Wunschträume und ZerrbilderStipendien für 10% der Studierenden?
Schön wäre es ja: Ein Geldregen für alle Studierende. Leider geht es aber nur um 10% – und selbst ob das erreicht wird, ist noch die Frage
Das Stipendienmodell entspricht genau dem, was schon FDP-"Innovations"minister Pinkwart in Nordrhein-Westfalen gestartet hat. Er hatte das Modell bereits in der Gemeinsame Wissenschaftskonferenz von Bund und Ländern (GWK) vorgestellt und war dort gescheitert. Nun also will er es direkt über den Bund in ganz Deutschland etablieren. Was auch noch scheitern kann – es ist noch umstritten, ob die Zustimmung des Bundesrates reicht oder ob im Grunde alle Länder zustimmen müssen (und zumindest aus SPD-regierten Ländern kam schon Ablehnung).
Das Modell sieht vor, dass mittelfristig für 10% der Studierenden jeder Hochschule Mittel für ein Stipendium in Höhe von 300 Euro im Monat zur Verfügung stehen. Das Geld soll nur nach "Leistungskriterien" vergeben und (daran wird wohl noch gefeilt) beim BAföG nicht angerechnet werden. Die Hälfte des Geldes kommt von Bund und Land, die andere Hälfte soll die Wirtschaft bereitstellen. Um die Einwerbung des Geldes müssen sich die Hochschulen selbst kümmern. Der Anteil von Bund und Land fließt nur, wenn es der jeweiligen Hochschule gelungen ist, Gelder der Wirtschaft zu aktivieren.
Viel Geld – theoretisch
Hier ist schon der erste Stolperstein im Modell: Es ist kaum zu erwarten, dass nun plötzlich Unternehmen Massen von Geld ausschütten. Niemand hatte sie auch heute schon daran gehindert, Stipendien zu vergeben, trotzdem wurde das nur in verschwindend geringem Anteil getan. Die bisherige Quote von ca. 2% durch Stipendien geförderte Studierende ergibt sich vor allem durch Stipendien der großen Organisationen, die alle auch am Geldtropf des Staates hängen. Direkt von der Wirtschaft kommen nur wenige Gelder.
Es wäre also kein großes Wunder, wenn Bund und Länder gar nicht so viel Geld ausgeben müssen, wie aktuell angekündigt wird. Denn solange aus der Wirtschaft und von Privat zu wenig kommt, müssen auch Bund und Länder weniger zugeben. Es gibt eigentlich keinen Grund zur Annahme, warum nun Wirtschaft und Private plötzlich ihre Füllhörner ausgießen sollte. Aufrufe (oder gar Ankündigungen) zu mehr finanzieller Beteiligung gibt es seit Jahren – eingelöst wurden sie bisher praktisch nicht.
Erste Erfahrungen aus Nordrhein-Westfalen
In Nordrhein-Westfalen ist das landeseigene Programm nach dem genannten Modell zum laufenden Wintersemester gestartet. Das Land hatte zunächst 1200 "Stipendienhälften" zur Verfügung gestellt und schließlich noch um 200 auf 1400 aufgestockt. Diese wurden auf alle Hochschulen anteilig nach deren Anteil an Studienanfängern aufgeteilt und wurden auch vollständig abgerufen. In dieser Höhe konnten also tatsächlich nichtstaatliche Gelder aktiviert werden und das an allen Hochschulen, egal in welcher Region und mit welchem Fächerangebot. Die RWTH Aachen bspw. hatte tatsächlich am meisten Studienanfänger und auch nur deswegen am meisten Stipendien im Angebot. Bezogen auf alle Studierende in NRW (und an alle richtet sich das Stipendium) handelt es sich aber aktuell nur um ca. 0,3%, also weit vom 10%-Ziel entfernt. Für manchen mag es aber schon überraschend sein, dass überhaupt so viele Spender erreicht werden konnten.
Offen bleibt, ob es auch bei mehr Stipendien (und als Ziel geht es ja um ca. 30mal so viele!) wirklich allen Hochschulen gelingen kann, genügend Spender zu aktivieren, um die Staatsanteile wirklich abrufen zu können. Der Aufwand dafür könnte doch beträchtlich steigen – und für das Einwerben bekommen die Hochschulen keinen Cent, müssen also sehen, wo sie die Mitarbeiter dafür hernehmen. Eingeworben muss das Geld mehr oder weniger jährlich neu, länger müssen sich die Spender nicht verpflichten. Nur das Land hat für die aktuellen Zuschüsse eine Zusagen für 4 Jahre gegeben (aber auch die hängt ja daran, dass jeweils Spender die andere Hälfte geben).
Interessant ist die Zusammensetzung der Spender: 43% Stiftungen und Vereine, 38% Wirtschaftsunternehmen, 17,5% Privatpersonen und 1,5% Banken und Sparkassen. Möglicherweise kommt es also (das ist zunächst aber spekulativ) auch zu einer Umverlagerung bisheriger, nicht an dieses Programm gebundene Stipendien von Stiftungen in das neue Programm – so nach dem Motto, da können wir immer noch die Bedingungen diktieren und zusätzlich gibt der Staat noch etwas drauf. Dass sich Wirtschaftsunternehmen direkt beteiligen (wie ja immer vorgesehen) ist dagegen offenbar gar nicht so üblich.
Die Aufteilung der Stipendien auf Fächergruppen ist einerseits wie zu erwarten einseitig: 27% gehen in die Rechts-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, 21% in die Ingenieurwissenschaften, 8% in Mathematik und Naturwissenschaften, 5% in Medizin und nur je 0,5% in Kunst- und Kunstwisseschaften bzw. Sprach- und Kulturwissenschaften. Andererseits stehen immerhin 38% ohne Fachbindung zur Verfügung.
Wirkliche Schlüsse lassen sich daraus bisher nur begrenzt ziehen. Im Pinzip in keine Richtung. Weder ist bei der bisher geringen Zahl von Stipendien gesagt, dass sich wirklich genug Geldgeber erreichen lassen, um 10% ALLER Studierenden zu fördern. Die Befürchtung der Ungleichverteilung zwischen den Fachbereichen kann bleiben – ohne bisher bestätigt zu werden: Denn dass auch bei stärkerem Einwerbedruck so viele Spender keine Fachbindung vorgeben, kann bezweifelt werden. Und wer eine vorgibt, verhält sich so, wie schon befürchtet.
Quelle: Auskunft des Pressereferats des Innovationsministeriums, Stand der Zahlen zur Zusammensetzung der Spender und der geförderten Fächer: 12.10.2009
Viel Arbeit – schön versteckt
Soll das Programm funktionieren, müssen sich die Hochschulen auf die Suche nach Geldgebern machen. Das kostet Zeit und Geld – das aber zunächst einmal nirgendwo auftaucht. Wo sollen die Hochschulen die MitarbeiterInnen für die Stipendienaquise hernehmen? Wo die MitarbeiterInnen, die das Auswahlverfahren begleiten und die Auswahl schließlich treffen? Wo wird dieser Aufwand an anderer Stelle wohl eingespart werden? Auch für Bund und Länder wird ein gewisser Aufwand entstehen, der noch unbezifferbar ist. Durchaus ein weiterer Stolperstein.
Schließlich müssen auch die beteiligten Unternehmen etwas mehr tun, als nur Geld zu geben. Denn die Idee ist gerade, dass sie ihre eigenen Auswahlkriterien mit ins Auswahlverfahren einfließen lassen.
Und der Nutzen?
Die Stipendien folgen dem Slogan "Leistung muss sich wieder lohnen". Als wenn Leistung nicht sowieso positive Folgen hat (spätestens bei der Jobsuche). Davon ganz abgesehen: Insbesondere die Behauptung, durch mehr Stipendien würden auch mehr Menschen für ein Studium interessiert, erscheint eher zweifelhaft.
Kinder aus finanzstarken Familienhäuser studieren schon heute in sehr hohem Maße, für sie ist das Stipendium ein "Nice-to-have", aber sicher kein Grund, ein Studium zu beginnen oder zu lassen. Für diejenigen aus finanzschwachen (oder jedenfalls finanziell wackligen) Familien ist die Aussicht auf ein Stipendium zwar schön, aber keine Sicherheit. Auch beim BAföG mag es nicht immer einfach zu sein, vorher zu sagen, ob es welches geben wird. Aber bei Stipendien ist das noch viel weniger vorauszusehen – wer weiss schon, ob er durch die Auswahlverfahren kommt.
Überhaupt scheinen Stipendien eine soziale Schieflage zu haben. Will sagen: Studierende aus finanzstarken Familien haben größere Chancen darauf. Das zeigte zuletzt (schon vorher gab es dazu Studien, die allerdings nicht so umfangreich waren) eine Studie des HIS (hier als PDF). Demnach sind unter Stipendiaten noch weniger Kinder aus "Arbeiterfamilien" als unter der gesamten Studierendenschaft (und schon bei der sind es weniger, als unter der gesamten gleichaltrigen Bevölkerung).
Gründe für die Schieflage gibt es einige: Sowohl bewerben sich Kinder aus "bildungsfernen" Familien weniger um ein Stipendium, zum anderen ist ihre Chance auch bei Bewerbung geringer. Und zwar auch bei gleich gutem Abitur-Schnitt. Diverse weitere Überlegungen zum Thema Stipendien und eine umfassende Kritik an ihnen finden sich im Artikel "Nicht Lösung, sondern Teil des Problems".
Würde man annehmen, dass wirklich so viele Stipendien zustande kommen, wie geplant (was ja gar nicht sicher ist – siehe oben), so ergibt sich ein weiteres Problem: Da jeder Stipendiengeber eigene Auswahlkriterien einfließen lassen kann, wird das Auswahlverfahren nicht gerade einfach. Die BewerberInnen sehen sich mit unterschiedlichsten Anforderungen konfrontiert, die Hochschulen als Mittler der Stipendien haben die Mühe, BewerberInnen und Auswahlkriterien irgendwie in Einklang zu bringen, um auch alle Mittel abrufen zu können. Immerhin haben die Studierenden nur einen Ansprechpartner für diese Stipendien: Ihre Hochschule. Die darf dann sehen, wie sie Bewerbungen und Angebot in Einklang bringen kann.
Geld könnte beim BAföG fehlen
Noch heißt es von Seiten der Koalition, dass am BAföG nichts geändert werden soll (oder sogar leichte Verbesserungen wie eine Erhöhung der Altersgrenze kommen sollen). Man könnte das auch negativ wenden: Nichts ändern heißt faktisch eher ein Abbau, denn es müsste ja auch nichts angepasst werden. Wenn mehr und mehr Gelder für Stipendien verplant sind, könnte es aber zukünftig um so schwerer fallen, für das BAföG mehr Geld (oder überhaupt so viel wie bisher) zur Verfügung zu stellen.
Dabei erreicht nur eine Studienfinanzierung, die für alle grundsätzlich studierfähigen zur Verfügung steht (als Rechtsanspruch, nicht nur vielleicht wie ein Stipendium) und wenig Schulden erzeugt, wirklich die Ausschöpfung der sogenannten Begabungsreserven. Denn für Menschen aus finanzschwächeren Familien sind Stipendien keine wirkliche Hilfe. Eine Garantie auf ein Stipendien kann man vorher kaum geben, denn dass man selbst bei sehr guten schulischen Ergebnissen auch im Studium so gut ist (und bleibt), bleibt erst einmal offen. Für alle "durchschnittlichen" jedenfalls kann per se ein Stipendium für die besten 10% nicht in Frage kommen.
Eine gute Studienfinanzierung für alle ist nötig
Langfristig wäre es an der Zeit, vom elternabhängigen Modus des BAföGs (der auch diverse Probleme aufwirft) wegzukommen und allen elternunabhängig eine ausreichende Finanzierung zur Verfügung zu stellen. Das zu finanzieren ist nicht einfach und würde starke Einschnitte erforderlich machen (u.a. Streichung des Kindergeldes bzw. der Kinderfreibeträge bei den Steuern der Eltern). Auch die rechtliche Umgestaltung (kein Unterhaltsanspruch mehr gegen die Eltern, sondern stattdessen ein gewisser Anspruch an den Staat) wäre nicht einfach. Aber man sollte langsam damit anfangen.
Denn selbst mit dem 300-Euro-Stipendium und BAföG würden manche schlecht dastehen: Alle diejenigen (und davon gibt es gar nicht so wenige!) jedenfalls, die kein BAföG bekommen, weil die Eltern aus Gesetzessicht genug Geld haben, um das Kind zu finanzieren. Bei denen die Kinder das aber nicht fordern wollen – sei es, weil sie den Eindruck haben, dass die Eltern so viel Geld doch nicht haben; sei es, weil es ein komplizierter Fall ist und die Kraft, dass beim BAföG durchzubringen, nicht vorhanden ist. Oder weil sie trotz allem die Eltern nicht verklagen wollen, um an das Geld ranzukommen. Für die ist 300 Euro zu viel zum Sterben aber zu wenig zum Leben ... Nur eine echte, ausreichende elternunabhängige Finanzierung würde hier helfen.
Weitere Stimmen zum 300-Euro-Stipendien-Modell
- Bildung nur noch für hochbegabte und finanzstarke Menschen (Pressemitteilung des studentischen Dachverbandes fzs, 17.10.2009)
- Großer Wurd (Kommentar in der ZEIT, 22.10.2009)
- "Schwarz-gelbe Träumereien" (Kommentar von Ulla Burchardt [SPD] in der Frankfurter Rundschau, 19.10.2009)
- Studenten im Glück: Schwarz-Gelb will Stipendien regnen lassen (SPIEGEL ONLINE, 19.10.2009)