US-Behörden doch nicht wissen können, ob man vorbestraft sei, der sollte sich nicht so sicher sein. Die US-Botschaft kann beim Bundeszentralregister anfragen, ob Straftaten bekannt sind. Alternativ könnte die Botschaft stichprobenartig ein Führungszeugnis anfordern. Selbst wenn sie das zur Zeit vermutlich nur selten praktiziert: Wenn die Falschangabe herauskommt, wird man lange nicht in die USA dürfen.
Schließlich doch noch ein versöhnliches Ende
Recht kann nie vollkommen gerecht sein - von zu vielen subjektiven Faktoren hängt eine Entscheidung ab. Unschön ist jedoch: Wer als "einfacheR" BürgerIn vorbestraft ist, hat - wie das Beispiel zeigt - oft mit weiteren unangenehmen Folgen zu kämpfen. Dabei wird in anderen Fällen durchaus ein Auge zugedrückt, wenn die entsprechende Person prominent genug ist. Boris Becker bekam 2002 wegen Steuerhinterziehung 500 Tagessätze, Otto Graf Lambsdorff (Bundeswirtschaftsminister von 1977 bis 1984) wurde in den 1980ern zu einer ebenso hohen Strafe verurteilt. Von Problemen bei der Einreise in die USA ist nichts bekannt. Offenbar gibt es also doch Ausnahmen von der Regel.
Sandra hat zum Glück nicht aufgegeben. Sie und ihre Eltern schriebn an das für das Visum zuständige US-Konsulat und erläuterten die Hintergründe ihres Falles. Zusätzlich wandte sie sich schriftlich an einige PolitikerInnen und Ministerien gewendet. Aus den Ministerien kamen ausweichende Antworten und keine Hilfe. Von den angeschriebenen Bundestagsabgeordneten aus ihrem Wahlkreis setzten sich einige beim amerikanischen Konsulat für sie ein. Insgesamt hat der Einsatz gelohnt. So konnte sie schließlich Monate später einen Antrag auf Sondergenehmigung stellen, der inzwischen stattgegeben wurde. Somit kann sie in Zukunft wieder jederzeit in die USA. Also doch noch Glück im Unglück.
Was andere daraus lernen können
Am besten ist natürlich, es gar nicht so weit kommen zu lassen und alle Angaben im BAföG-Antrag peinlich genau geprüft zu haben. Insbesondere sollte man die Eltern explizit fragen, ob es noch weiteres Vermögen gibt, dass auf eigenen Namen läuft, welches aber noch von den Eltern angelegt wurde, als man minderjährig war.
Ist das Kind, will sagen Vermögen, schon in den Brunnen gefallen und kam es schließlich zu einer höheren Strafe, so sollte ernsthaft geprüft werden, ob eine Revision lohnen könnte - vor allem wenn die Strafe über 90 Tagessätzen liegt. In letzterem Falle kann man fast nur noch gewinnen (nämlich dann, wenn man in der Berufung unter die 90 Tagessätze kommt und somit die Strafe nicht im polizeilichen Führungszeugnis auftaucht). Hier kommt es aber insbesondere auf den Rat eines Anwaltes an, der das zuständige Gericht und die dort gemachten Entscheidungen gut kennen sollte.
Wer schließlich wie Sandra weitere Probleme in Folge einer Vorstrafe hat, dem ist zu raten, sich neben den konkret für das Problem Zuständigen auch "an die Politik" zu wenden und nicht gleich aufzugeben. Konkrete Hilfe kann man eher durch Gesuche an Abgeordnete aus der eigenen Region erwarten, Ministerien dagegen bleiben meist distanziert und werden sich nicht einmischen.
- Hintergründe und Quellen
- Elektronische Visa-Antragsformulare
- Gesetzliche Grundlagen für die Verweigerung eines Visas (englischsprachig, Webseite der US-Regierung)
- Bundeszentralregister (dort sind Straftaten gespeichert, es ist die Quelle, die genutzt wird, wenn ein polizeiliches Führungszeugnis ausgestellt werden soll)
- Sammlung von Urteilen bei "BAföG-Betrug"