Mit Volldampf im VerzugRegierungspläne für BAföG-Reform 2016
Jetzt kann der Sommer kommen. Mit der Aussicht auf mehr BAföG im Gepäck macht der Urlaub gleich doppelt so viel Spaß. Vielleicht war es ja das, was Johanna Wanka (CDU) getrieben hat, die frohe Botschaft so plötzlich und unverhofft unters Volk zu jubeln, nach dem Motto: 'Seht her, ihr jungen Leute, die Bundesregierung denkt selbst dann noch an Euch, wenn der Rest der Politikerklasse längst am Strand die Seele baumeln lässt.' Oder wird sogar umgekehrt ein Schuh daraus und die Ministerin wollte ihre Kritiker lieber weit weg in der Südsee wissen, während sie sich in Berlin die Blöße gibt, Hunderttausenden Studierenden und Schülern abermals vor den Kopf zu stoßen?
Nur noch zwei Jahre warten
Die Novellierung des BAföGs soll erst in zwei Jahren kommen.
Eigentlich hätte Wanka ihre Pläne ja auch noch gut und gerne ein oder eineinhalb Jahre für sich behalten können. Geben soll es die 25. Novelle des Bundesausbildungsförderungsgesetzes (BAföG) schließlich erst zum Wintersemester 2016/17 und damit für viele viel zu spät. Ende Mai hatten die Spitzen von Union und SPD mit großem Bohei eine „substantielle“ Reform angekündigt, zwar noch ohne konkrete Zahlen zu nennen, und eben auch mit dem „kleinen Haken“ versehen, dass bis zum avisierten „großen Wurf“ noch zwei Jahre ins Land gehen werden. Zuletzt wurde das BAföG im Jahr 2010 erhöht, damals um ziemlich mickrige zwei Prozent oder im Schnitt zwölf Euro.
Angesichts dieser Vorgeschichte erscheint das jetzt Angekündigte dann auch nicht mehr ganz so üppig. Wie Wanka am Montag im Beisein der Vize-Fraktionschefs Michael Kretschmer (CDU) und Hubertus Heil (SPD) vor der Presse ausführte, sollen sowohl die Bedarfsätze als auch die Elternfreibeträge um sieben Prozent erhöht werden. Auf diesem Wege werde der Kreis der Geförderten um über 110.000 Studierende und Schüler ausgeweitet, heißt es seitens des Ministeriums. Zuletzt hatte es 2012 im Jahresdurchschnitt 660.000 Geförderte gegeben, darunter 440.000 Studierende.
Mehr Wohngeld, mehr Vermögen
„Überproportional“ will die Regierung zudem die Wohnpauschale für BAföG-Bezieher von derzeit 224 Euro auf 250 Euro anheben. Für auswärtig Studierende erhöhe sich damit der BAföG-Höchstsatz sogar um „rund 9,7 Prozent von derzeit 670 Euro auf künftig 735 Euro" monatlich, rechnet das Ministerium vor. Vor dem Hintergrund der zum Teil exorbitanten Mietsteigerungen in den zurückliegenden Jahren sind 26 Euro mehr kaum mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein. Das decke „vielerorts nicht ansatzweise den Bedarf“, monierte so auch das Deutsche Studentenwerk (DSW). „Besser wäre es, wenn Bund und Länder sich endlich zu einer konzertierten Aktion zusammenfänden und den Ausbau der seit langem benötigten Wohnheimplätze bezuschussen“, erklärte der Verband in einer Stellungnahme.
Gleichwohl sieht das DSW in den Koalitionsvorhaben „Schritte in die richtige Richtung“. Auf Wohlwollen stößt unter anderem die Aufstockung der Zuverdienstgrenze. Künftig soll man einen sogenannten Minijob wieder bis zur vollen Höhe von 450 Euro ohne Anrechnung auf die BAföG-Leistungen kontinuierlich ausüben können. Derzeit endet die Abschlagsfreiheit bereits bei 400 Euro. Daneben soll der Freibetrag für jegliches eigenes Vermögen von Auszubildenden von 5.200 Euro auf dann 7.500 Euro hochgesetzt werden. Wer Unterhaltspflichten gegenüber Ehegatten, Lebenspartnern und Kindern hat, soll von zusätzlichen Freibeträgen in Höhe von jeweils 2.100 Euro profitieren, aktuell sind es lediglich 1.800 Euro. Auf mehr Unterstützung dürfen daneben studierende Eltern hoffen. Der Betreuungszuschlag soll auf einheitlich 130 Euro für jedes Kind angehoben werden, heute erhält man 113 Euro für das erste und 80 Euro für jedes weitere Kind.
Inflation frisst Förderzuschlag
Schluss machen will die Regierung obendrein mit der leidigen Förderlücke zwischen dem Bachelor- und anschließenden Master-Studium. Beim Übergang gilt künftig grundsätzlich die Bekanntgabe des Abschlussergebnisses als Ausbildungsende, nicht bereits die letzte Prüfungsleistung. Damit wird die Förderung um maximal zwei Monate verlängert. Überdies soll es den Rechtsanspruch geben, BAföG online zu beantragen. Die Länder sollen demnach verpflichtet werden, bis zum 1. August 2016 elektronische Antragsstellungen zu ermöglichen.
Natürlich verkaufen die Regierungspartner all das als gewaltige Leistung, die dazu noch mächtig ins Geld gehe. Ab 2017, dem ersten Jahr der vollen Wirkung sämtlicher Maßnahmen, würden Mehrausgaben von 500 Millionen Euro jährlich fällig, heißt es. Rechnet man allerdings den dann sechs Jahre währenden Stillstand mit, ergibt sich bestenfalls ein Nullsummenspiel. „Das kommt nicht nur zu spät, sondern ist vor allem auch viel zu wenig“, beklagten die Juso-Hochschulgruppen. Wegen der späten Umsetzung glichen sieben Prozent mehr „nicht einmal die erwartete Inflation seit der letzten Novelle aus“. Zuletzt hatte der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) einen Aufschlag von 15 Prozent ins Spiel gebracht für den Fall, dass die Reform erst 2016 kommt. „Die BAföG-Anhebung ist somit zu niedrig und greift zu spät“, kommentierte entsprechend am Montag auch die stellvertretende DGB-Vorsitzende, Elke Hannack.
Zwei Generationen gehen leer aus
Was die Sache so traurig macht: Kaum einer der 2010 Begünstigten wird in 2016 noch studieren und viele der 2013er Studieneinsteiger auch nicht mehr. „Eure BAföG-Reform? Danke, aber hilft uns nicht“, titelte treffend der SPD-nahe Studentenverband. Ins gleiche Horn stieß die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW): „Das BAföG hat dann fünf Nullrunden hinter sich – und zwei Generationen von Bachelor-Studierenden haben nie eine Erhöhung ihrer Förderung erhalten“. Für GEW-Chefin Marlis Tepe gibt es deshalb „keinen Grund, mit der BAföG-Erhöhung bis 2016 zu warten.“ Ferner bemängelte sie, dass es keine Änderungen bei den Altersgrenzen geben soll. Wer nach einem Bachelor-Studium zunächst ein paar Jahre Berufserfahrung sammle und anschließend einen Master erwerben wolle, erhalte auch in Zukunft keine Förderung. „Damit ist das BAföG weiterhin nicht Bologna-tauglich“, so Tepe.
Schäuble Herr im Haus
Zur Erinnerung: Nach ihrem Amtsantritt im Frühjahr 2013 war Wanka noch mit dem Versprechen vorgeprescht, die Altersgrenzen als Teil einer „umfassenden Reform“ anzuheben. Immerhin dachte man seinerzeit, die Ministerin stünde mit ihrer Novelle kurz vor dem Start – und wahrscheinlich dachte sie das auch. Dass sie jetzt 16 Monate danach Vollzug (oder besser: Verzug) zum Wintersemester 2016/17 verkündet, lässt erahnen, wer Herr in ihrem Haus ist. Kai Gehring von der Bundestagsfraktion der Grünen hält es so auch für „beschämend“, dass ausgerechnet Studierende aus einkommensarmen Familien „erstes Sparopfer von Wolfgang Schäubles ominöser schwarzer Null im Haushalt 2015 werden“. Auch Gehrings Verdikt lautet „zu klein, zu spät“. Die Große Koalition nehme erodierende Studienchancen bis zum Wintersemester 2016/17 billigend in Kauf und danach falle ein großer Wurf aus. „Beides ist gerade auch in Zeiten des wachsenden Fachkräftemangels bildungspolitisch inakzeptabel, kurzsichtig für die Koalition, hochnotpeinlich für die SPD.“
Vergleichsweise handzahm fällt dagegen die Kritik durch den „freien zusammenschluss von studentInnschaften“ (fzs) aus. Wenngleich sie früher kommen müsse, sei die Novellierung „wichtig und geht in die richtige Richtung“, erklärte Vorstandsmitglied Jan Cloppenburg. Dem studentischen Dachverband fehlt jedoch eine Anpassung der Zahlungen an die Studiendauer. „Nur 40 Prozent der Studierenden reicht die vermeintliche Regelstudienzeit, um ihr Studium zu beenden. Das BAföG muss deshalb über die Regelstudienzeit hinaus gezahlt werden, weil so gerade zum Studienende der Abbruch mangels Finanzierung droht“, riet Cloppenburg.
Reform in den Sternen
Ob es mit der Reform überhaupt etwas wird, bleibt abzuwarten. Bis zum Gesetzgebungsprozess ist es noch ein langer Weg und in zwei Jahren kann viel passieren. Wer weiß schon, wie es dann um die deutsche Konjunktur, die Spielräume des Finanzministers und ob dann überhaupt noch die amtierende Regierung steht. Für Grünen-Politiker Gehring befrieden die „vagen BAföG-Vorhaben“ so auch nur „den allerkleinsten Koalitionsnenner“. Und Koalitionen müssen nicht halten und – Versprechen nicht gehalten werden. (rw)