InterviewImmer Ärger mit dem BAföG(-Amt)?
Oliver Iost (Studis Online): Oft wird darüber geklagt, dass die Bearbeitung der BAföG-Anträge zu lange dauert. Gibt es Statistiken darüber, wie schnell "durchschnittliche" Anträge bearbeitet werden? Und was kann ein Antragsteller tun, wenn es doch länger dauert?
Achim Meyer auf der Heyde, Generalsekretär des DSW
(Foto: DSW)
Meyer auf der Heyde: Die Bearbeitungsdauer wird statistisch nicht erhoben. Zudem würde die Dauer unterschiedlich bewertet: Studierende rechnen ab Antragseingang, die BAföG-Ämter erst ab Vollständigkeit des Antrags. Regelfälle können schnell erledigt werden, aber Anträge mit Fachrichtungswechsel, Ausnahmen von der Altersgrenze usw. sind schwieriger zu bearbeiten. Ein vollständiger Antrag wird in der Regel in vier bis sechs Wochen bearbeitet.
Die Studierenden sollten sicherstellen, dass ihr Antrag vollständig ist. Was dazugehört, steht im Antrag und den Erläuterungen. Ein Tipp: Lieber noch einmal die Vollständigkeit kurz vor Ort prüfen lassen.
Gelegentlich hört man, dass das BAföG-Amt X "strenger" sei, als das Amt in Y. Das BAföG ist jedoch ein Bundesgesetz, also bundesweit einheitlich. Trotzdem gibt es sicherlich Details, zu denen es keine ganz konkrete Vorschrift gibt und Interpretationsspielraum offen ist (vor allem direkt nach Gesetzesänderungen). Wie geht ein BAföG-Sachbearbeiter in solchen Zweifelsfällen vor? Kommt es dadurch zu zeitlichen Verzögerungen?
Das BAföG ist ein Bundesgesetz, es wird aber von den Ländern vollzogen. Insofern gelten neben dem Bundesgesetz, diversen Verordnungen und Verwaltungsvorschriften auch die von den jeweiligen Landeswissenschaftsministerien als Oberste Landesbehörden verabschiedete Erlasse. Durch den Föderalismus ist nicht ausgeschlossen, dass es dadurch zu unterschiedlichen Ausprägungen in den Bundesländern kommt. Und letztlich können unterschiedliche Verwaltungsabläufe vor Ort in jedem Studentenwerk eine Rolle spielen.
Nach Gesetzesänderung werden Auslegungsrundschreiben veröffentlicht und unsere Sachbearbeiterinnen und Sachbearbeiter kurz vor dem Inkrafttreten vor Ort darauf vorbereitet. Zeitliche Verzögerungen entstehen dadurch in der Regel nicht. Sie können allerdings vorkommen, wenn besonders viele Studierende Einzelheiten nachfragen und so die Beratungszeit zu Lasten der Bearbeitungszeit erhöhen.
Wie kommt man schließlich zu einer bundesweit einheitlichen Verfahrensweise? Was ist mit den Fällen, die zwischenzeitlich schon anders entschieden wurden?
Alle 500.000 BAföG-geförderten Studierenden im Jahr dürften sich individuell in ihren Lebenslagen unterscheiden. Sehr viel Einheitlichkeit ist da von vorneherein nicht zu erwarten.
Zu bedeutsamen Entscheidungen finden sich Erlasse von Bundes- und Landesministerien. Gerichtsentscheidungen sind allerdings Einzelfallentscheidungen. Im Regelfall gibt es deshalb keine Rückwirkung auf Fälle, bei denen kein Widerspruch bzw. keine Klage anhängig ist. Eine mögliche Rückwirkung klären Bund und Länder per Erlass.
Was können Studierende tun, die mit Entscheidungen des BAföG-Amtes nicht einverstanden sind?
Zuerst einmal mit Kommunikation beginnen: miteinander Reden, nachfragen, zuhören. Vielleicht mit anderen Verantwortlichen im BAföG-Amt reden. Erst zuletzt die juristischen Mittel ergreifen: Widerspruch, dann Klage. Darüber klärt die Rechtsbehelfsbelehrung in jedem Bescheid auf. Im übrigen sehen die Studentenwerke Widersprüche und Klagen nicht persönlich. Wo Studentenwerke nach der Überprüfung können, helfen sie dem Widerspruch ab, das heißt die Studierenden erhalten Recht. Manchmal eröffnet eine Klage auch eine größere Chance, dass dies zum Anlass genommen wird, dass der Gesetzgeber das BAföG ändert.
Gelegentlich scheinen BAföG-Antragsteller/in und Bearbeiter/in im BAföG-Amt grundsätzlich nicht miteinander klar zu kommen. Kann man seinen Bearbeiter/in "wechseln"? An wen kann man sich sonst wenden, wenn man den Eindruck hat, dass keine vernünftige Kommunikation möglich ist?
Zum Berufsbild unserer Bearbeiterinnen und Bearbeiter gehört, professionell zu handeln. Trotzdem können - wie überall - Kommunikationsfehler auftauchen. Wie überall im Leben gilt: "Wie in den Wald hineingerufen wird, so schallt es heraus". Bei uns kann sich jeder an Hauptsachbearbeiter bzw. Gruppenleiter, dann an die Abteilungsleitung und schließlich an die Geschäftsführung des Studentenwerks wenden.
Für eine schnelle und trotzdem korrekte Bearbeitung der Anträge müssen genug Mitarbeiter/innen zur Verfügung stehen. Die Studentenwerke mussten in den letzten Jahren aber an vielen Stellen mit Kürzungen leben. Betraf das auch die personelle Ausstattung der BAföG-Ämter und welche Auswirkungen hatte das?
Nach den BAföG-Verbesserungen im Jahr 2001 und der begleitenden BAföG-Kampagne stieg die Zahl der Studierwilligen, für die das BAföG interessant war, beträchtlich. Die Studentenwerke mussten zum Teil erheblich mehr Anträge bei gleichem Personalstand erledigen.
Derzeit steigt das Interesse am BAföG - trotz fehlender Anpassung -, weil Studiengebühren die Kosten eines Studiums verteuern. Die Studierenden wollen Kredite möglichst vermeiden. Auch die Stiftung Warentest sagt: BAföG ist die beste Art der Studienfinanzierung. Insofern wird der Beratungsaufwand immer höher, auch wenn sich das nicht in den absoluten Gefördertenzahlen wiederspiegelt.
Wie viele Anträge bearbeitet eigentlich ein/e Sachbearbeiter/in im Jahr?
Ab 500 Anträge pro Jahr aufwärts. Die Bearbeitungszahl hängt vom Bundesland ab. In der Tat werden aber nur die Anträge gezählt, obwohl die Beratung in der Praxis eine immer größere Rolle spielt. Einige Bundesländer zahlen pro Fall eine Pauschale, die aber nach wenigen Jahren bereits geringer ausfällt. Damit muss das Studentenwerk klarkommen.
Ein Grund für manchen Frust der Antragsteller/innen dürfte in der Komplexität des BAföG-Gesetzes liegen, die sowohl die Antragstellung als auch das Verstehen des Bescheides nicht gerade einfach macht. Was tun die Studentenwerke für eine Vereinfachung der Regelungen? Ist ein "kommentierter" Bescheid denkbar, der mehr als heute das Ergebnis erläutert?
Es ist ja nicht so, dass jedes Studentenwerk seine eigenen BAföG-Anträge gestaltet. Die BAföG-Anträge sind eins zu eins in der BAföG-Formblattverordnung vorgegeben. Den Studentenwerken gehen die Verwaltungsvereinfachungen aus dem Jahr 2001 jedoch nicht weit genug. Wir fordern weitere Maßnahmen zur Verwaltungsvereinfachung, weil Studierende ein einfaches, transparentes BAföG brauchen. Dann würde den Studentenwerken auch mehr Zeit für die Beratung zur Verfügung stehen - vorausgesetzt, die Länder erkennen bei der Personalbemessung der Studentenwerke Beratung als notwendige Leistung an.
Ein anderer Grund für Frust dürfte darin bestehen, dass die Bedarfssätze des BAföGs seit Jahren nicht mehr angepasst wurden und so bei vielen enttäuschend wenig oder gar kein BAföG gewährt wird. Was fordern die Studentenwerke in Bezug auf BAföG-Anpassungen?
Die Studentenwerke hatten bereits ein Jahr nach den BAföG-Verbesserungen weitere Verbesserungen gefordert. Inzwischen sind die Bedarfssätze 48 Euro weniger wert, die Elternfreibeträge von deren Einkommen 125 Euro weniger wert. Beide Parameter zusammen führen dazu, dass nun die Zahl der BAföG-Empfänger sinkt. Die aus den 1980er wohlbekannte BAföG-Talfahrt beginnt vielleicht wieder!
Das für das BAföG verantwortliche Bundesministerium für Bildung und Forschung lässt sich durch seinen Beirat für Ausbildungsförderung beraten. Dieser hat errechnet, dass die BAföG-Freibeträge zum Herbst 2007 um 8,7 % und die BAföG-Bedarfssätze um 10,3 % angehoben werden müssten, um überhaupt das BAföG-Niveau von 2001 zu erreichen. Diese Forderung unterstützen wir nachdrücklich!
Es rühmt eine Bundesregierung nicht, sich in Fragen der Bildung beratungsresistent zu erweisen, denn Bildung ist Investition in den Wirtschaftsstandort. Dieser Zusammenhang ist offensichtlich noch nicht begriffen, sonst würden nicht so häufig Bildungsinvestitionen zugunsten einer abstrakten Haushaltskonsolidierung geopfert.
Auch wenn das Amt formal alles richtig gemacht hat und das Ergebnis bestens erläutert, mag das finanzielle Ergebnis des BAföG-Antrags für den Antragsteller wenig erfreulich sein. "Schuld" ist dann offenbar das Gesetz. An wen kann man sich mit Vorschlägen zu Gesetzesänderungen wenden?
Sie können Vorschläge zu Gesetzesänderungen an unterschiedliche Stellen richten, zum Beispiel an:
Ihren Wahlkreisabgeordneten - wer gewählt ist, sollte sich für die Belange der Menschen im Wahlkreis einsetzen,
den "freien zusammenschluss von studentInnenschaften" (fzs) - dem Zusammenschluss von ASten/Sturas - in Berlin,
das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) als Oberste Bundesbehörde für Ausbildungsförderung in Berlin,
den Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung im Deutschen Bundestag,
zur Abhilfe in konkreten Fällen an den Petitionsausschuss des jeweiligen Landtages oder des Deutschen Bundestages.
Zum Abschluss: Wie sieht das BAföG in 10 Jahren aus? Was wäre Ihr Wunsch und was sind Ihre Befürchtungen?
"Einfach, Besser, Mehr" - dieses Motto der BAföG-Kampagne 2001 drückt auch unsere Erwartungen aus: Verwaltungsvereinfachung und Transparenz, ein stetig an Einkommen und Preise gekoppeltes BAföG, damit mehr Studierende bis in die untere Mittelschicht hinein BAföG erhalten. Das ist nicht nur unser Wunsch, sondern unsere politische Forderung.
Das BAföG hat zwei Ziele, die erreicht werden sollen: Zum einen die Sicherung der Chancengleichheit, dass Geeignete unabhängig vom Geldbeutel der Eltern studieren können. Zum anderen die Mobilisierung von Begabungsreserven. Die aktuelle Debatte um den Fachkräftemangel, der Deutschland nach aktuellen Schätzungen 20 Milliarden Euro Wertschöpfungsverlust kostet, zeigt, wie wichtig das ist.
Die Befürchtung wäre, dass das BAföG besteht, aber es einfach so bleibt, wie es ist. Dann trocknet das BAföG finanziell aus, es könnten immer weniger Studierwillige gefördert werden. Auf diesem Weg sind wir, wenn keine ausreichende und rasche BAföG-Anhebung kommt.
Vielen Dank für das Gespräch!