Eurostudent IIISoziale und wirtschaftliche Lage der Studierenden in Europa (Teil 1)
Eurostudent III
Betrachtet werden im Bericht Eurostudent III (2005-2008) insgesamt 23 Länder. Dabei handelt es sich vor allem um EU-Mitglieder, darüber hinaus wurden noch Norwegen, die Schweiz und die Türkei betrachtet. Die Daten zur sozialen und wirtschaftlichen Lage der Studierenden in den einzelnen Ländern wurden von Hochschulen und staatlichen Institutionen erhoben und vom Hochschul Informations System (HIS) zusammengestellt. Für jedes Land liegt auch ein eigene, ausführlichere Auswertung vor.
Grundsätzlich sei vorausgeschickt, dass eine vergleichende Studie über Ländergrenzen hinaus gar nicht so einfach ist. Denn noch gibt es keine zentrale, einheitliche Erhebung der notwendigen Daten. In einigen Ländern werden die Daten durch Telefoninterviews gewonnen, anderswo schriftliche Befragungen durchgeführt oder Studierende am Campus angesprochen. Nicht alle Aspekte sind in allen Ländern einheitlich definiert (so z.B. bezüglich der sozialen Herkunft). Teilweise könnten auch nur Teilgruppen von Studierenden untersucht worden sein oder durch die Art der Befragung gewisse Gruppen unter- bzw. überrepräsentiert sein. Auch bei einzelnen Ländern ergeben sich offenbar von Studie zu Studie größere Unterschiede (siehe z.B. im Abschnitt Soziale Herkunft nicht einfach zu ermitteln) – vermutlich weil auch einzelne Länder ihre Erhebungen verändern. Trotzdem lassen sich einige interessante Punkte erkennen.
Soziale Herkunft und Hochschulstudium: Weiterhin ein Armutszeugnis für Deutschland
35% der Altersgruppe von Männern zwischen 40 und 60 ist in Deutschland laut Eurostudent III zur Arbeiterklasse zu zählen. Würde dieser Aspekt keinen Einfluß haben, müssten auch ungefähr 35% der Väter von Studierenden aus der Arbeiterklasse stammen. Es sind aber nur 20,3% - eine Verhältnis von 0,58.
Drei Jahre zuvor lag das Verhältnis sogar noch bei ungefähr 0,4 (37% Arbeiter unter den 40 bis 60 Jährigen; 16% Studierende mit Vater, der als Arbeiter einzustufen ist). In der letzten Sozialerhebung des HIS (die teilweise als Quelle für den deutschen Eurostudent-Teil verwendet wird) sah das Verhältnis übrigens noch schlechter aus – allerdings wurde dort möglicherweise etwas anders gezählt (vor allem nur StudienanfängerInnen). Da ein Teil der Daten auf Schätzungen beruht und auch die Zuordnung "Arbeiter" nicht so einfach ist, sind diese Daten immer mit etwas Vorsicht zu genießen.
Soziale Herkunft nicht einfach zu ermitteln
Erstaunlich übrigens die "Veränderung" in Spanien. Hieß es noch im Bericht von 2005 dass ein Verhältnis von 0,9 erreicht wurde (45% der Männer zwischen 40 und 60 seien aus der Arbeiterklasse, 40% der Studierenden-Väter ebenso), was ja sehr positiv wäre, sieht es in der aktuellen Studie ganz anders aus. Und zwar so drastisch, dass man sich fragen muss, ob nicht auch manch andere Daten falsch waren (oder sind).
55% der Männer werden nun der Kategorie "blue-collar occupation" (die Gruppe der Beschäftigten, die weniger anspruchsvolle Tätigkeiten ausführt und einen verhältnismäßig geringen Lohn erhält) zugeordnet, die in der Studie nun mehr an stelle von "blue-collar worker" getreten ist und etwas umfassender zu verstehen ist als das klassische "Arbeiterklasse" (für Deutschland wurde weiterhin eher letzteres erhoben). Doch nur noch 20,2% der Studierenden haben einen Vater, der dieser Kategorie zuzuordnen wäre - nun mehr wird ein sehr schlechtes Verhältnis von 0,37 erreicht. Schlechter ist dieser Wert nur in Bulgarien (0,27) und Littauen (0,33). Siehe auch Grafik 1.
Quelle der Daten: Eurostudent III
Welche Länder am wenigsten sozial selektiv sind
Am positivsten steht Finnland da, dort wird ein Verhältnis von 0,92 erreicht. Das heißt, dort ist die Wahrscheinlichkeit, als Kind aus einer eher "ärmeren" Familie ein Studium aufzunehmen, fast genau so hoch, wie beim klassischen Bildungsbürgertum. Auch in Bezug auf die Bildungsbeteiligung Studierender aus hochschulfernen Familien ist Finnland in der Spitzengruppe zu finden.
Gute Werte im Hinblick auf die soziale Zusammensetzung der Studierenden nach Bildungshintergrund und beruflicher Position der Eltern weisen – neben Finnland – die Niederlande und Schottland auf.
Betrachtet man die Bildungsbeteiligung Studierender aus hochschulfernen Familien, so sind noch die Niederlanden, Spanien, der Schweiz und Irland poitiv hervorzuheben.
Schulabschluss der Eltern in Deutschland hat offenbar starken Einfluss
Deutlich schlechtere Werte erzielt Deutschland übrigens, wenn nur Väter mit niedrigem Schulabschluss (niedriger Sekundärabschluss oder weniger) betrachtet werden. Nur 4,8% der Studierenden haben einen solchen Vater, betrachtet man aber die Altersgruppe der 40 bis 60 Jährigen, so sind es dort 12%, d.h. hier gibt es ein schlechtes Verhältnis von 0,4. Andere Länder erreichen hier sogar Verhältnisse von über 1 (d.h. es studieren mehr Kinder von solchen Vätern als Kinder anders gebildeter Väter). Allerdings geht das Verhältnis sogar bis auf 0,08 herunter (erneut Bulgarien, in dem die soziale Herkunft und der Bildungsstand der Eltern offenbar europaweit die stärkste Rolle spielt).
Nicht nur deutsche Studierende "alt"
Immer wieder hört man klagen, die Studierenden in Deutschland seien "zu alt". Ein Argument für die Einführung des acht-jährigen Gymnasiums ("G8") ist gerade, "jüngere" Studierende (und vor allem Studien-AbsolventInnen) zu erzeugen. Da die Umstellung auf G8 in den meisten Bundesländern noch im Gange ist, sind Effekte daraus noch nicht zu erkennen.
Selbst die Umstellung auf Bachelor/Master-Studiengänge hat hier noch keine Effekte gezeigt. Wobei letzteres ja nur eine "positive" (wenn man es denn als positiv ansieht, jüngere AbsolventInnen zu haben) Wirkung haben kann, wenn viele Studierende nach dem Bachelor-Abschluss die Hochschulen endgültig verlassen. Machen sie dagegen mit dem Master weiter, dürfte der Altersschnitt im Grunde gleich bleiben. Oder sogar steigen, wenn viele zwischen Bachelor und Master erst noch einige Jahre Beruf einlegen (so z.B. in Großbritannien zu sehen).
In Deutschland jedenfalls lag das Durchschnittsalter bei 24,6 Jahren (in der letzten Studie vor drei Jahren waren 24,4 Jahre, also sogar leicht jüngere Studierende). In anderen Ländern ist das Durchschnittsalter aber sogar deutlicher gestiegen – so z.B. in Finnland von 24,6 auf nun 25,4 oder in Spanien von 22,9 auf 24,5. "Spitzenreiter" bleiben England/Wales mit einem Durchschnittsalter von 26,3 (vor drei Jahren sogar 28) Jahren.
Insgesamt liegt Deutschland also durchaus im Rahmen dessen, was anderswo üblich ist. Siehe auch Grafik 2.
Quelle der Daten: Eurostudent III
Nur die Türkei hat einen geringeren Frauenanteil unter Studierenden als Deutschland
Unter den AbiturientInnen sind in Deutschland schon deutlich mehr als 50% Frauen, bei den Studierenden sind die Frauen jedoch weiterhin in der Minderheit (48,4%). Von den 22 analysierten Ländern sind (inkl. Deutschland) nur in vieren die Frauen in der Minderheit, so in der Schweiz (49,3%), der Slowakischen Republik (48,3%) und mit dem geringsten Frauenanteil die Türkei (46,5%).
Alle anderen Länder haben unter den Studierenden Frauenanteile von über 50%, am höchsten ist der Anteil in Lettland mit 65,7%. Aber auch große Länder wie England/Wales mit 56,8%, Frankreich mit 58,1% oder Italien mit 56,2% weisen viel höhere Frauenanteile als Deutschland auf. Diese und weitere Länder in der Übersicht siehe Grafik 3.
Quelle der Daten: Eurostudent III
Quellen und weiteres zum Thema