Herkunft prägt Bildungserfolg18. Sozialerhebung bestätigt Bildungsungerechtigkeit
Das Interview führte Jens Wernicke
Studis Online: Herr Meyer auf der Heyde, am Dienstag hat das Deutsche Studentenwerk (DSW) die Ergebnisse der aktuellen Sozialerhebung veröffentlicht. Was sind die allgemeinen Tendenzen, wie ist es um die soziale Lage der Studierenden bestellt?
Achim Meyer auf der Heyde: Sowenig wie es den Durchschnittsstudenten gibt, so wenig kann man die wirtschaftliche und soziale Lage der Studierenden pauschal beschreiben. Uns macht vor allem Sorgen, dass viele Studierende relativ knapp bei Kasse sind. Im Durchschnitt haben die Studierenden zwar 770 Euro im Monat zur Verfügung, aber es gibt weiterhin eine deutliche Spannweite. Jeder fünfte Studierende liegt mit seinem Monatsbudget unter dem BAföG-Höchstsatz von 585 Euro, jeder Dritte unter dem Betrag von 640 Euro, den die Familiengerichte als Orientierungswert für den Elternunterhalt festgelegt haben.
Nur rund 60 % der Studierenden gingen im Sommersemester 2006, als die Befragung durchgeführt wurde, davon aus, ihre Studienfinanzierung sei gesichert. 2003 waren es noch fünf Prozent mehr. Im Umkehrschluss heißt das, dass rund 40 % ihre Studienfinanzierung als unsicher ansehen. Das sind keine guten Grundlagen für ein erfolgreiches Studium!
Wir haben die Studierenden auch nach ihrem Informations- und Beratungsbedarf gefragt. Fragen zur Studienfinanzierung stehen klar an erster Stelle. Die Studentenwerke haben diesen Trend schon vor der Sozialerhebung erkannt und ihre Beratungsangebote konsequent ausgebaut. An vielen Orten bieten die Studentenwerke den Studierenden eine umfassende Studienfinanzierungsberatung.
Welches sind die auffälligsten Veränderungen im Vergleich zur letzten Erhebung von vor 3 Jahren?
Es gibt keine wirklich auffälligen Veränderungen. Der Anteil der Studierenden, die neben dem Studium jobben, ist leicht zurückgegangen, von 66 auf 63%; das hängt sicher auch damit zusammen, dass es insgesamt weniger Langzeitstudierende gibt, die erfahrungsgemäß intensiv jobben. Dagegen ist der Anteil derjenigen, die angaben, ohne jobben ihr nicht Studium finanzieren zu können, leicht von 56 auf 57% gestiegen.
Die 18. Sozialerhebung zeigt einmal mehr: Die Studienfinanzierung ist eine Mischfinanzierung, und die drei wichtigsten Quellen sind: Eltern, Jobben, BAföG. 90% der Studierenden werden von ihren Eltern finanziell unterstützt, und zwar mit durchschnittlich 448 Euro im Monat. 63% der Studierenden im Erststudium jobben, und mehr als ein Viertel der Studierenden erhält BAföG. Übrigens: Nur 2% der Studierenden erhalten ein Stipendium.
Im bundesweiten Durchschnitt macht die finanzielle Unterstützung der Eltern 52% der monatlichen Einnahmen aus, also mehr als die Hälfte. 24% der Einnahmen stammen im Schnitt aus Erwerbstätigkeit, 14% macht die BAföG-Förderung aus. 10% der Einnahmen stammen aus anderen Quellen.
Interessant ist der Vergleich, wie sich die Elternleistungen und das BAföG über einen längeren Zeitraum entwickelt haben: Die finanziellen Leistungen der Eltern sind seit 1991 kontinuierlich auf heute 52% angestiegen, der Anteil des BAföG an den durchschnittlichen Einnahmen ist im selben Zeitraum aber von 20% auf heute 14% zurückgegangen. Berücksichtigt man den Verbraucherpreisindex, dann haben sich die finanziellen Leistungen der Eltern im Jahr 2006 gegenüber dem Jahr 1991 real um 19% erhöht, während die Leistungen nach dem BAföG um 28% abgenommen haben.
Wie veränderte sich die Lage der Studierenden durch Studiengebühren und die Einführung von Bachelor- und Masterstudiengänge?
Die 18. Sozialerhebung kann zu beiden Punkten noch keine gesicherten Ergebnisse liefern. Die Studierenden wurden im Sommer 2006 befragt; erst zum Wintersemester 2006/2007 führten Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen als erste Bundesländer allgemeine Studiengebühren von 500 Euro im Semester ein.
Stichwort Bachelor/Master: Die Befunde über die Auswirkungen der Studienstrukturreform auf die Lage der Studierenden, und insbesondere auf ihr Zeitbudget und das Jobben, sind zum jetzigen Zeitpunkt empirisch noch zu wenig gesichert. Im Sommersemester 2006 war die Zahl der Bachelor-Studierenden mit 11% aller Studierenden und der Master-Studierenden mit 2% noch vergleichsweise gering. An vielen Hochschulen bestehen neue und alte Studiengänge noch nebeneinander.
Der Studienablauf und der zeitliche Aufwand unterscheidet sich zwischen Studierenden in den neuen Studiengängen und jenen in den alten Diplom- und Magister-Studiengängen bislang kaum.
Wir halten aber die Hypothese aufrecht, dass die Studienstrukturreform das Studium zeitintensiver machen wird. Nach dem wöchentlichen Studienaufwand liegen die – vergleichsweise wenigen – Bachelor-Studierenden mit 36 Stunden die Woche im Sommersemester 2006 schon jetzt an zweiter Stelle, nach dem Staatsexamen und vor dem Diplom (FH).
Wie hat sich die Lage insbesondere für weibliche, ausländische sowie Studierende aus Arbeiterelternhäusern oder mit Kindern verändert?
Zur Lage der ausländischen Studierenden sowie zu Studierenden mit Kind werden wir 2008 Sonderauswertungen vorlegen können, da muss ich um Geduld bitten.
Der Geschlechtsunterschied spielt vor allem bei der Bildungsbeteiligung eine Rolle: In jeder der vier so genannten "sozialen Herkunftsgruppen", die wir für die Sozialerhebung bilden, überwiegt der Männeranteil. Obwohl mehr Frauen als Männer Abitur machen, nehmen Frauen seltener ein Studium auf. Die soziale Selektion im deutschen Bildungssystem ist für Frauen offenbar schärfer als für Männer.
Arbeiterkinder sind an Deutschlands Hochschulen deutlich unterrepräsentiert. Im Vergleich zu ihrem Anteil an der altersspezifischen Bevölkerung von 41% macht ihr Anteil bei den Studienanfängern 2005 insgesamt nur 20% aus. Und: nur 17% der Arbeiterkinder studieren. Zum Vergleich: Die Bildungsbeteiligungsquote von Beamtenkindern, deren Eltern einen Hochschulabschluss haben, beträgt 95%! Kinder aus Beamtenfamilien, in denen mindestens ein Elternteil studiert hat, haben eine fünfeinhalb Mal so hohe Studierchance wie Kinder aus Arbeiterfamilien.
Bei der Verteilung von Bildungschancen gibt es eine soziale Polarisierung, die diametral dem Verfassungsgebot der Chancengleichheit entgegensteht!
Das muss sich ändern. Unsere Sozialerhebung macht deutlich: Die Rekrutierungspotenziale aus den hochschulnahen Bildungsmilieus sind so gut wie ausgeschöpft. Die zusätzlichen Studierenden, die Deutschland dringend braucht, müssen aus den hochschulfernen und einkommensschwächeren Schichten rekrutiert werden.
Wir müssen endlich der ungleichen Verteilung von Bildungschancen in Deutschland entgegenwirken und die extreme soziale Selektivität des Bildungs- und Hochschulsystems überwinden. Wer eine höhere Bildungsbeteiligung will, muss für mehr Chancengleichheit auf dem Weg zur Hochschulbildung sorgen. Mehr Hochschulabsolventinnen und -absolventen gibt es nur über eine soziale Öffnung der Hochschulen.
Sind Ihrer Meinung nach Auswirkungen der seit 2001 ausbleibenden BAföG-Erhöhung feststellbar?
Auch wenn es nicht eindeutig quantifiziert werden kann, so liefert die 18. Sozialerhebung eine Reihe von Indikatoren, die die zentrale Bedeutung des BAföG für mehr Chancengleichheit und damit zur Mobilisierung von Bildungspotenzialen untersteichen:
Die seit Jahren auf sehr niedrigem Niveau stagnierende Bildungsbeteiligung der Arbeiterkinder stieg nach 2000 von 12 % auf 18 %, d.h. um 6 %-Punkte an. Da hat die BAföG-Reform von 2001 sicher eine Trendwende bewirkt.
Fast vier Fünftel (79 %) der BAföG-geförderten Studierenden gaben im Sommersemester 2006 an, ohne das BAföG nicht studieren zu können. Studierende aus der Herkunftsgruppe "niedrig", also aus einkommensschwächeren Familien, sagen dieses sogar zu 87 %; Studierende aus der Herkunftsgruppe "mittel" zu 83 %.
Wie entwickelt sich das Gefälle der Lebenshaltungskosten in unterschiedlichen Städten? Wird es größer oder kleiner?
Das Gefälle der Lebenshaltungskosten können wir mit der Sozialerhebung vor allem für die Mieten zeigen. Im bundesweiten Vergleich bezahlen die Studierenden in München am meisten für die Miete, nämlich 336 Euro im Monat. Berlin liegt mit 282 Euro monatlich an 15. Stelle, Schlusslicht im positiven Sinne ist Chemnitz, wo eine Studentenbude 199 Euro im Monat kostet.
Hinweis von Studis Online: Die Ergebnisse der Sozialerhebung in Bezug auf die Lebenshaltungskosten finden sich im zweiten Abschnitt des Artikels Was kostet ein Studium (im Monat)? Dazu gibt es noch einen Artikel zu den Mietkosten, ebenfalls auf Basis der Daten der Sozialerhebung.
Hat sich die Wohnsituation verändert. also das Angebot an Wohnheimplätzen und sonstigen günstigen Wohnungen für Studierende?
Die studentischen Wohnformen haben sich gegenüber der vorherigen Sozialerhebung von 2003 nicht wesentlich verändert. Der Anteil der WGs ist von 22,1% auf 24,9% angewachsen, das heißt, ein Viertel aller Studierenden lebt in einer WG. Das ist die beliebteste Wohnform. Rund 23% der Studierenden wohnen noch bei ihren Eltern, jeweils 20% allein oder mit Partner bzw. Partnerin in einer Wohnung. Im Wohnheim leben 11% der Studierenden, aber wir erwarten für die kommenden Jahre wegen der jüngeren Bachelor-Studierenden und der geburtenstarken Abi-Jahrgänge, dass die Nachfrage nach Wohnheimplätzen deutlich ansteigen wird.
In einer Pressemitteilung schreiben Sie, im Hochschulpakt 2020 fehlten Mittel für die soziale Infrastruktur. Wie kommt es dazu, was genau meinen Sie?
Mit dem Hochschulpakt wollen Bund und Länder 90.000 zusätzliche Studienplätze bis zum Jahr 2010 schaffen. Sie reagieren damit auf die Prognose, dass die Zahl der Studierenden von heute zwei auf 2,5 bis 2,7 Millionen ansteigen werde; davon geht zumindest die Kultusministerkonferenz aus. Wir als Deutsches Studentenwerk sagen aber: Eine Kalkulation allein in Studienplätzen reicht nicht aus. Die vielen zusätzlichen Studierendenbrauchen schlicht auch ein Dach über dem Kopf, sie brauchen preisgünstiges Essen, Beratung, vielleicht Kinderbetreuung und so weiter. Wir rufen deswegen vor allem den Ländern in Erinnerung, dass sie nicht nur in Studienplätze, sondern eben auch in die soziale und wirtschaftliche Infrastruktur des Studiums investieren müssen. Denn diese ist nachweislich erforderlich für erfolgreichen Studienzugang, Studienverlauf und Studienabschluss. Dazu machen wir konkrete Vorschläge, insbesondere für die Finanzierung der 20.000 zusätzlichen Wohnheimplätze, die die Studentenwerke benötigen.
Wenn man die Einführung von Studiengebühren als Schritt in Richtung Privatisierung der höheren Bildung ansieht, nun: Müssen die Studentenwerke nicht zunehmend fürchten, bald durch private Dienstleister ersetzt zu werden, die dann unsubventioniert auf dem "freien Markt" agieren, was die Kosten für die Studierenden in die Höhe treibt?
Die Hochschulbildung in Deutschland ist und bleibt weiterhin überwiegend öffentlich finanziert. Insofern gilt, was die europäischen Bildungsminister vor wenigen Jahr erklärt haben: Hochschulbildung ist ein öffentliches Gut in öffentlicher Verantwortung. Das gilt auch für den gesetzlich verankerten sozialen Auftrag der Studentenwerke. Die ‚soziale, wirtschaftliche, gesundheitliche und kulturelle Förderung der Studierenden’, wie es in den Gesetzen der Bundesländer heißt, darf ebenso wenig privatisiert werden wie der Bildungsauftrag der Hochschulen.
Ich sage auch klar: Wenn Sie die soziale und wirtschaftliche Infrastruktur des Studium nach rein marktwirtschaftlichen Kriterien organisieren würden, bliebe nur ein winziger Rest übrig. Die Studentenwerke arbeiten professionell und wirtschaftlich wie Unternehmen, aber eben mit dem entscheidenden Unterschied, dass sie gemeinnützig und nicht-profitorientiert sind. Viele Mensa-Standorte zum Beispiel können gar nicht rentabel betrieben werden, weil sie so klein sind. Das geht nur, weil die Studentenwerke solche unrentablen Geschäftsfelder quersubventionieren.
Was täte Ihrer Meinung nach momentan am meisten not? Wenn Sie Studierendenpolitik betrieben: Was täten Sie?
Chancengleichheit muss zum zentralen Thema der deutschen Bildungs- und Hochschulpolitik gemacht werden. Hier sind alle gefordert, die Politik, aber auch die Hochschulen. Das BAföG muss nach sechs Jahren Stillstand endlich erhöht werden. Neben dem Ausbau und der Verbesserung von Lehre und Forschung als Aufgabe der Hochschulen bedarf es als dritter Säule aber auch des Ausbaus der sozialen und wirtschaftlichen Infrastruktur rund ums Studium, damit Studienberechtigte unabhängig von ihrer Herkunft den Weg in die Hochschule betreten und sorgenfrei studieren können. Dies sollte Studierendenpolitik ebenso im Auge haben.
Weitere Infos gibt es unter www.studierendenwerke.de.
Auf der Homepage des Deutschen Studentenwerks ist auch das neue "DSW-Journal" zum kostenlosen Download eingestellt. Mit diesem Magazin will das DSW seine hochschul- und bildungspolitische Sicht darlegen und die Arbeit der Studentenwerke vorstellen.
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