Verwirrende KriterienBefreiung von Studiengebühren
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Wichtiger Hinweis: Dieser Artikel stellt den Stand der Dinge im September 2007 dar und ist insofern nicht mehr aktuell (so gibt es ja in einigen Bundesländern gar keine Studiengebühren mehr). Für die aktuellen Regelungen bitte die Detailartikel durchlesen, die unterhalb des Artikels verlinkt sind.
Befreiung aus sozialen Gründen
Alle Studiengebührengesetze sehen ein "Studienbeitragsdarlehen" vor, dass ermöglichen soll, die Studiengebühren erst nach dem Studium zurück zu zahlen. Es sind – je nach Bundesland – unterschiedlich hohe Einkommensgrenzen vorgesehen, ab denen dann meist ab ein Jahr nach Studienende zurück zu zahlen ist. Ebenso gibt es gewisse Schuldenobergrenzen, überschreitet man diese zusammen mit dem BAföG-Staatsdarlehen, so wird die diese Grenze überschreitende Schuld erlassen. Allerdings sind die Grenzen (außer in Nordrhein-Westfalen) so hoch, dass eine Befreiung nur beim BAföG-Höchstsatz und einem Studium, dass länger als ein Bachelor andauert, wirklich greifen.
Warum diese Vorrede? Die Gewährung des Studienbeitragsdarlehens mit seinen mehr oder weniger "sozialen" Detailregelungen wird im Grunde als "soziale Abfederung" der Studiengebühren angesehen. Deswegen gibt es nur wenige Ausnahmen von der Zahlung von Studiengebühren, da das Darlehen doch ermögliche, dass jedeR sein Studium aufnehmen könne. Dass potentielle Schulden grundsätzlich abschreckend wirken, wird dabei offenbar verkannt.
Trotzdem gibt es aber doch einige Gründe für Befreiungen. Und gerade in der Einführungsphase der Studiengebühren scheinen die Hochschulverwaltungen (die sich letztlich damit herumschlagen müssen) eher großzügig gewesen zu sein. Wobei das im Einzelfall keineswegs so sein muss – es kommt durchaus auch auf den/die BearbeiterIn des Befreiungsantrages an.
Studierende mit Kind
"Problemlos" sollte es – allerdings muss auch das beantragt werden – eine Gebührenbefreiung bei Schwangerschaft und Kindererziehung geben. Wobei hier von Land zu Land oder gar Hochschule zu Hochschule unterschiedliche Altersgrenzen gelten (Alter der Kinder) und teilweise nur eine begrenzte Zahl von Semestern eine Befreiung möglich ist. Auch muss meist nachgewiesen werden, dass nicht etwa der Partner die Kinderbetreuung übernimmt.
Geschwister studieren auch
Familien mit vielen Kindern, die studieren, wird in Baden-Württemberg und Bayern die Studiengebühren zum Teil erlassen. Aber auch hier sind die Unterschiede im Detail drastisch:
In Baden-Württemberg wird erst ab dem dritten Kind von Gebühren befreit und auch nur, wenn die anderen beiden tatsächlich Studiengebühren zahlen oder früher für mindestens sechs Semester gezahlt hatten.
In Bayern dagegen werden alle Geschwister befreit, sofern es für mindestens drei davon Kindergeld gibt (was ja bald in der Regel nur noch bis zum 25. Lebensjahr der Fall ist).
Mit dem Argument, es könne doch auf das Studienbeitragsdarlehen zurückgegriffen werden, befreien die meisten Länder in den genannten Fällen nicht. Die Rückzahlung wird damit dem einzelnen Studierenden aufgelastet – die Familie ist dann ja eigentlich aus dem Spiel.
Behinderung
Hierzu gibt es in allen Bundesländern Befreiungstatbestände. Meist wird eine Befreiung davon abhängig gemacht, dass sich die Behinderung "erheblich studienerschwerend" auswirkt.
Besondere Härten
In allen Gesetzen findet sich auch noch ein Passus, der eine Befreiung in besonderen Härtefällen vorsieht. Was das genau ist, wird nicht definiert (Sinn dieses Passus ist es meist gerade, für "Unvorhergesehenes" eine Ausnahmemöglichkeit zu geben, ohne dass das Gesetz gleich neu beschlossen werden muss). Allerdings sind die Hürden hoch, da meist darauf verwiesen wird, dass es ja das Studienbeitragsdarlehen gibt. Von daher dürfte "einfache" finanzielle Bedürftigkeit meist nicht genügen.
Befreiung während Urlaubssemesters, Praktikums und in weiteren Fällen, in denen nicht an der Hochschule studiert wird
Recht einheitlich sind die Befreiungstatbestände für die Fälle, bei denen die Studierenden sich faktisch nicht an der Hochschule befinden. Insbesondere bei Urlaubssemester, Auslandssemester (dass in der Studienordnung vorgesehen ist – andernfalls muss man wohl auf ein Urlaubssemester zurückgreifen), Praktikum (allerdings meist nur, sofern das Praktikum das ganze oder fast das ganze Semester andauert!), praktischem Jahr (bei Medizin) oder Referendariat (Jura / Lehramt) muss somit nicht gezahlt werden. Dies sollte auch "automatisch" ohne besonderen Antrag geschehen.
Auch Promotionsstudierende werden in der Regel von Studiengebühren ausgenommen, teilweise jedoch nur für höchstens drei Jahre und mit weiteren Einschränkungen.
Nur in einzelnen Bundesländern
Einige Regelungen finden sich nur in einem oder zwei Bundesländern. Allerdings mag man anderswo auf besonderen Antrag und über die überall vorhandene Härtefallregelung auch befreit werden. Wobei eine explizite Erwähnung im Gesetz natürlich sicherer ist.
Nur im Saarland werden LeistungssportlerInnen ("A-Kader"), "herrausragende Nachwuchsmusiker" sowie "KünstlerInnen, die Träger eines nationalen Kunstpreises sind" explizit von den Gebühren ausgenommen. Wobei diese in anderen Ländern vermutlich unter den im folgenden Absatz genannten Punkt fallen könnten ...
In Hessen und Niedersachsen wird die Pflege von pflegebedürftigen Angehörigen mit Gebührenbefreiung "belohnt".
Schwieriger wird es bei Engagement in Gremien der Hochschulen (Fakultätsrat, Senat etc.). Befreiungen hierfür sieht grundsätzlich das Gesetz in Nordrhein-Westfalen vor (Details muss aber die Hochschule regeln). Allerdings sollte man auch anderswo nachfragen, die Möglichkeit besteht zumindest theoretisch schon (Engagement kann ja auch als "besondere Leistung" gewürdigt werden - siehe den nächsten Abschnitt ...).
In Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen wird das Amt des/der Gleichstellungsbeauftragen (das aber wohl selten von Studierenden übernommen wird ...) als Befreiungsgrund genannt.
Eine schwere Krankheit wird nur in Nordrhein-Westfalen explizit als Grund für eine Befreiung genannt.
Befreiung wegen hohem IQ oder Hochbegabung
In den letzten Tagen war in vielen Medien davon zu lesen, dass an einigen Hochschulen Studierende mit hohem IQ von den Studiengebühren befreit werden können. Daneben gibt es an vielen Hochschulen die Möglichkeit, befreit zu werden, wenn man ein Stipendium eines Begabtenförderungswerkes bekommt. An manchen Hochschulen wird weniger auf die vergangenen Leistungen oder einen IQ-Test (der an sich wenig über die Begabung für ein konkretes Studienfach aussagt) geschaut, sondern die nach irgend einem Kriterium "besten Studierenden" befreit.
All diese Regelungen gehen darauf zurück, dass fast alle Bundesländer den Hochschulen die Möglichkeit zu Befreiungen in einem gewissen Rahmen gegeben haben, vor allem aber abzielend auf "Hochbegabte". Je nach Bundesland wird die Befreiungsmöglichkeit wegen "guter Leistungen" für bis zu 10% der Studierenden vorgesehen (wobei die Hochschulen diese Quote nicht voll ausnutzen müssen).
Man kann sich allerdings fragen, warum ausgerechnet diejenigen, die sowieso schon "gut" sind (wie auch immer das nun genau definiert wird), auch noch von Gebühren befreit werden müssen. Wenn das "gut" sein so stimmt, werden sie ihren Weg auch ohne Gebührenbefreiung gehen können, können schneller studieren (und so theoretisch auch mehr jobben). So spricht Elitenforscher Michael Hartmann in einem Beitrag für "jetzt.de" davon, dass "(m)it diesem System in erster Linie diejenigen unterstützt (werden), die einer Unterstützung am wenigsten bedürfen."
Es ist mit einem ähnlichen Effekt zu rechnen, den man schon bei Stipendien vorfinden kann (Studis Online berichtete dazu unter dem Titel "Nicht Lösung, sondern Teil des Problems"). Gefördert werden überproportional viele Studierende aus wohlhabenden Elternhäusern, d.h. bei an sich gleicher Begabung hat ein Studierender aus einem "armen Elternhaus" weniger Chancen auf ein Stipendium.
Wobei natürlich jedeR seine Befreiungsmöglichkeiten nutzen sollte. Aber vielleicht auch darüber nachdenken, wie er/sie denen helfen kann, die davon nicht profitieren ...
In Freiburg (eine der Unis, die einen IQ von mindestens 130 als Befreiungsgrund ansieht) wurden im letzten Semester übrigens ganze 22 Studierende aus diesem Grund befreit.
Langfristig dürften die meisten Hochschulen trotz aller Kritik vermutlich die besten 5-10% der jeweiligen Jahrgänge (entweder nach Abinote oder später nach Noten im Studium) befreien. Wobei auch hier gelten dürfte: Selbst bewerben könnte helfen ...
Warum in den letzten Semestern eher viele befreit wurden
Auch wenn es weiterhin viele Einzelschicksale geben dürfte, die keine Befreiung erhalten haben und vieles, um das viel geredet wurde (z.B. die Befreiung bei hohem IQ), wenig Bedeutung hatte – am Ende sind in den letzten Semestern doch eher mehr Studierende befreit worden, als die meisten ursprünglich angenommen haben.
Die Wissenschaftsministerien haben im Zuge der Einführung der Studiengebühren immer betont, dass durch die Einnahmen doch so viel an den Hochschulen verbessert werden könne. Dabei haben sie vermutlich die möglichen Einnahmen eher hoch angesetzt. Insofern ist es kein Wunder, dass nun weniger zustande kommt. Nicht berücksichtigt ist bei alldem auch noch gar nicht der Verwaltungsaufwand für die Erhebung der Gebühren.
Die Hochschulverwaltungen dürften darüber hinaus beim ersten Mal teilweise großzügiger mit Befreiungen umgegangen sein. Gerade an Hochschulen, an denen der Protest gegen die Gebühren groß war, konnten so ein wenig die Luft aus Protesten nehmen. Wer selbst nicht zahlen muss, wird sich wohl nicht mehr so stark gegen Gebühren einsetzen – er oder sie ist ja nicht selbst betroffen.
Insofern dürfte es in Zukunft eher zu weniger Befreiungen kommen. Auch das kann man als Salamitaktik bezeichnen. So wie vor Studiengebühren erst einmal Verwaltungskostenbeiträge kamen, werden auch die Studiengebühren erst einmal mit eher vielen Befreiungen eingeführt, später kann man dann härter entscheiden.
Die Befreiungsmöglichkeiten in den einzelnen Ländern im Detail
Hintergrund-Informationen zum Thema Studiengebühren